Swiss Irontrail – ein klangvoller Name, der vor allem für eines steht: Für läuferische Grenzerfahrung auf außergewöhnlichen Trails, getreu dem Leitspruch „Beyond the limits“. Aber der auch eine Historie aufweist, die in besonderer Weise wechselhaft ist. Stets war Innovation, was Distanzen und Streckenführung anbetraf, statt Konstanz der Treiber der Fortentwicklung. Unvergessen die Premiere im Jahr 2012 mit Distanzen von bis zu wahnwitzigen 200 Kilometern. Die fiel aufgrund Wetterkapriolen ins sprichwörtliche Wasser und war ein echter Aufreger in der Berglaufszene. In der Folge lief es runder, aber das stetige Sich-neu-erfinden kam nicht bei jedem so gut an. Mit der Zusammenlegung mit dem Swiss Alpine verlor der Irontrail zusehends an Bedeutung und verschwand schließlich ganz in der Versenkung. Aber wie heißt es so schön: Totgesagte leben länger. Und so feiert der Swiss Irontrail 2022 sozusagen Wiederauferstehung.
Auch ich verbinde einige vor allem schöne Erinnerungen mit dem Swiss Irontrail. Unvergessen ist für mich vor allem der T91 im Jahr 2015. Über die wilden Passhöhen Fuorcla da Tschitta und Pass digls Orgels ging es ebenso wie quer durch den größten Schweizer Naturpark, den Parc Ela und nach Savognin. Schon im Folgejahr war das Streckenpotpourri aber ein anderes und der T91 Vergangenheit. Schade eigentlich, dachte ich mir.
Und nun ist er wieder da, der Swiss Irontrail, mit Savognin anstatt Davos als Trailkapitale und dem Parc Ela als zentralem Laufrevier der Veranstaltung. Mit dem T14 und T44 im Streckenangebot werden erst einmal „kleinere Brötchen gebacken“, aber für 2023 ist schon jetzt eine Erweiterung dieses Angebots um Distanzen über 20 km und 80 km angekündigt. In diesem Jahr steht für mich aber erst einmal der neue T44 im Fokus: 43.6 km mit 2.015 Metern up und 2.608 Metern down, mit Start in Bivio und Ziel in Savognin, angekündigt als „unverwechselbares und einmaliges Trailerlebnis“ – ich bin gespannt.
Gespannt bin ich aber auch, was das Wetter einmal mehr für Überraschungen bereithält. Immer mal wieder ließ der heiße Sommer just zum Wochenende mit Regen, Blitz und Donner „Dampf“ ab und so stelle ich mich bei meiner Anreise von München schon mal darauf ein, dass auf die Prognosen wenig Verlass ist. Die heißen Temperaturen um die 30 Grad begleiten mich bis in die Schweizer Berge hinein, unheilvoll düstere Wolkenbänke aber auch.
Ansonsten ist das Ankommen im bergnaturumrahmten Savognin am Freitagnachmittag überaus entspannt. Mit seinen etwa eintausend Einwohnern ist das auf 1.207 m üNN beiderseits des Flüsschens Julia gelegene Savognin ein hübsches und gemütliches Bündner Dorf mit langer Geschichte. Gleich drei barocke Kirchen aus dem 17. Jahrhundert bezeugen, dass das alte Dorf aus mehreren Kernen entstanden ist. Verbunden werden die Ortsteile unter anderem durch die seit 1682 über die Julia führende Steinbogenbrücke Punt Crap. Gesprochen wird hier noch das rätoromanische Idiom Surmiran. Spannend zu lesen, aber kaum zu verstehen sind für mich die Straßennamen und Gebäudeaufschriften. Seine gemeindliche Eigenständigkeit hat Savognin allerdings 2016 verloren und ist seitdem Teil der aus mehreren Dörfern der Region gebildeten Gemeinde Surses, immerhin die flächenmäßig drittgrößte der Schweiz.
Gerade rechtzeitig komme ich an, um die Scuntrada, den Dorfmarkt erleben zu können. Auf der verkehrsgesperrten Hauptstraße reihen sich vor allem Verkaufsstände mit lokalen Spezialitäten aneinander, flanieren die Menschen in dichten Trauben auf und ab, wobei die zahlreichen mobilen Bars und Gastrostände das Ganze mehr als Feier- denn als Marktmeile erscheinen lassen. Als echter Partybreaker entpuppt sich ein sich rabenschwarz am Himmel ankündigendes Unwetter. Gerade noch kann ich ins Hotel entfliehen, als sich um Punkt fünf die Himmelsschleusen öffnen und monsunartig über Savognin ergießen. So etwas morgen in den Bergen – keine angenehme Vorstellung.
