Auf Korsika wurde mein Interesse am Trailrunning geweckt. Damals wusste ich noch nicht, was das ist. Ich hatte ein paar Stadtmarathons gelaufen, aber mehr oder weniger, um mein Gewicht niedrig zu halten und um beim Bergsteigen fit zu sein.
Ich war mit der Familie zum Wandern im Restonica Tal, als uns eine Gruppe Läufer entgegenkam. Sie liefen in einem Tempo, das ich nicht auf der Bahn zustande bringe, über den verblockten Wanderpfad. Es wurden immer mehr, bis schließlich am Ende die Schlussläufer mit ein paar Verletzten an uns vorbeihumpelten. Total bekloppt! Das kann man doch nicht laufen, dachte ich damals.
Mitten in Corte verfolgten wir beim Abendessen im Straßencafé den Zieleinlauf der Ultraläuferinnen und Läufer. Total abgekämpft, aber überglücklich überquerten sie die Ziellinie. Irgendwann an diesem Abend habe ich beschlossen, mir diesen Sport mal genauer anzuschauen. Ich hatte Blut geleckt.
Das ist lange her. Aber in Corte habe ich mich tatsächlich in diesen Sport verliebt. Nach Korsika habe ich es aber bisher nie zu einer Veranstaltung geschafft. Dabei kenne ich viele Strecken auf der Insel der Schönheit, die ich auf unseren häufigen Familienurlauben dorthin ausgiebig erkundet habe. Das korsische Aushängeschild ist der Fernwanderweg GR 20. Hart und ruppig geht es auf 180 Km über die korsische Bergwelt. Aber auch die schroffe Westküste hat einiges an spektakulären Trails zu bieten.
Im Oktober kann man beim Corsica Coast Trail (CCT) schon zum zwanzigsten Mal die Insel vom Cap Corse im Norden, bis zur Südspitze in Bonifacio entdecken. Sechs Etappen erschließen dabei die schönsten Abschnitte und bieten mit moderaten Tagesetappen zwischen 12 und 50 Kilometern den perfekten Abschluss einer harten Saison.
Schon beim Betrachten der Streckenkarte komme ich ins Schwärmen und es fällt mir nicht schwer, meine Lauffreunde Burkhard und Astrid für den Lauf zu begeistern.
Wir starten am Flughafen in Straßburg und sind nach einem kurzen Flug in Bastia, wo uns ein Shuttle erwartet. Yola vom Physioteam fährt uns im strömenden Regen entlang der Küste des Cap Corse zu unserem ersten Hotel in Macinghju (korsiche Schreibweise) oder Macinaggio, wo wir auf die anderen Teilnehmenden treffen. Etwa die Hälfte läuft die komplette Woche. Die andere Hälfte läuft nur den Trail Nord, also die ersten drei Etappen. Wir sind die einzigen Deutschen. Ansonsten gibt es noch Hans aus Belgien. Der Rest kommt aus Frankreich.
Maccinaggio war schon zu Römerzeiten ein Hafen. Von hier wurde Wein und Olivenöl nach Italien verschifft. Zum Wohnen war es an der Küste aber wegen der häufigen Piratenüberfälle zu gefährlich. Dazu verschanzte man sich lieber in den schwer zugänglichen Bergdörfern. Hier beginnt die erste Etappe unseres korsischen Abenteuers auf dem Sentier des Douaniers (Zöllnerpfad), der zur Bekämpfung des illegalen Handels entlang der kompletten Küste angelegt wurde.
Nach dem Frühstück laden wir unser Gepäck in den Bus. Das Dropbag für die Zielankunft legen wir auf unseren Sitz. Das wird ab jetzt Standard. Dann schlendern wir an den Hafen, wo am Strand gerade der Startbogen aufgeblasen wird. Ein paar Wolken und der nasse Sand erinnern an den Regen, der bis heute Morgen angehalten hat. Aber die Sonnen blinzelt immer wieder durch die Lücken. Perfektes Laufwetter.
