Zuerst mal die reinen Streckendaten: Oberstdorf / D – durch das Trettach-Tal zur Spielsmannsau – dann steiler Aufstieg vorbei an der Kemptener Hütte zum Mädelejoch – hinunter nach Holzgau – von dort wieder hinauf und über den Hager Höhenweg – hinunter nach Steeg / A im Lechtal.
Vertikaldistanz: 1496 Höhenmeter im Aufstieg; Horizontaldistanz: 28,9 Kilometer, Ø Zeitbedarf: ca. 4,5 Stunden
Und jetzt zu meinen (unseren) Daten: Laufzeit 4:47, Durchschnittspuls 160, Maximalpuls 181, 5387 verbrauchte Kilokalorien
Ob Nicole, Jürgen Kurapkat von Gore oder Sissi im Büro bei KGK: Keiner hatte mir geglaubt, als ich sagte, dass ich nicht so gut in Form bin. „Jaja, wie bei der Schulaufgabe: Man tut so als man habe nicht gelernt und legt dann den Einser hin. Oder wie am Start eines jeden Bike-Rennens oder Volkslaufs: Alle Leute geben vor, sie seien schlecht vorbereitet. Und dann blasen sie los, dass es nur so raucht.“
Nein, liebe Sissi, ich habe nicht geblöfft! Und Kondition entsteht auch nicht im Kopf. Im Gegenteil, ich bin sogar noch schlechter drauf, als ich gedacht habe! Und was den heutigen Tag noch schlimmer machte: Ich bin nicht dementsprechend gelaufen. Wie die Anfänger sind wir viel zu schnell losgelaufen. Wobei das nicht für Nicole gilt: Sie ist für ihren Trainingszustand keineswegs zu schnell gelaufen. Sie hat mich sogar noch gebremst! Ich weiß nicht, welcher Teufel mich geritten hat, auf jeden Fall habe ich mir diesen Tag SEHR, SEHR schlecht eingeteilt.
Der Anstieg nach der Verpflegungsstation in Holzgau war die Hölle. Ich fühlte mich wie eine Schnecke – und lief auch so. Jede Menge Trams zogen an uns vorbei. Aber mir war klar, dass ich nur durch dieses Schneckentempo eine Chance haben würde, in den nächsten Tagen überhaupt zu laufen. Und jetzt, liebe Sissi, war mein Kopf wirklich stark. Wir zogen das Ding durch.
Am Ende erreichten wir das Ziel nach 4:47 h auf Platz 19 der Mixed Wertung (ich glaube, 40 sind am Start). Geht ja sogar noch. Und jetzt nach der Nudelparty geht es schon wieder einigermaßen. Sicher ist: Morgen werden wir das seeeehr viel langsamer angehen (müssen).
Zuerst wieder die Streckendaten: Von Steeg (1142 m) zuerst hoch ins Kaisertal – dann nach Osten ins Almajurtal – steil hinauf zum Winterjöchl (2261 m) – über den E4 hinüber zum Kapallsattel (2396 m) – über das Malunjoch (2487 m) weiter zum Valfahrgehrjoch (2543 m) – über die Ulmer Hütte hinab nach St. Anton am Arlberg (1286 m)
Vertikaldistanz: 1776 Höhenmeter im Aufstieg; Horizontaldistanz: 28,2 km; Ø Zeitbedarf: ca. 5 Stunden
Und hier meine Daten: Laufzeit 4h40, Durchschnittspuls 143, Maximalpuls 165, 5370 verbrauchte Kilokalorien.
Heute starteten wir – wie jeden Tag ab heute – um 8 Uhr morgens. Bei bedecktem Himmel krochen wir aus Steeg hinaus. Krochen, weil wir Angst hatten, uns wieder in der Starteuphorie zu überschätzen.
Anders als ursprünglich geplant, wurde die Strecke heute ganz leicht modifiziert. Wir liefen nicht hinauf zum Kaiserjoch, weil dort der Weiterweg zu rutschig und damit zu gefährlich gewesen wäre. Also ging es durch das Almajurtal hinauf zum Winterjöchl. Nicole und ich liefen weiter richtig schön langsam – den Puls im den flacheren Passagen bei 135 bis 140, und nur wenn es mal steiler wurde, auch über 150.