Erst gegen 18:30 Uhr beruhigt sich die Lage, gerade rechtzeitig, um das nahe gelegene Schulhaus Grava ansteuern zu können. Hier bekomme ich erst um diese Zeit recht unspektakulär meine Startnummer. Das Zielgelände auf dem Sportplatz der Schule lässt sich allenfalls rudimentär erahnen. Aber für den Aufbau ist ja noch Zeit.
Ungewöhnlich, aber nicht unerfreulich ist der späte Starttermin um 11 Uhr am Samstag. Ausschlafen, ein gemütliches Frühstück, das ist alles drin. Nur der Blick nach draußen trübt ein wenig die Laune: Tief hängen die Wolken in den Bergen, zumindest wird es heute nicht so heiß, aber Regen sieht die Vorhersage auch vor. Rechtzeitig um 9:45 Uhr bin ich am Schulhaus. Dort wartet schon der Shuttlebus und schweizertypisch pünktlich geht es los. Eine halbe Stunde schaukeln wir bequem von Dorf zu Dorf und immer höher hinauf durch das Val Surses, bis wir nach 18 Kilometern unser Ziel erreichen: Bivio.
Das 200 Seelen-Dorf Bivio am Fuß der Alpenpässe Julier und Septimer liegt mit 1.769 m üNN etwa 550 Meter höher als Savognin. Und das merke ich sofort, als ich den Bus, der uns direkt zum Startgelände hinter dem Tourismusbüro bringt, verlasse. Ein mehr als frischer Wind pfeift über das von Fels und Nadelwald gerahmte Gelände am Ortsrand. Zum Warmhalten leistet mein Regenanorak wertvolle Dienste, um die Wartezeit von einer Dreiviertelstunde zu überbrücken. Musik und ein paar Infos des Startmoderators sorgen für ein wenig Unterhaltung, ansonsten warten wir entspannt darauf, dass es losgeht, so entspannt, dass selbst unmittelbar vor dem Startkommando kaum jemand Anstalten macht, sich an der Startlinie aufzustellen. Als es um 11 Uhr dann so weit ist, findet der lockere Haufen aber doch recht schnell in den Trab.
Über eine Brücke queren wir sogleich die Julia und folgen dem rauschenden Wasser ein Stück weit nordwärts. Angenehm ist, sich zunächst im Flachen ein wenig einlaufen zu können. Ein Abzweig nach rechts auf einen schmalen Pfad beendet jäh die Gemütlichkeit. Steil führt der Trail über felsig-wurzeligen Untergrund durch den Bergwald den Hang hinauf. An Überholen ist hier kaum mehr zu denken und so reihen sich die Läufer schicksalsergeben und keuchend in die lange Karawane ein.
Es dauert nicht lange, bis die obere Waldgrenze erreicht ist. Der sich lichtende Wald öffnet das Blickfeld, aber alles, was ich sehe, ist eine weiße, wabernde Wand.
Vorbei an einem kleinen Tümpel erreichen wir nach drei Kilometern die auf 1.963 m üNN gelegene Alp Natons. Eine Alpbeiz (Jausenstation) lädt Wanderer zum Verweilen ein. Sehr schön soll von hier oben der Blick hinunter auf den fast 300 Meter tiefer gelegenen Stausee Lai da Marmorera sein. Zumindest in der Theorie, denn in der Praxis verhindern dichte Wolken rundum jeden Panoramablick.
So können wir uns ganz auf unsere „Laufarbeit“ konzentrieren. Und die führt, von kurzen laufbaren Passagen abgesehen, auf einem ausgesetzten Single Trail in immer neuen Windungen am Hang entlang durch das nun offene Gelände steil in die Höhe. Wenn es landschaftlich auch nicht viel zu sehen gibt, so ist dieser Abschnitt doch durch eine Begegnung der besonderen Art geprägt. Drei Ziegen, davon zwei respektablen Kalibers mit beeindruckenden Rundhörnern, nutzen just unseren Trail für den gemütlichen Aufstieg und sehen ganz und gar nicht ein, für die Läufer zur Seite zu treten. Doch lassen sie sich zum Glück auch sonst nicht beirren, und so gelingt es einem nach dem anderen, sich vorsichtig vorbei zu schlängeln.