Ein letztes Briefing und schon starten wir durch tiefen Sand zu unserer ersten Etappe. Anfangs geht es recht flach entlang schöner Sandstrände. Auf den Pfaden stehen noch große Pfützen, denen man aber leicht ausweichen kann. In ständigem Auf und Ab laufen wir von Bucht zu Bucht. Immer in Sichtweite sind die Reste von Genuesertürmen, die früher untereinander Sichtverbindung hatten, um vor den nordafrikanischen Piraten zu warnen. Kommuniziert wurde mit optischen Signalen.
Je weiter wir nach Westen kommen, umso felsiger und wilder wird die Landschaft. Ein paar Kühe weiden auf den wenigen kahlen Flächen, die überraschend grün sind. Ansonsten ist die Küste mit der auf der Insel allgegenwärtigen korsischen Macchia bewachsen. Ein Gestrüpp aus Myrte, Rosmarin, Wacholder und Ginster. Dazu Olivenbäume, Baumheide und Erdbeerbäume, die reife, rote Früchte tragen, aus denen eine feine Marmelade gekocht werden kann, wie uns ein korsischer Mitläufer verrät. Auf den Stechginster könnte ich gerne verzichten, dafür sind aber Myrte und Rosmarin am Blühen und erfüllen die Landschaft mit ihrem typischen Duft. Wir fühlen uns, wie im Laufparadies.
Wir steigen auf einen Bergrücken, da die Küste hier recht zerklüftet ist. Zur Rechten immer wieder Ausblicke auf die malerischen Buchten, die jetzt tief unter uns liegen. Dann steigen wir durch ein Felslabyrinth wieder ab zur Küste, wo wir nach wilden 24 Kilometern unser heutiges Etappenziel in Centuri Port erreichen. Der kleine Naturhafen spielte trotz seiner geringen Größe bereits in antiken Zeiten eine große Rolle.
Uns erwartet am Gemeindezentrum ein reichhaltiges Buffet mit Suppe und CousCous. Dazu korsisches Bier mit Kastanienmalz und hinterher ein leckeres Dessert. Ich lasse mir die Beine massieren und genieße die warme Sonne, bevor uns der Bus zum Startort der nächsten Etappe fährt. Für den Pool ist es schon zu spät.
Wie jeden Abend, wartet um acht Uhr das Abendessen auf uns. Das war eine perfekte erste Etappe. Hart, wild und trotzdem voller Schönheit. So wie ich Trails liebe.
Nach dem Frühstück bringt uns der Bus zum Start an den langen Sandstrand von Saint-Florent. Der Ort war bereits von den Römern besiedelt und ein wichtiger Handelsstützpunkt. Die Genueser errichteten im 15. Jahrhundert hier eine Festung, die immer noch über der Altstadt thront. Wir durchqueren heute die Désert des Agriates.
Noch bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts war der Küstenstreifen fruchtbares Acker- und Weideland. Aber Erosion, Brandrodung und eine Überbeanspruchung des Bodens verwandelte den fruchtbaren Küstenstreifen in eine felsige Steinwüste.
Der Streckenchef mahnt zur Vorsicht vor den vielen Flussdurchquerungen, die heute anstehen. Der viele Regen der letzten Tage und Wochen hat die sonst winzigen Bachläufe zu kleinen Flüssen anschwellen lassen. Es wird auf den knapp vierzig Kilometern auch nur eine Verpflegungsstation geben, da die Wege in dem unbewohnten Gebiet unpassierbar geworden sind. Ansonsten erwartet uns heute eine lange, aber flache Etappe zu den schönsten Stränden im Norden der Insel.
Beim Start brennt bereits die Sonne vom wolkenlosen Himmel. Immerhin ist der Sand vom Regen noch nass und gut laufbar. Wir queren unzählige kleine Buchten. Dazwischen felsige Wege, aber auch sandige Abschnitte. In jeder Bucht gibt es nasse Füße bei der obligatorischen Bachdurchquerung. An besonders tiefen Stellen haben sich Streckenposten platziert. Die Strecke ist ein absoluter Traum.