Als wir ins Ziel liefen, staunten wir: Bei ungefähr gleicher Streckenlänge, aber über 200 Höhenmetern mehr als gestern, kamen wir trotzdem früher ins Ziel!!! Aber was uns noch mehr freute und überraschte: Wir fühlten uns viel besser als gestern! Die Platzierung weiß ich noch nicht, denn als wir nach dem Dehnen und dem Besuch der Gore-Tex-Lounge – dort gibt es Bier, Salzstangen und Fußbäder – Richtung Pension gingen, hingen noch keine Ergebnislisten aus. Ich bin mir aber sicher, dass wir besser als gestern liegen.
Die wichtigsten Erkenntnisse des Tages: Die Regeneration war sehr gut. Ich bin doch kein Lauftrottel, der sich hoffnungslos überschätzt. We’re back on the track! Und: Nur noch 185 Kilometer (hat der Sprecher im Zielraum, glaube ich, gesagt).
Hier die Streckendaten: St. Anton (A) – Ischgl (A)
Vertikaldistanz: 2.364 Höhenmeter im Aufstieg; Horizontaldistanz: 37,11 km, Ø Zeitbedarf 6 Stunden
Anmerkung der Red. Leider liegen vom dritten keine Aufzeichnungenvon Till vor. Irgendwie gingen sie wohl auf den Datenhighway verloren. Aus diesem Grund hier von dieses Streckenabschnitt Ausschnitte aus der offiziellen Pressemitteilung:
Wieder einmal begeistert äußerten sich die Läufer über die heutige Streckenführung. Sowohl der Startort St. Anton / Arlberg als auch Ischgl am Zieleinlauf erwiesen sich einmal mehr als herzliche Etappenstützpunkte höchster Güte. Die dazwischen verlaufende, spektakuläre Route durchquerte das zu Unrecht wenig bekannte Verwall-Gebirge und zudem noch über weite Strecken oberhalb der Baumgrenze. Erst galt es 1.500 Höhenmeter zum schneebedeckten Kuchenjoch zu bewältigen. Doch wie gewonnen so zerronnen! Über 900 Höhenmeter wurden beim steilen Abstieg ins Fasultal sogleich wieder aufgegeben, nur um beim Anstieg aufs Schafbichljoch (2.636 m) gleich noch mal eingefordert zu werden. Wer sich einbildet, der folgende Abstieg nach Ischgl wäre nur noch ein Katzensprung gewesen, täuscht sich gewaltig. Steile Steige erforderten auch gegen Ende der Etappe noch absolut sichere Fußtechnik und verbleibende 11 Kilometer zum Ziel noch mal so einiges an Ausdauer.
Hier die Streckendaten: Ischgl im Paznauntal (1360 m) – relativ flach das Fimbertal hinauf – Fimberpass (2608 m) – hinab ins Val Chöglias bis 1860 m – wieder hinauf ins Val Laver bis zur Fuorcla Campatsch (2730 m) – über Motta Naluns (Seilbahnstation) nach Scuol (1260 m)
Vertikaldistanz: 2234 Höhenmeter im Aufstieg; Horizontaldistanz: 42,195 km; Ø Zeitbedarf: ca. 6 Stunden
Und hier meine / unsere Daten: Laufzeit ca. 6h49, Durchschnittspuls 131, Maximalpuls 144, Kalorienverbrauch 6492
Wenn man so ganz normal zu Hause ist und ab und zu ein wenig läuft, dann ist ein Marathon schon ein ganz schön dickes Ding. Wenn man jetzt noch die 2234 Höhenmeter dazurechnet, ist es eher schon extrem. Addiert man dann auch noch die vielen Kilometer sowie Höhenmeter an den Tagen zuvor und danach dazu – dann sprengt es eigentlich mein Vorstellungsvermögen. Ja, obwohl wir genau das heute gemacht haben, kann ich es mir nicht richtig vorstellen. Irgendwie geht es einfach. Es erstaunt mich wirklich, was der Körper in der Lage zu leisten ist, wenn man ihn entsprechend fordert.