In einer Senke wird die Sicht kurzzeitig etwas klarer, aber schon weiter vorn und oben verliert sich die Läuferschlange wieder im Wolkennebel. Nach etwa fünf Kilometern erreichen wir den mit 2.255 m üNN höchsten Punkt des ersten Streckenabschnitts. Herrlich soll die Aussicht sein, die man beim Weg über den Kanonensattel (2.214 m üNN) genießen kann, doch dieser Lohn der Mühen bleibt uns heute verwehrt und so dürfen wir uns sogleich dem steilen Abstieg widmen.
Hinab führt der Pfad in Richtung Alp Flix, einer Hochebene auf knapp 2.000 m üNN, in der sich durch stehende Gewässer eine Moorlandschaft gebildet hat. Sichtkontakt zur Alp bekommen wir aber erst, als wir die Wolkendecke durchbrechen und sie schon fast erreicht haben.
In der Hochebene in Saltegnas angekommen, werden wir am ersten Sanitätsposten von ein paar Zuschauern begrüßt. Auf einem ungewohnt bequemen und flachen Naturweg laufen wir geradewegs dem Hotel Piz Platta am Rande von Tigias entgegen und schwenken dort gen Westen ab.
Weit reicht der Blick über die grüne Ebene mit ihrer üppigen, wenn auch nur bodennahen Vegetation. Von weitem sehe ich schon ein schlichtes Gemäuer einsam in der Landschaft thronen. Erst beim Näherkommen verrät ein kleiner Turm seine Bestimmung. Es ist das Kirchlein Son Roc. Hinter den trutzigen grauen Wänden verbirgt sich eine uralte Kapelle, die an die Zeit erinnert, als vor 600 Jahren das Hochmoor der Alp Flix von Walsern besiedelt und kultiviert wurde.
Mit Son Roc endet auch schon unsere Stippvisite auf der Alp Flix. Hinter dem Kirchlein führt uns der Weg durch den Wald schnell und immer tiefer hinab. Von weit oben sehe ich schon den Weiler Sur malerisch im Tal liegen. Und noch etwas: Sonnenbeschienen erstrahlen die Häuser in den umliegenden Almwiesen.
Mitten durch den Ort geht es hindurch und gleich noch ein Stück weiter hinab ins Tal, bis wir nach elf Kilometern Mulegns (1.481 m üNN) erreichen. Mit 28 Einwohnern war Mulegns einst kleinste Gemeinde Graubündens, bis der Ort, wie Savognin in die Gemeinde Surses fusioniert wurde. Das historische Posthotel Löwen im Ortszentrum an der Route am Julierpass ist ein Zeitzeuge aus der Zeit der Postkutschen. Zur Blütezeit stiegen hier jährlich 22.000 Gäste ab, das ist jedoch lange her. Aber noch immer strahlt das Hotel den Charme alter Tage aus.
Am Ortseingang von Mulegns erwartet uns die erste Verpflegungsstation. Ich genieße den Moment der Ruhe, ohne Laufrucksack auf dem Rücken. Um 14:30 Uhr schlägt hier das Zeitlimit zu, aber das muss niemand schrecken. Ein wenig Muße sollte man sich gönnen, denn 1.200 Meter Anstieg stehen uns auf den nächsten zehn Kilometern bevor.
Erst- und einmalig auf unserem Kurs müssen wir in Mulegns die durch das Val Surses führende Hauptstraße queren. Posten sichern ab, dass wir ohne Gefahr und Warten die Straße queren können. Als sich ein Autofahrer mittels Hupen beschwert, wird er postwendend zurechtgestutzt.
Auf der anderen Seite der Julierstrasse geht es sogleich und durchgehend wieder bergan, wechselweise über eine breite, mäßig steile Schotterpiste und, abkürzend, immer wieder über einen durch den Wald steil emporsteigenden Pfad.