Wir laufen immer dicht an der Küste. Vor uns in der Ferne immer sichtbar der mächtige Felsrücken des Cap Corse. Mal ein Genueser Turm, dann wieder ein Traumstrand. Menschenleer, mit weißem Sand. Türkisfarbenes Wasser. Dahinter das frische Grün der duftenden Macchia. Ich kann mich gar nicht satt sehen. Bei der Bachdurchquerung im kniehohen Wasser wate ich durch das angeschwemmte Seegras. Sobald ich stehen bleibe, beginne ich im Schlamm zu versinken. Also schnell weiter und durch.
An manchen Stränden liegen Kühe in der Sonne. Am Plage de Saleccia sind auch ein paar Menschen. Dort gibt es einen Campingplatz, der aber zurzeit selbst mit Allrad nur sehr schwer zu erreichen ist. Dort war unsere Verpflegung geplant. Die befindet sich nun ein Stück landeinwärts an einer kleinen Steinhütte. Es ist warm und das Wasser ist knapp geworden. Wieder zurück am Meer wird es felsiger. Wir sind jetzt endgültig auf der Westseite der Insel angekommen und der stark verwitterte Granit wechselt seine Farbe.
Auf einem sandigen, steilen Anstieg überqueren wir einen Bergrücken. Oben angekommen, gibt es eine unerwartete Wasserstelle für uns. Die kam gerade rechtzeitig, denn es ist sehr warm und es sind noch zehn Kilometer bis zu unserem Tagesziel, das jetzt schon in der Ferne zu erkennen ist.
Den Felsrücken des Cap Corse haben wir hinter uns gelassen. Im Süden erblicken wir mächtige Gebirgsketten. Das Rückgrat der Insel. In der Ferne erkennt man Ile Rousse, die nächste Stadt in der Balagne. In dieser Gegend habe ich viele Urlaube verbracht und viele schöne Erinnerungen kommen mir beim langen Abstieg zur Küste in den Sinn.
Karge Felsen und steinige Pfade führen entlang kleiner Buchten. Ab und zu idyllische kleine Sandstrände. Bei einer Flussdurchquerung versinke ich bei starker Strömung im weichen Sand. Burkhard geht es genauso und wir können eine Schwimmpassage gerade noch vermeiden. Leichte Wolken schieben sich vor die Sonne und sorgen so für angenehme Temperaturen.
Wir erreichen die weitläufige Bucht von Ostriconi. Ein paar Menschen baden am wilden Strand. Noch eine letzte Flussdurchquerung, dann steigen wir auf zu einem Fahrweg, der uns zum heutigen Ziel bringt. Am geschlossenen Campingplatz werden wir wieder mit allerlei Köstlichkeiten verwöhnt und warten gemeinsam, bis der letzte Teilnehmer im Ziel ist.
Vierzig anstrengende Kilometer liegen hinter uns. Wir schwärmen noch den ganzen Abend von den traumhaften Trails und den vielen Eindrücken, die wir heute sammeln konnten. Den Abend verbringen wir in Algajola, ein kleiner Ferienort, den ich von Familienurlauben gut kenne. Gerne hätte ich Astrid und Burkhard meine Lieblingslaufstrecke über die Gebirgdörfer zum Mont Angelu gezeigt, aber dafür ist es schon zu spät und die Beine sind zu schwer.
Am nächsten Morgen geht es früh nach Galéria zur dritten Etappe. Diesmal starten wir nicht am Strand, sondern in der Mitte des Dorfes, direkt vor der kleinen Kirche. Nach wenigen Metern durch den Ort, folgen wir einem kleinen Bach, den wir unzählige Male durchqueren. Am Anfang versuche ich noch trockene Schuhe zu behalten, aber der Pfad wird immer unwegsamer und ein Ausweichen ist nicht mehr möglich.