Aber zurück zum Lauf. Die ersten Meter aus Ischgl heraus ins Fimbertal sind natürlich asphaltiert, damit all die Betonliefer-LKWs und Baufahrzeuge ohne Probleme hinauf ins Skigebiet fahren können. Ischgl tut, im Tal wie auf dem Berg, alles dafür, dass der Ort noch hässlicher wird. Zum Glück zweigt die Hauptstraße bald ab und wir laufen weiter das Fimbertal Richtung Heidelberger Hütte. Mit jedem Kilometer aufwärts weitet sich das Tal. Die Vegetation geht zurück – ein grüner Talboden, sanfte Hänge, alles überragt von steinigen, teils schroffen Gipfeln. Als sich dann an der ersten Verpflegungsstation noch ein paar Pferde an der Abteilung mit den Nüssen, Kuchen und Energieriegeln drängeln, erinnert es ein wenig an die Mongolei.
Nicole und ich sind wieder sehr langsam gestartet. Ich schätze mal, dass am Ortsende von Ischgl nur 10 oder 15 Teams hinter uns waren. Aber das passt so für uns. Der Tag ist noch lang genug. Auf dem Weg durch das Fimbertal machen wir nur wenig gut – dazu ist es zu flach. Erst als es nach der Heidelberger Hütte steiler wird, überholen wir wieder etwas mehr.
Der Blick vom Fimberpass nach Süden ist sensationell schön: Wild erodierte Landschaft mit losem Schiefergeröll, ein paar Schneereste, dann wieder Rottöne vom Gneis des Alpenhauptkammes, das Grün der Bergwiesen – und darüber ein wolkenloser, blauer Himmel. Eigentlich sollte man hier oben mindestens eine halbe Stunde Pause machen und schauen. Stattdessen sausen wir bergab. Der Weg ist steil, etwas rutschig und technisch – genau unser Lieblingsgelände. Nicole fliegt förmlich und ich muss mich richtig ranhalten, dass sie mich nicht abhängt.
Aber dann fühlt sich ihr Magen nicht mehr so wohl. Es gluckert arg – wir nehmen etwas Tempo raus. Irgendwann kommen wir dann auf einen holprigen Fahrweg, den wir bei einem Punkt namens Farola auf 1860 m wieder verlassen. Über eine Brücke, rein in den Wald und rein in den nächsten Aufstieg. Mittlerweile ist es richtig heiß. Im Wald geht es, aber wenn man dann auf die Lichtungen kommt, wird es so richtig brutal. Trinken, trinken, trinken.
Ab der zweiten Verpflegungsstation zieht sich der Weg als schmaler Steig zunächst über unebene Wiesen, dann Gneisgeröll aufwärts. Piano, piano, nur nicht zu schnell. Der Puls mag kaum mehr über die 140 gehen. Es würde auch nichts bringen. Das Feld hat sich mittlerweile weit auseinander gezogen. Weit vor uns sehen wir Läufer, weit hinter uns auch.
Streckenchef Wolfi Pohl begegnet uns feuert uns an: “Super, ihr seht gut aus. Nur noch ein paar Meter bis zum Pass. Dann so zwanzig Minuten bis zur Verpflegung und noch mal 25 Minuten bis nach Scuol!“ Der Mann lügt wie gedruckt: 1. So wie ich mich fühle, kann ich nicht gut aussehen. 2. Die paar Meter bis zum Pass sind steile 150 Meter. 3. Vom Pass bis zur Verpflegungsstation sind es noch 5,5 km – inklusive einiger leichter Gegenanstiege. Und 4. Fährt er vielleicht mit seinem Geländemotorrad 1000 Höhenmeter in 20 Minuten bis runter nach Scuol.