Die Piste endet nach 15 km in dem kleinen Dorf Tga, auf 1.924 m üNN am Eingang des Hochtales Val Gronda gelegen. Zwischen den malerischen alten Holzhäusern ist eine weitere Verpflegung eingerichtet. Und auch hier sollte man sich ein wenig Zeit nehmen - wegen des schönen Ortes, vor allem aber, weil die nächste Verpflegung 15 Kilometer entfernt liegt.
Auf einem zunächst flachen Weg, begleitet vom Rauschen des Gebirgsbaches Ragn da Val Gronda und durch blühende Wiesen, stoßen wir in das anfangs weite Hochtal vor. Die das Tal begrenzenden schroffen Berghänge verschwinden nach oben im Nichts der Wolkenbänke. Verborgen bleibt mir so, dass sich vor mir das Massiv des Piz Platta bis auf 3.392 m üNN auftürmt.
Ein kurzzeitig steiler und steiniger Pfad bringt mich schließlich höher hinauf in das sich verengende Tal. Durch die grünen Almwiesen schlängelt sich der holprige Weg nurmehr leicht, aber permanent ansteigend bis zum fernen Horizont dahin. Immer wieder sind kleine Bäche zu queren. Das Band der Läufer hat sich so weit auseinandergezogen, dass diese vor und auch hinter mir nur noch als kleine bunte Punkte wahrnehmbar sind. Ein Gefühl von Weltabgeschiedenheit vermittelt diese einsame Gegend. Kühler und windiger wird es und näher rückt die Wolkendecke über mir.
Ein rechterhand einen abschüssigen Hang in Serpentinen hinaufführender Weg, an dessen Oberkante zwei winzige Gestalten zu verharren scheinen, weckt in mir zum ersten Mal das Gefühl, der Passhöhe nahe zu sein. Merklich spüre ich, wie mir die Höhenluft die Energie raubt. Immer wieder muss ich verharren und durchschnaufen, während ich langsamen Schrittes den Hang erklimme. Mit Erreichen besagter Hangkante darf ich wie so oft feststellen: Oben zu sein heißt noch längst nicht oben angekommen zu sein.
Weiter geht es hinauf über den nunmehr primär gerölligen, vegetationsarmen Untergrund. Mehr und mehr kämpft sich hier aber nun die Sonne durch die Wolken und lässt beindruckende Licht-Schatten-Spiele in der Landschaft entstehen. Wie ein Adrenalinschub wirkt dies auf mich, lassen mich diese Bilder die Mühen des Anstiegs sehr viel leichter ertragen. Motivation ist eben alles, auch hier.
Ein erhabenes Gefühl ist es, als ich nach 21 Kilometern endlich einen einsamen Wegweiser erreiche und dort lesen darf: „Fuorcla Curtegns 2658 m“. Ein paar Momente halte ich an der Passhöhe inne, genieße die Szenerie und die Tatsache, den höchsten Streckenpunkt des heutigen Kurses bewältigt zu haben.
Eine steinige Mondlandschaft gilt es jenseits der Passhöhe zu queren. Die Wildheit der Bergwelt wird durch die Wolkenfetzen verstärkt, die zwischen den schroffen Gipfelregionen herumziehen und immer neue faszinierende Bilder entstehen lassen. Durch schieferigen Schotter führt mich der Pfad steil hinab in die Tiefe, bis zu einer kleinen grünen Anhöhe mit zwei einsamen Tümpeln.
Hier schwenkt der Kurs nach rechts, hinab in das karge, bis zum fernen Horizont reichende Val Curtegns. Bis auf 3.262 m üNN überragen die Felsspitzen des Piz Forbesch rechtsseitig das Tal, aber Wolkenbänke verhindern weiter den finalen Gipfelblick. Nichtsdestotrotz: Eine eindrucksvolle Szenerie, umso mehr, als ich weiß, dass diese nun meinen Laufkurs bestimmt.
Auf steinigen Pfaden geht es hinab bis in den Talgrund und dort immer weiter talauswärts. Spannend und nicht ohne Tücke ist der Weg durch das Tal. Mal sind es im dichten Wiesengrün kaum sichtbare tiefe Auswaschungen, die die Aufmerksamkeit fordern, mal sind tiefe Gräben, die von Wildbächen in den Boden gerissen wurden, zu queren. Immer öfter taucht die Sonne die unberührte Landschaft in warmes Licht.