Wir steigen steil bergan, oft auch direkt durch das Bachbett. Die Felsen sind mit Moos überwachsen und alles ist feucht in diesem Märchenwald. Viele Kastanien liegen auf dem Boden. Ein Fest für Wildschweine. In der Höhe haben wir immer wieder schöne Ausblicke zu den Buchten im Norden. Wir sind jetzt im Naturschutzgebiet La Scandola, das sich als Halbinsel nach Westen erstreckt.
Ein langgezogener Grat verlangt einige Kletterpassagen. Auf dem nassen Fels rutsche ich aus und habe Glück, dass ich mich nicht verletze. Obacht ist angesagt. Immer wieder wird man durch die grandiose Aussicht abgelenkt. Links von uns reicht der Blick bis zur Bucht von Porto. Rechts die weiten Buchten um Galéria. Neugierige Ziegen interessieren sich von allem für unsere salzigen Beine. Die spektakuläre Wegführung endet nach langem, steinigem Abstieg in Girolata, einem kleinen Weiler mit genuesischer Festung, der nur von der Wasserseite aus mit dem Boot oder landseitig zu Fuß zu erreichen ist. Dort ist am Strand unsere Verpflegung aufgebaut. Ein paar Tagesgäste sind mit dem Boot gekommen und bestaunen uns.
Auf der anderen Seite der Bucht steigen wir an den schroffen, roten Felsen wieder steil bergauf. In der Tiefe glitzert glasklar das Wasser in den wild zerklüfteten Klippen. Hinter uns liegt malerisch die kleine Festung. Wir steigen ab zum schönen Plage a Stella und weiter zum Plage de Tuara. Ein paar Kühe und wenige Badegäste liegen am Strand. Bei der obligatorischen Flussquerung mache ich mir gar nicht mehr die Mühe, über irgendwelche Steine zu balancieren. Nasse Füße waren auch heute der Normalzustand.
Auf einem schönen Maultier-Pfad erreichen wir unser Tagesziel, den Weiler Osani, wo an der Dorfkirche die Verpflegung aufgebaut ist. Es erwartet uns eine lange Busfahrt nach Ajaccio. Wir durchqueren dabei die Calanche di Piana. Eine bizarre Felsenlandschaft aus rotem Granit. Typisch für die Gegend sind die ausgehöhlten Granitblöcke, die sogenannten Tafoni, die als skurrile Skulpturen die winzige Straße säumen.
So spektakulär wie die Felsen, sind auch die Fahrkünste unseres Busfahrers, der das Bus-Ungetüm zum Leidwesen der entgegenkommenden Fahrzeuge millimetergenau um die Felsen zirkuliert. Diese leuchten geradezu in der Abendsonne. Vierhundert Meter darunter glitzert das Meer. Ein würdiger Abschluss für die heutige Etappe. Schluss ist auch für die Läuferinnen und Läufer, die nur die drei Etappen des Trail Nord gebucht haben. Für die findet am Abend vor dem Essen die Siegerehrung statt. Wir haben dafür morgen einen Ruhetag, den wir mit der Besichtigung von Ajaccio verbringen.
Ajaccio ist die Hauptstadt der Insel und Geburtsort von Napoleon Bonaparte, der ein Jahr nach der Machtübernahme durch die Franzosen hier geboren wurde. Sein Geburtshaus ist zu besichtigen. Wir belassen es beim Besuch einer Pizzeria im Jachthafen. Es ist ja ein Ruhetag.
Am Nachmittag nehme ich ein Bad am Hotelstrand. Das Wasser ist glasklar und angenehm warm. Beim Abendessen begrüßen wir die neuen Gäste, die den Trail Sud gebucht haben. Wir sind froh, dass es morgen weiter geht. Zu viel Ruhe bringt uns nur aus dem Rhythmus, der diese Woche aus Schlafen, Laufen und Essen besteht.