Dann endlich die Fuorcla da Campatsch. Erst über Geröll, bald über die weiten Wiesen des Skigebietes laufen wir weiter. Die Beine melden sich jetzt ziemlich laut. Es zieht mächtig in den “Bergab-Muskeln“. Auf dem teils extremen steilen Weg hinab nach Scuol nimmt das noch erheblich zu. Dazu die Hitze von weit über 30°C. Meine Fresse! Dunkel erinnere ich mich, dass dieses Gefühl letztes Jahr auch immer da war… Aber irgendwie blendet man das Leiden in der Erinnerung immer aus. Die Freude bleibt haften.
Schön ist in Scuol, dass das Ziel wirklich direkt am Ende der Bergabstrecke liegt: Keine flache Strecke mehr, über die man sich wie ein waidwunder Hirsch schleppen muss. Ziel! Fertig. Im wahrsten Sinne des Wortes. Alles tut weh.
Aber schon ein paar Stunden später bei der Nudelparty geht es wieder. Das Einzige wirklich Unangenehme ist eine Riesenblase an meinem linken Fuß. Seltsam: Letztes Jahr hatte ich nicht mal eine Druckstelle. Heute habe ich “nur zur Sicherheit“ ein Anti-Blasenpflaster aufgeklebt. Aber das hat sich zur Hälfte gelöst, ist hoch gerollt und hat die Blasenbildung anscheinend nur gefördert. Jetzt habe ich einen leuchtend roten Rückstrahler an der Ferse. Zum Glück ist ja morgen der “Ruhetag“. Zu mindesten kommt es uns mit dem Bergsprint über 5,5 km und 960 Höhenmeter so vor.
Ach ja, die Platzierung: 15. in der Tageswertung und auch 15. in der Mixed-Gesamtwertung. Wobei es dieses Mal ganz anders ist als im letzten Jahr: Da wurde der Abstand nach vorn jeden Tag größer und nach hinten aber auch. Jetzt liegen mehrere Teams ganz nahe beieinander.
Hier die Streckendaten: Start am Dorfplatz in Scuol (1260 m) - durchgehend steil bis fürchterlich steil hinauf zur Seilbahnstation Motta Naluns 2130 m)
Vertikaldistanz: 870 Höhenmeter im Aufstieg; Horizontaldistanz: 6,19 km; Ø
Zeitbedarf: ca. 1,5 Stunden
Und hier meine / unsere Daten: Laufzeit ca. 1h03, Durchschnittspuls 155, Maximalpuls 165, Kalorienverbrauch 1331 kcal
Der Morgen beginnt einzigartig gut: mit Ausschlafen! Welche Wonne! Nicht dieses Packen im Halbschlaf. Nicht das Frühstück auf dem schmalen Grat von zu viel und zu wenig essen. Nicht dieses mit dicken Beinen durch die morgendliche Kühle zum Start watscheln. Statt dessen ausschlafen und richtig frühstücken. Sich den Ranzen mal ohne Rücksicht auf Verluste voll hauen.Denn der Bergsprint startet erst ab 15 Uhr 30.
Danach machen es Nicole und ich wie die meisten Anderen: Wir gehen in das Thermalbad von Scuol. Das Freibecken ist die Wonne: Wolkenloser Himmel, Blick auf die umliegenden Dreitausender - und unter Wasser diverse Düse und Sprudeleinrichtungen. Dachte ich am Morgen noch, dass wir den Marathon recht gut weg gesteckt hätten, belehren mich diese Düsen eines Besseren. Hossa, tief innen drinnen zieht es heftigst! Alter Schwede.
Bevor uns das Thermalmineralwasser zu sehr ermüdet, gehen wir zurück ins Hotel und legen uns noch ein wenig hin. Der Bergsprint selbst wurde ja eigentlich letztes Jahr aus der Not geboren, um die wegen der Hochwasserschäden ausgefallenen langen Etappe nach Scuol zu ersetzen.
Aber der Sprint kam gut an. Erstens danken es die Füße und Beine, denn nicht mal 900 Höhenmeter in einem guten Stündchen empfindet man wie einen Ruhetag. Und dann ist es schön, dass wir nicht im Massenstart losbrettern - dazu wären die mittelalterlichen Gassen von Scuol ohnehin zu eng - sondern im 30-Sekundenabstand rückwärts. Das heißt die Schnellsten als Letzte.