Inmitten der Einsamkeit passiere ich einmal mehr einen der entlang des Kurses platzierten Sanitätsposten. Ansteckend ist die gute Laune der meist jungen Leute, die hier den Tag damit verbringen, über das Wohl der kleinen Läufergemeinde zu wachen.
Hinter einer Talbiegung lassen ferne Häuschen erahnen, dass unser nächstes Zwischenziel nicht mehr fern ist. Doch die Kilometer durch das im Talausgang zunehmend ausufernde, wenn auch trockene Bachbett und über die angrenzenden Almwiesen ziehen sich.
Es ist 17 Uhr und damit sechs Stunden seit dem Start, als ich nach 30 Kilometern das immerhin noch 1.864 m hoch gelegene Maiensäss-Dorf Radons erreiche. Maiensäss bezeichnet eine gerodete Alm mit Hütten und Ställen und genauso schaut es auch aus. Inmitten des Idylls des gepflegten Hüttendorfs ist der ersehnte Verpflegungsposten platziert. Warme kräftige Bouillon und Cola beleben meine Lebensgeister und sitzend gönne ich mir eine Auszeit von zehn Minuten.
Die Pause tut gut. Frisch gestärkt und motiviert gehe ich den dritten und letzten Anstieg des heutigen Rundkurses an. Sogleich steil führt ein Pfad hinter Radons über zunächst sumpfige Wiesen nordwärts immer weiter in die Höhe. Herrlich ist der Blick zurück ins Tal und selbst die Wolkenbänke haben zu so später Stunde ein Einsehen und geben endlich den Blick frei auf die Spitzen des Piz Forbesch und des sich daran anschließenden Piz Arblatsch.
Fast ohne Unterlass geht es immer weiter hinauf, bis auf 2.154 m Höhe. Der Pfad mündet hier in eine fahrbare Schotterpiste, die als Höhenweg am Hang entlang mitten durch die Almwiesen zur Alp Somtgant und damit ins Skigebiet der Region führt. Einsame Masten der Liftanlagen zeigen, wo im Winter der Sportbetrieb tobt. Nach 33,3 km passiere ich die um diese Zeit verwaiste Bergstation der von Savognin herauf und sodann noch höher gen Piz Martegnas (2.661 m üNN) weiterführenden Bergbahn.
Weit reicht der Blick von hier oben auf die achthundert Höhenmeter tiefer gelegenen Dörfer des Val Surses. Aus der Vogelperspektive gut sichtbar wird, wie nah sie beieinanderliegen. Rein per Luftlinie betrachtet wäre es von hier also nicht mehr weit nach Savognin. Aber noch sind gut zehn Kilometer zu bewältigen, bis die verbleibende Wegschleife über die Ziellinie führt.
Jenseits der Bahnanlagen führt der Pfad, mal neben, mal über die Skipiste jäh in die Tiefe und mündet in einen in Serpentinen durch den Wald hinab führenden Fahrweg, dessen Kurven durch dicke hellrote Polster gesichert sind und ihn so als Rodelstrecke outen.
Im Downhillflow merke ich erst gar nicht, dass die sonst so häufigen Wegmarkierungen in Form auffälliger roter Flatterbänder fehlen und denke mir auch nicht so viel, weil der Weg alterativlos erscheint und zudem ein Mitläufer hinter mir auftaucht, der nur meint, dass die Richtung schon stimmen müsse. Ich folge noch ein Stück weit, ziehe dann aber doch die innere Reißleine und marschiere schweißtriefend und innerlich fluchend im Stechschritt zurück. Mit Erleichterung entdecke ich nach gut zehn Minuten eine Wegmarkierung, die eindeutig auf einen vom Weg über die Almwiesen weiterführenden Pfad weist. Nur hinschauen muss man eben.
Unweit des Fahrwegs geht es vorbei an einsamen Berghäusern und ich frage mich, ob Fahrweg und Laufpfad irgendwann nicht doch wieder zusammengefunden hätten. Ich weiß es nicht. Als ich zwischen ebensolchen Hütten nach 35,7 km den letzten Verpflegungspunkt Tigias (1.660 m üNN) erreiche, bin ich jedenfalls der einzige Gast. Einmal mehr darf ich die Aufgeschlossenheit und Freundlichkeit der Helfer erleben.