Die heutige Etappe beginnt mal nicht an der Küste, sondern an der Bocca di Gradello in den Bergen. Die Straße dorthin ist so winzig, dass wir oben am Pass den Startbogen direkt auf der Fahrbahn aufstellen können. Die Künste unseres Busfahrers hatte ich schon erwähnt.
Die Strecke ist heute sehr roulante, also gut zu laufen. Hauptsächlich geht es bergab. Schöne Ausblicke aufs Meer und die schönen Buchten wechseln sich mit kleinen Dörfchen und Märchenwald ab. Die perfekte Etappe zum Einlaufen der neu dazugekommenen Läuferinnen und Läufer. Ab und zu ein wenig Gekraxel auf felsigen Steigen rundet die Etappe ab und nach nur siebzehn Kilometern haben wir das Ziel am Strand von Porto Pollo (korsisch: Portipoddu) erreicht. Leider habe ich keine Hose zum Wechseln im Dropbag, sonst würde ich auch noch ein Bad im Meer nehmen.
Die Nacht verbringen wir in dem bekannten Bergdorf Sartène. Bei der Stadtbesichtigung beginnt es zu regnen. Mit einem Bier und einer Charcuterie Corse im Café auf dem Dorfplatz, verbringen wir die Zeit bis zum Abendessen. Morgen startet die längste Etappe mit 49 Kilometern und wir sind einigermaßen aufgeregt. Es ist schlechtes Wetter vorausgesagt und die Strecke ist auch kein Zuckerschlecken.
Als wir am Strand von Campumoro ankommen, steht schon der Startbogen. Dahinter thront der höchste aller genuesischen Türme, die auf Korsika gebaut wurden. Die erste Verpflegung kommt erst bei km 25, weil alle Wege davor unpassierbar geworden sind. Heute erwarten uns wieder Traumstrände und eine wild zerklüftete Küste. Dazwischen die roten Felsen aus Granit und blühende Macchia.
Nach Passieren des Turms geht es durch ein Felslabyrinth von Tafoni Steinen. Direkt am Wasser gibt es dabei einige Kletterpassagen. Danach überraschenderweise Passagen über grüne, saftige Wiesen, die ich so nicht erwartet hatte. Dann wieder sandige und steinige Wege zu schönen kleinen Stränden. Alles menschenleer. Astrid ist schon sprichwörtlich über alle Berge. Wir sind ihr mal wieder zu langsam.
Über dem Meer braut sich ein Unwetter zusammen und anfangs hoffen wir noch, dass es nördlich an uns vorbeizieht. Als das tiefe Grollen immer näherkommt und der Wind auffrischt, ziehen wir schnell unsere Regenjacken an. Und gleich darauf geht die Party los. Blitze zucken und ein Wolkenbruch geht über uns herunter. Riesige Tropfen peitschen uns ins Gesicht. Innerhalb weniger Sekunden wird aus unserem Weg ein reißender Bach.
Wir überlegen, an einem der großen Felsen Schutz zu suchen, aber alles ist nass und wenn dort ein Blitz einschlägt, sind wir auch nicht sicher. Der Donner sagt uns aber, dass das Gewitter nicht in unmittelbarer Nähe ist. Also waten wir weiter durch das Wasser und hoffen, dass das Unwetter bald vorübergezogen ist. Das Wasser steht jetzt überall, aber die Wege sind noch recht gut zu erkennen und nach einer halben Stunde ist der Spuk vorbei. Es regnet noch ein wenig, aber kurz darauf können wir die Regenjacken wieder ausziehen. Immerhin sind die Sandabschnitte im nassen Zustand gut zu laufen. Ansonsten stehen immer wieder große und auch tiefe Pfützen auf der Strecke. Oder der Weg ist gleich zu einem Bach geworden, auf dem das Regenwasser immer noch abfließt. Am Strand von Tizzano erreichen wir nach 25 Kilometern die erste Verpflegung. Wir füllen unsere Wasserflaschen auf. Die nächste Verpflegung kommt erst in fünfzehn Kilometern.