Gestern habe ich mir eine ganz böse Blase gelaufen. Ich hatte prophylaktisch ein Blasenpflaster auf eine Druckstelle geklebt, aber dieses Pflaster hatte sich gelöst, hoch gerollt und genau für den gegenteiligen Effekt gesorgt.
Und beim Ausziehen hing das Pflaster in der Socke und am Pflaster die Haut der Blase. Also habe ich die "Rückstrahler" gut abgetaped und nach Anprobieren aller Schuhe in meinem Gepäck entschieden, mit den Straßenlaufschuhen zu starten. Sie mögen weniger Halt bieten, aber sie tun viel weniger weh!
Letztes Jahr hatten wir hier unsere beste Einzelplatzierung mit Position 10. Auch dieses Mal fühlt es sich gut an. Es ist so steil, dass wir auf der gesamten Strecke keine 500 Meter joggen. Wir gehen - heute beide mit Stöcken. Ich glaube das bringt viel.
Wir überholen Paar für Paar und nur ganz selten kommen von hinten einige gute Athleten solo an, weil es heute auch eine Einzelwertung gibt und man nicht zusammen ankommen muss. Erst zieht es sich sehr, aber dann sind wir plötzlich oben. Genau so habe ich mich letztes Jahr gefühlt. Laufzeit 1:03 h.
Während ich schon esse, signalisiert mir Nicole, die sich noch mit dem Team Caracol verquatscht hat und deshalb ganz hinten in der Schlange vor der Essensausgabe steht, plötzlich eine Acht. Will sie um acht Uhr ins Tal fahren? Oder mir vielleicht acht Bier mitbringen? Ich habe Durst, aber das ist doch etwas zu viel des Guten. Nein, wir haben Platz 8 belegt und einigen direkten Konkurrenten recht gut Zeit abgenommen. Wer hätte damit gerechnet?
Unseren Rang in der Mixed-Gesamtwertung habe ich vergessen, aber wir haben uns sicher nicht verschlechtert.
Hier die Streckendaten: Scuol (1260 m) - Sur En (1133 m) - über den wild in den Stein gehauenen Steig der Uina-Schlucht zum Schlinigpass (2261 m) - relativ eben über den Höhenweg 8a (höchster Punkt 2315 m) am Westhang des Watles zur Plantapatsch-Hütte (ja, die heißt wirklich so - 2108 m) - über Forstwege hinab zum Weiler Wischgaden und weiter auf den Fahrradweg im Etschtal - Burgeis (1257 m) - Mals (1052 m)
Vertikaldistanz: 1332 Höhenmeter im Aufstieg, 1540 im Abstieg;
Horizontaldistanz: 37,02 km; Ø Zeitbedarf: ca. 5,5 Stunden
Und hier meine / unsere Daten: Laufzeit ca. 5h05, Durchschnittspuls 134, Maximalpuls 164, Kalorienverbrauch 7038 kcal
Heute herrscht am Nachmittag hohe Gewittergefahr. Da die Etappe nach Mals doch über 37 km lang ist, beschließt Streckenchef Wolfi Pohl, schon um 7 Uhr zu starten. Das heißt so viertel nach Fünf aufstehen... Verdammt. Auch die Nacht ist widerlich. Mein Magen rumort, die Decke ist zu heiß, das Kopfkissen zu dick und das Bett zu kurz. Ich habe, obwohl doch einige Teams im Hotel Curuna sind, noch niemals ein so wortkarges Frühstück erlebt.
Vor dieser Etappe fürchten wir uns, denn sie bringt all das, was wir nicht gut können: Viel ganz flach, lange und wenig An- sowie Abstiege. Letztes Jahr haben wir hier satt viel Zeit verloren. Andererseits ist Nicole bergab viel schneller geworden. Egal, freuen wir uns lieber auf die Strecke - denn bis zum Nachmittag soll es sehr schön sein.
Beim Start sausen viele los wie gestört. Uns geht es zu schnell, das können wir einfach nicht. Aber bei der Steigung hinauf ins Uina Tal sammeln wir dann wieder ein: "Und ewig grüßt das Murmeltier..."