Mit frisch gefüllter Trinkflasche breche ich auf zur finalen Etappe. Ein durchaus spannender Weg führt am Hang entlang durch einen Wald, mal als Wurzelparcours, dann auch mal über Bretterstege durch feuchtes Gelände. Jenseits einer einen Bergbach querenden Holzbrücke entdecke ich im Abbruch eines Steilhangs zahlreiche Erdpyramiden, kurzlebige durch Erosion geschaffene Kunstwerke der Natur.
Im Wechsel von breiten, bequemen Wegen und weichen Wiesenpfaden geht es immer weiter hinab. Näher rücken die Dörfer im Tal. Die Abendsonne taucht die umgebenden Berge und die davor verharrenden letzten Wolkenreste in warmes Licht – eine schöne, friedvolle Szenerie.
Geradewegs geht es schließlich dem Dorf Riom, gleichfalls Teil der Gemeinde Surses, entgegen. Nach 41,5 km laufe ich in den wie ausgestorben wirkenden Ort ein. Dass dieses Dorf in besonderer Weise künstlerisch-kulturell angehaucht ist, merke ich sofort, etwa an einer Gruppe weißer Säulen oder an der blumig-rot gestalteten Außenfassade der alten Gemeindekanzlei. Mitten durch das Dorf führt der Kurs. Vorbei an der hübschen Pfarrkirche St. Laurentius rückt schnell die architektonische Hauptattraktion ins Bild: Die etwas abseits und erhöht stehende Burg Riom (1.221 m üNN). Dem äußeren Erscheinungsbild erinnert diese zunächst eher an eine Kirche. Doch der bereits aus dem Jahr 1.240 stammende wuchtige, schmucklose Baukörper mit den schmalen Fensterschlitzen und der angegliederte kantige Turm offenbaren die Wehrhaftigkeit bei näherem Hinschauen schnell als eigentlichen Zweck.
Auf einem bequemen Naturweg lasse ich Riom hinter mir. Gemütlich geht es zwischen reifen Kornfeldern hindurch und am gar nicht mehr fernen Horizont erblicke ich Savognin.
Entlang der rauschenden Julia macht der Kurs nach 42,8 km aber vorher noch Station am Lei Barnagn. Im Sommer ist dieser ein beliebter und gut erschlossener Badesee der Savogniner, im Winter, nach Ablassen des Wassers, dient er - wie praktisch - als großer Parkplatz für die Bergbahnen. Der abendliche Blick zurück über das blinkende Wasser mit der Burg Riom im Hintergrund ist ein besonderer.
Quasi durch die Hintertür werden die Läufer von hier aus am Ortsrand durch die Straßen gen Zielgelände gelotst. Ich sehe es noch gar nicht, da höre ich schon meinen Namen, vom Zielmoderator angekündigt, herschallen. Nur sehr vereinzelt laufen die Finisher jetzt noch ein, aber ein jeder wird von den an langen Tischen bei Bier und Bratwurst nachfeiernden Gästen mit Beifall bedacht mit einer ausgefallenen „Medaille“ in Form eines stilisierten hölzernen Steinbocks behängt.
Gerade noch rechtzeitig vor der Dunkelheit habe ich es nach neuneinhalb ins Ziel geschafft und meine Stirnlampe demnach umsonst durch die Berge geschleppt. Aber man weiß ja nie und Zielschluss ist erst um Mitternacht. Je später die Nachtstunde rückt, desto einsamer wird es auch im Ziel, aber gewartet wird dennoch, bis auch der letzte Trailer das Ziel erreicht.
Gefallen hat es mir, sehr gut sogar. Und auch das Wetter hat gehalten, war läuferisch geradezu ideal. Einmal mehr haben die Veranstalter das richtige Händchen für einen wirklich erlebnisreichen Trailkurs durch die Bergwelt Graubündens gezeigt und das Ganze auch perfekt organisiert. Ein gelungenes Comeback kann ich dem Swiss Irontrail da nur bescheinigen. Und hoffen, dass dieser Kurs nicht so schnell wieder der Innovationsfreude zum Opfer fällt. Zumindest für nächstes Jahr bleibt er jedenfalls „gesetzt“.
Laufberichte | ||||||
01.07.23 | Hochalpiner Genuss im größten Naturpark der Schweiz |
Hendrik Dörr | ||||
09.08.13 | T41: Einsteigerlauf für Fortgeschrittene |
Klaus Sobirey | ||||
06.07.12 | So war's beim Iron Trail |
Max Schiefele |