Nach dem Strand geht es steil nach oben durchs Unterholz. Der Weg scheint nur von Wildschweinen genutzt zu werden. Wir zerkratzen uns die Beine und müssen auch mal auf allen Vieren durch das wilde Felslabyrinth klettern. Der Weg ist oft nur zu erahnen und so verlaufen oder besser, verklettern wir uns an zwei Stellen. Dann wird der Pfad aber besser und wir erreichen unseren ersten langen Sandstrand.
Die Strecke ist ein Traum. Flache Felspassagen und schöne Sandstrände wechseln sich ab. Dazwischen Sand- und Felswege durch die dichte Macchia. Oft müssen wir knietief durch die Pfützen waten, aber wenigstens bleibt es von oben bis auf ein paar wenige Tropfen trocken. Die Orientierung ist in dem dichtbewachsenen Gelände nicht ganz einfach. Viele kleine Pfade enden im Nichts und wir müssen ständig Ausschau nach dem nächsten Flatterband halten.
Oft zwängen wir uns durch den dichten Bewuchs, der auch mal bis über den Kopf reicht. Alle 50 Meter waten wir durch Pfützen und kleine Bäche, die sich nicht umgehen lassen. Nach dem nicht enden wollenden Traumstrand Plage d’Erbajo steigen wir auf zum Tour de Roccapina, einem mächtigen Genueserturm, von wo wir schon die Verpflegung am gleichnamigen Strand sehen können. Der Lion de Roccapina, ein Fels, der aussieht, wie ein liegender Löwe, überwacht die Szenerie vom Rücken des Caps.
Gut gestärkt geht es auf die letzten acht Kilometer. Noch ein wilder Anstieg, dann sind wir wieder auf guten Wegen durch die Macchia unterwegs. Immer wieder überraschen uns kleine Strände. Weithin sichtbar dann der Tour d’Olmeto am südlichsten Punkt unserer heutigen Strecke. Hier, von der Punta di Caniscione, sehen wir schon das Ziel am kleinen Plage de Furnello.
Dort gibt es zur Belohnung einen deftigen Eintopf und auch die Sonne zeigt sich wieder. Eine fantastische Etappe geht zu Ende. Sie hat uns heute alles abverlangt. Wir haben die Landschaft und sogar das Unwetter sehr genossen. Menschenleere Traumstrände, wilde Fels-Szenerien, idyllische Buchten, blühende Macchia, antike Türme und abenteuerliche Trails mit Kletterpassagen haben heute das ganze Buch des Trail-Laufens vor uns ausgerollt. Das halbstündige Unwetter war für mich dabei das Sahnehäubchen. Das war heute die Königs-Etappe.
Vollgepackt mit diesen fantastischen Eindrücken geht es zum südlichsten Punkt der Insel, nach Bonifacio und damit zur letzten Etappe des Corsica Coast Trails.
Bonifacio thront auf dem Rand von weißen Kalksteinfelsen auf dem südlichsten Zipfel von Korsika. Dominiert wird die Stadt von der historischen Zitadelle, an die sich die historische Altstadt anschließt. Unser Hotel befindet sich wiederum im Anschluss an die Altstadt und vom Frühstückstisch blicken wir nach Sardinien, das nur 12 Kilometer entfernt ist. Nachdem wir das Gepäck zum Bus gebracht haben, gehen wir gemeinsam zum Start in eine historische Markthalle, wo auch schon die Zielverpflegung aufgebaut wird. Heute gibt es eine gemütliche Schluss-Etappe. Knapp sieben Kilometer Sight-Seeing inklusive Zitadelle und Altstadt.