Und dann kommt als eine der Highlights der gesamten Strecke die Uina-Schlucht: Dieser uralten Alpenübergang ist direkt in den senkrechten Fels hineingesprengt, manchmal läuft man sogar durch Tunnels. Und unten rauscht der Fluss. Eigentlich ist es eine Schande, hier zu rennen!
Die Schlucht endet sehr plötzlich. Die Felswände weichen zurück, machen grünen Bergwiesen Platz: Der Schlinigpass und die Grenze nach Italien. Das Gelände ist jetzt größtenteils wirklich laufbar. Es geht gut dahin und macht saumäßig Spaß. Bei der alten Pforzheimer Hütte biegen wir ab Richtung Plantapatsch. Der Steig zieht sich tendenziell bergab am Westhang des Watles entlang. Wir haben freien Blick auf den Ortler - die Szenerie ist phantastisch. Ich bekomme das, was die Läufer einen Flow nennen: Ich vergesse völlig Raum und Zeit um mich herum, und vor allem, dass es ein Wettkampf ist. Es ist einfach geil - ich fliege!
Das mit dem Fliegen hört an der Verpflegungsstation an der Plantapatsch-Hütte auf. Ab hier geht es abwärts - aber leider sehr flach und größtenteils auf Forstwegen. Das war letztes Jahr ein Abschnitt, auf dem Nicole sehr schwer gelitten hat. Heute geht es viiieel besser. Zum Glück ist es noch nicht so heiß.
Aber als wir ca. 2 km vor Burgeis den Talboden des Etschtals erreichen, ist es damit auch vorbei: Wie ein Föhn weht es uns entgegen - und bis nach Mals erwartet uns nur noch Asphalt. Mit meinen Straßenlaufschuhen geht das recht gut. Aber auch bei Nicole geht es sehr gut im Vergleich zum letzten Jahr. Da mussten wir viel gehen, jetzt trotten wir recht relaxt unser Tempo.
Im Ziel direkt am schönen Dorfplatz vor der Kirche wartet dann wieder eine Überraschung: 11. Platz in der Tageswertung und - wir mögen es selbst noch nicht so recht glauben - 9. In der Gesamtwertung. Kann eigentlich nicht sein, aber vielleicht war heute wieder so ein Tag, wo Teams weiter vorn einen Totaleinbruch hatten. Ich gebe es ja schon zu: Ein bisschen Ehrgeiz ist dabei. Man will einfach das Beste rausholen. Und dazu gehört halt auch, die Kräfte richtig einzuteilen.
Die Streckendaten: Mals (1052 m) – über Wander- und Feldwege hinauf ins Matschertal – entlang den Walen nach Matsch (1602 m) – aber dort eher flach bis zum Glieshof (1824 m) – dort extrem steil, größtenteils weglos und über loses Geröll das Ramudeltal hinauf zur Rappenscharte (3012 m) – steil hinab auf die andere Seite ins Schlandrauner Tal – und über steile, teils steilste Wege direkt hinab nach Schlanders (717 m) – das heißt es waren im Abstieg non-stop 2339 Höhenmeter!
Vertikaldistanz: 2004 Höhenmeter im Aufstieg, 2339 im Abstieg;
Horizontaldistanz: 34,51 km; Ø Zeitbedarf: ca. 5,5 Stunden
Und hier meine / unsere Daten: Laufzeit ca. 6h17, Durchschnittspuls 132, Maximalpuls 157, Kalorienverbrauch 6151 kcal, Platz 10
Letztes Jahr war die letzte Etappe langweilig: Sie zog sich in sanftem Bergauf und Bergab am Rand des Etschtals entlang von Mals nach Latsch. Wir haben sie beide nicht in guter Erinnerung. Nachdem sich viele Leute darüber beschwert hatten, haben Heini und Uta den Kurs geändert. Es kam insgesamt ein Tag dazu, und damit eine Übernachtung in Schlanders, sowie noch mal zwei knackige Bergetappen.
