Mehr als einmal werde ich angesprochen: „Na, auch wieder hier?“ Man hält mich für einen Experten und als solchen unterstellt man mir, dass ich weiß, wo die Perlen sind. Tapfer gestehe ich ein, dass ich zum ersten Mal in Arnoldshain an der Startlinie stehe. Am Ende verstehe ich das selber nicht. Der Weiltalweg-Landschaftsmarathon verkauft sich weit unter Wert, wie viele Veranstaltungen dieser Kategorie.
Anlaufstelle und Veranstaltungszentrum ist Weilburg. Schade, dass ich von der 13.000 Einwohnerstadt nichts sehe, weil ich erst am Sonntag anreise und direkt zum Startplatz nach Schmitten/Arnoldshain fahre. Der Veranstalter empfiehlt das ausdrücklich nicht, weil man dort etwas beengt ist und es kaum Parkmöglichkeiten gibt. Man sollte tatsächlich lieber den Shuttlebus ab dem Festplatz (Zielgelände) in der Hainallee nehmen und die Fahrt durch das Weiltal genießen. In der Hattsteinhalle, unweit des Platzplatzes in Arnoldshain, bekommt man am Sonntag seine Startunterlagen, man kann sich umkleiden und seinen Kleiderbeutel abgeben.
Ich stelle mich dort an, wo die Schlange am längsten ist. Das ist falsch. Es sind die Nachmelder, die scharenweise über den Veranstalter herfallen. Das macht das fantastische Wetter. Es ist zwar frisch, aber wolkenlos. 20 Grad sind vorhergesagt – das wird auch erreicht.
Der Weiltalweg-Landschaftsmarathon leidet etwas unter Teilnehmerschwund. Ursprünglich hatte der reine Marathon mal um die 1000 Teilnehmer. Heute erreicht man diese Zahlen nur noch deshalb annähernd, weil es seit drei Jahren einen Staffelmarathon gibt. Dieses Jahr hat man (einmalig?) auch noch einen Lauf über 23 km von Emmershausen nach Weilburg ins Programm genommen. Die 200 Startplätze sind fast komplett weg, ausverkauft sind immer schon vorzeitig die 100 Plätze für den Staffelmarathon.
Es sind also ungefähr 700 Läuferinnen und Läufer, die um 9.30 Uhr von Arnoldshain hinunter nach Schmitten rennen, um wenig später den Weiltalweg zu erreichen. Der beliebte Wander- und Radweg beginnt eigentlich bei der Weilquelle beim Roten Kreuz am Fuße des Großen Feldbergs und ist bis Weilburg genau 47,5 km lang. Trotz der Verkürzung hat die Marathonstrecke ab Arnoldshain noch 360 m Gefälle, ist damit aber noch lange kein Highspeed-Kurs. Etlichen Anstiege sorgen für Abwechslung, der eine oder andere ist auch ziemlich steil oder zieht sich hin und mancher Wegabschnitt gleicht einer Schotterpiste. Es ist halt ein Landschaftslauf. Fürchten braucht sich deshalb aber keiner. Marco Diehl, Deutschlands schnellster Vielläufer, hält den Streckenrekord mit 2:29:21 Stunden und ist damit nicht „langsamer“ als auf einem flachen Citykurs.
Dorfweil und Brombach sind zwei kleine Orte, die wir als erstes durchlaufen. Jede Straßenkreuzung und jede Abzweigung ist mit Sicherheitskräften und Helfern gesichert, die Anwohner stehen an der Strecke und feuern die Läuferinnen und Läufer an. Dort, wo die Verkehrsstraße überquert wird, bilden sich Autoschlangen. Keiner regt sich auf, alles ist relaxed. Ein Sonntag, wie er sein soll.
Nach 5 Kilometern wird die erste Getränkestelle erreicht. Es gibt Wasser und Apfelschorle, später (ab km 20) auch Bananen, Äpfel und Gebäck. Auch hier keine Spur von Aufgeregtheit, man lässt sich Zeit, geht ein paar Schritte während des Trinkens und trabt genüsslich weiter.
Bei Hunoldstal laufen wir ein kurzes Stück auf der Straße und haben im Anschluss dann den ersten ernsthaften Anstieg vor uns. Bisher hatte man es ja nur mit kleinen „Unebenheiten“ zu tun, die man kaum spürte. Jetzt geht es aber ungefähr einen Kilometer auf einer Teerstraße ziemlich stramm nach oben, ehe man bei km 7 rechts auf einem Waldweg bequem seinen Lauf fortsetzt. Wir haben uns etwas von der Weil entfernt und sind in einem lichten Wald, der kaum Schatten bietet. Die Natur ist noch weit zurück, nur ganz zaghaft zeigt sich bei einigen jungen Buchen etwas Grün. Die Haselnusssträucher sind da schon etwas weiter.
Knapp 10 Kilometer sind wir gelaufen, als wir zur Landsteiner Mühle kommen. Hier ist der erste Staffelwechsel. Wäre mein Lauf jetzt zu Ende, würde ich hier im „ApfelWeinBistrorant“ einkehren. Denn Michael Stöckl’s Lokal in der historischen Mühle ist eine Novität. Dass in Hessen der Äppelwoi zuhause ist, ist bekannt. Und dass man den aus den Äpfeln macht, die sonst keiner essen will, weiß man auch. Dass das Resultat keinen Gourmet begeistern kann, ist klar.
Michael Stöckl ist gelernter Sommelier, also Weinberater. Ihn stört, dass man bei Anbau, Ernte und Keltern der Äpfel nicht die gleiche Sorgfalt walten läßt, wie bei den Trauben. Und statt sich weiterhin darüber zu ärgern, ändert er das. Er tut sich mit einem Obstbauern zusammen, der fast vergessene Apfelsorten kultiviert und zu edlen (Apfel)Weinen verarbeitet. Heute nennt sich Stöckl ApfelWeinSommelier und bietet über 50 Sorten edelste Apfelweinsorten an, gibt Seminare und Verköstigungen.
Zu Essen gibt es auch. Schon das Studium der Speisekarte ist ein Genuss: Lende ohne Ende, Lammbada (Lamm vom Weiltal-Lamm) oder Taunus-Pasta (Blutwurst-Ravioli). Innovativ ist auch die Möglichkeit, sich extra kleine Portionen zu bestellen, damit man möglichst viel probieren kann.