Wir starten bei strahlendem Sonnenschein und laufen erstmal bergab bis an den Hafen. Die Stadt ist noch nicht recht erwacht und so erklimmen wir sie direkt wieder durch die leeren Gassen, bis vor die Zitadelle, wo wir links in Richtung Leuchtturm abbiegen. Der Weg entlang der Klippen erlaubt spektakuläre Ausblicke auf die Stadt, die hoch oben am Felsen klebt. Unter uns das türkisfarbene Meer, über uns der weite Himmel.
Wir laufen bis zum Leuchtturm, um alle Facetten der Küste erleben zu können. Dann geht es durch ein kleines Tal bergab, bevor wir wieder zum Rückweg aufsteigen. Um in die Stadt zu kommen, nutzen wir den Aufgang zur Zitadelle, an die sich übergangslos die Altstadt anschließt. Wir laufen durch kleine verwinkelte Gassen und staunen über die schmalen steilen Treppen, die zu den oberen Stockwerken der hohen Häuser führen. Autos gibt es keine in den Gassen und es sind auch noch nicht viele Touristen unterwegs. Noch relativ früh am Morgen, haben wir die Stadt für uns. Viel zu schnell sind wir wieder im Ziel.
Wir erfrischen uns etwas und warten noch auf die restlichen Läuferinnen und Läufer. Dann ziehen wir uns um und besuchen die Altstadt. Zum Abschluss genehmigen wir uns eine Portion Moules frites auf einer Sonnenterasse mit Blick auf die Steilküste.
Am frühen Nachmittag geht es mit dem Bus wieder ins Hotel nach Ajaccio, wo abends eine gut gelaunte Siegerehrung stattfindet. Immerhin waren wir die schnellsten Deutschen am Start. Alle bekommen ein Finishershirt und eine Tasche mit korsischen Leckereien. Danach wird noch wild getanzt und gefeiert. Leider müssen wir schon beizeiten in die Koje. Morgen müssen wir sehr früh zum Flughafen.
Der Corsica Coast Trail ist eine kleine, aber sehr feine Veranstaltung. Jeden Tag gibt es wahlweise eine lange und eine kurze Strecke. Manchmal auch noch eine mittlere. Es waren immer etwa 50 Personen auf den verschiedenen Strecken, die je nach Lust und Laune kombiniert werden können. Finisher auf der langen Strecke ist man aber nur, wenn man auch alle langen Strecken gelaufen ist. Zeitlimits gibt es nur auf den beiden langen Etappen und auch die sind sehr moderat.
Die Strecken sind landschaftlich sehr, sehr schön. Gut laufbare Abschnitte wechseln sich mit technischen bis schweren Trails ab. Auch die kurzen Etappen sind nicht zu unterschätzen. Wetter und andere Gegebenheiten können zu kurzfristigen Änderungen führen. Man sollte in der Lage sein, autark unterwegs zu sein. Auch ist die Orientierung nicht immer einfach, obwohl die Strecke immer gut markiert war.
Die Veranstaltung ist mit viel Herzblut organisiert. Man fühlt sich von Anfang an als Teil der CCT Familie. Die Unterkünfte waren gut bis sehr gut. Das Essen ebenso. Das Frühstück gab es im Hotel. Bei der Zielankunft gab es immer eine Suppe, ein sehr schmackhaftes Hauptgericht, ein Dessert, Wasser, Bier und Cola. Zudem gab es Massage und Fußmassage.
Das Abendessen im Hotel bestand jeweils aus einer Vorspeise, Hauptgericht, Käse und Dessert. Wasser war dabei auch inklusive.
Die gutgelaunte Orga und das herzliche Helfer-Team lesen jeden Wunsch von den Lippen ab. Die Teilnehmenden sind alle sehr entspannt und freundlich. Wer ein Stage Race ohne großen Trubel in traumhafter Natur erleben möchte, ist hier genau richtig.
Corsica Coast Trail 6 Etappen / 160 oder 80 km
CCT Nord 3 Etappen / 81 oder 39 km
CCT Sud 3 Etappen / 77 oder 40 km
Man kann auch an einzelnen Etappen teilnehmen.