Wolfi hatte gestern beim Briefing schon orakelt, dass es wohl anspruchsvoll werden würde. Auf dem Streckenprofil sieht es so einfach aus: Einmal rauf und auf der anderen Seite wieder runter. Aber wie…
Der Weg beginnt wie alle Wege, die im Vinschgau aus der Talsohle hinauf führen: Erst die Obstplantagen, dann die Wiesen, dann der Wald – und dann in diesem Fall ein Seitental, das Matscher Tal, wunderschön abgelegen! Nach einigen knackigen Zwischenanstiegen führt der Weg – oft an rauschenden Walen entlang – eher flach in den hinter Talgrund. Hier sind die Glieshöfe. Ab dort geht es dann steil bergauf – oft völlig weglos und manchmal in ziemlich fiesem Geröll.
Nicole und ich gingen den Tag sehr, sehr langsam an. Vor allem Nicole bremste immer wieder: „Langsam, langsam, es ist noch weit und es wird noch hart.“ Ich glaube, sie wusste nicht wie recht sie haben würde… Auf dem nicht vorhandenen Steig hinauf zur Rappenscharte machten wir einen Platz nach dem anderen gut. Wir sind einfach Bergler – und ich wusste bislang gar nicht, in welch starkem Maße! Je schwieriger das Gelände, desto besser sind wir.
Auf der anderen Seite der Rappenscharte ist ein echter Weg vorhanden – und zwar so wie wir ihn mögen: steil und technisch. Wir fliegen talwärts. Erstaunlicherweise finden wir dann auch auf den steilen Forstwegen einen runden Tritt. Die einzigen Leute, die uns überholen, sind schnelle Einzelläufer, die noch mit ihrem maladen Teampartner langsam gemacht haben – so lange bis er doch aufgeben musste. Mittlerweile ist die längste Liste in Statistik nicht mehr „Mixed“ oder „Masters“ – es ist die Liste „Out of Ranking“, das Sammelbecken für alle, die aus der Paarwertung rausgeflogen sind und jetzt irgendwie solo ins Ziel laufen.
Die letzten Höhenmeter runter nach Schlanders sind extrem steil und extrem heiß. Die Knie schreien, die Oberschenkel brüllen. Runter, weiter, runter, los, wir schaffen es! Man muss sich vorstellen, dass dies ein Non-stop-Abstieg über 2340 Höhenmeter ist – im Laufschritt. Weiter, weiter, runter…
Irgendwann erreichen wir den Talboden. Noch einen guten Kilometer durch Schlanders, dann erreichen wir endlich die Ziellinie. Während Nicole noch verblüffend gut drauf ist, bin ich verdammt platt. Aber im Vergleich zu den meisten anderen Teams geht es uns noch recht gut. Manche Läufer hängen fast schon deliriös in der Hitze des Zielraumes herum. Sie gehen wie auf Eiern, jeder Muskeln schmerzt.
Wir sind sehr zufrieden: 10. Platz in der Tageswertung und 10. Platz in der Gesamtwertung. Wenn wir das morgen annähernd halten können, wäre das traumhaft gut…
Die Streckendaten: Schlanders (717 m) – Göflarn – über Waldwege und Steige steil zur Göflarner Alm (1830 m) – über Geröll zur Göflarner Scharte (2396 m) – über den wunderschönen Marteller Höhenweg auf dem Gratrücken hinab zum Morter Lager (1754 m) – auf einem Forstweg in langen nicht enden wollende Serpentinen zur Kreuzung mit der Martelltalstraße (860 m) – Latsch (640 m)
Vertikaldistanz: 1817 Höhenmeter im Aufstieg, 1894 im Abstieg; Horizontaldistanz: 28,62 km; Ø Zeitbedarf: ca. 4,5 Stunden
Und hier meine / unsere Daten: Laufzeit ca. 4h45, Durchschnittspuls 129, Maximalpuls 152, Kalorienverbrauch 5242 kcal
Ein paar Kilometer geht es flach hinüber auf die Südseite des Etschtals. „Nur 1817“ Meter im Aufstieg – das klingt nach dem bisher Gelaufenen wie ein Kaffeekränzchen, aber auch das will erst mal gelaufen sein. Ich glaube, wir sind an keinen Tag im Training zu hoch und so weit gelaufen.
Heute sind ein Haufen Gäste dabei: Leute von Puma, Journalisten und irgendein Schauspieler, den ich nicht kenne, aber dafür der Rest der Welt: Er ist der Bösewicht im nächsten James Bond. Jede Menge Kameras und Journalisten umschwirren uns. Zum Glück, ist der Mensch so langsam, dass wir ihn erst im Ziel wieder hören. Für den Bekanntheitsgrad der Veranstaltung ist es ja sicher gut, wenn Promis mitlaufen. Im Fall von Joey Kelly ist das OK; er läuft die ganze Strecke mit und benimmt sich ganz normal. Aber die vielen Gäste heute verwässern mein persönliches Erlebnis. Nicht, dass ich wirklich etwas dagegen hätte, verstehen kann ich es auch – aber es wäre einfach schöner, nur mit jenen ins Ziel zu kommen, mit denen wir die letzten sieben Tage ins Ziel gekommen sind.
Wir sind heute ein bisschen unter Zeitdruck: ein Team ist keine Minute hinter uns, ein paar weitere auch nicht weit entfernt. Aber es hat keinen Sinn, sich davon in irgendeiner Weise ablenken zu lassen: Ich davon überzeugt, dass man das Bestmögliche erreicht, wenn man einfach „sein Rennen“ läuft.
Nach der ersten Verpflegungsstation wird der Steig alpiner – und entsprechend liegen wir ganz gut. Oben in der Göflarner Scharte erwartet uns ein traumhafter Blick hinüber zu Ortler und Cevedale. Eigentlich ist es wieder eine Sünde, einfach weiter zu rennen. Andererseits ist der Weg Richtung Tal wunderbar! Auf einem breiten Rücken geht es über Wiesen und Gestein abwärts. Bald erreichen wir die Baumgrenze, wodurch die Aussicht nicht mehr so sensationell schön ist.
Wir sind gut dabei – aber das ändert sich ab der zweiten Verpflegungsstelle an den Morter Lägern. Ab hier windet sich der Weg in weiten, flachen Serpentinen abwärts. Eigentlich schön zu laufen, aber es ist einfach nicht Nicoles Tag heute. So wie der erste Tag nicht meiner war, so ist heute ihr „schwarzer Tag“. Sie kämpft, aber erst rebelliert der Magen, dann die Oberschenkel und die Knie. Und das Tal mag und mag und nicht näher kommen…
Noch ein weiter, fast ebener Bogen hinein ins Martell-Tal, vorbei an zwei Burgruinen, dann sind wir endlich im Talboden. In der Ferne, wie ein unerreichbares Ziel der Kirchturm von Latsch, nicht enden wollende Apfelplantagen – und völlig widersprüchliche Angaben von Zuschauern und Treckenposten. Ich bin froh über mein GPS, sagt es mir doch zuverlässig, wie lang das Leid noch dauert.
Und dann haben wir es geschafft: Die letzten Meter bis ins Ziel fange ich fast an zu heulen. Es ist einfach ein sagenhaft geiles Gefühl. Man kann es nicht beschreiben. Und nur jener, der es selbst erlebt hat, kann es verstehen. Auf den letzten 150 Metern sind – zu mindesten für eine ganz kurze Zeit – alle Schmerzen weg geblasen. Wir surfen auf einer Euphoriewelle ins Ziel. Das Leben kann so schön sein – insbesondere, wenn man morgen nicht laufen muss…
Ich glaube, wir sind heute 13. geworden und 11. in der Gesamtwertung. Wie im Vorjahr – wobei dort 32 Mixed-Teams an den Start gingen und dieses Jahr 42. Also: sauber gemacht! Wir haben uns dabei so gut verstanden, dass wir sogar mal eine Paddeltour im Zweierkanadier in Erwägung ziehen. Aber das ist eine andere Story. Wir werden heute Abend mit all den anderen Finishern erst mal sauber feiern. Mal sehen, wie lange dafür die Kondition reicht…