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Laufberichte

Belfast Marathon: Well done - 3 x 200

05.05.24 Special Event
 

Wow, was für ein Marathon! Großartige Beteiligung, Zuschauermassen auf den jeweils ersten und letzten Kilometern, fast durchgängiges Interesse dazwischen, die langen Wechselzonen der Staffeln wahre Hexenkessel, typisch britische Architektur mit manchem Glanzlicht, ideale Wetterbedingungen – es hätte kaum schöner sein können. Aber ich beginne mit dem Fazit, daher erstmal Luft holen und alles zurück auf Null.

„Ich bin bei 186 Marathons, wie sieht's bei Dir aus?“ Diese beiläufige Bemerkung am Ende von Andreas' Nachricht lässt mich schmunzeln. 185 sind's bei mir. Wie wär's mit einer gemeinsamen Aktion zum beiderseitigen 200.? Vielleicht ist sogar Pater Tobias mit ebenfalls seinem 200. dabei. Man hat mir schon schlechtere Vorschläge unterbreitet, daher beginnt die Planung sofort. Vorschläge werden gemacht und wieder verworfen, am Ende einigen wir uns auf Belfast. Eine Stadt, von der ich natürlich gehört habe, mir aber wenig sagt, noch sehr viel weniger der dort veranstaltete Marathonlauf.

Letztlich besteht unsere Reisegruppe dann aus sieben Personen. Zu den Genannten gesellt sich noch Anselm, womit alle Volldistanzler erwähnt wären, Gisela, Jutta und Claudia werden die Stadt als Staffel unsicher machen. Bereits am Donnerstag bin ich vor Ort, solch ein Ausflug muss sich ja lohnen.

Ein erster Morgenlauf führt uns über den sog. Comber Greenway, eine vermutlich ehemalige Bahntrasse, ideales, 12,7 km langes, grünes Laufrevier zwischen den Häusern. Eine Premiere erfolgt, zumindest für mich, am Samstagmorgen in Form des Belfaster Parkruns. Der Parkrun als solcher sagt Dir nichts? Ausgehend von London hat sich die Idee eines kostenfreien, gemeinsamen samstäglichen 5 km-Laufs mit Anmeldung und Zeitmessung in zahlreichen Ländern durchgesetzt. Hier ist es bereits die 384. Ausgabe, die uns den Stormont-Park näherbringt, in dem sich wie auf einem Feldherrnhügel der nordirische Regierungssitz befindet. Eine tolle Aktion, der nicht nur ich mich einfach nicht entziehen kann. Insbesondere, wenn das Hotel unmittelbar gegenüber liegt.

 

 

Natürlich wird auch die Stadt eingehend erkundet. Wenig erwartend und zugegebenermaßen sehr dürftig vorbereitet, bin ich äußerst angetan. Von dem sie durchfließenden Lagan habe ich noch nie gehört. Auch war mir völlig unbekannt, dass die berühmte Titanic hier gebaut wurde. Ein sensationell interessantes Museum, zurecht der ganze Stolz der Stadt, bringt uns neben einer multimedialen Darstellung des Baus der Titanic die traditionsreiche Werftindustrie und andere, damit verwobene Wirtschaftszweige näher.

Im beeindruckenden Rathaus besuchen wir die ebensolche Dauerausstellung zur Stadtgeschichte und zum Nordirlandkonflikt, der den Älteren von uns sicherlich noch präsent sein wird. Ich erspare Euch aber, nur nach vorne schauend, die Darstellung des jahrhundertealten Gegeneinanders von Iren und Briten, Katholiken und Protestanten, und die teils grausamen Einzelheiten bis zum befriedenden Karfreitagsabkommen von 1998.

Große Hoffnung auf ein geeintes Irland setzen beide Seiten auf ein weibliches Duo: Zum ersten Mal nach 103 Jahren steht in Michelle O'Neill eine Katholikin an der Spitze Nordirlands, an ihrer Seite hat sie als stellvertretende erste Ministerin Emma Little-Pengelly, eine Protestantin.

 

 

Die überschaubare, aber doch ordentliche Marathonmesse bietet alles, was man braucht, und einiges mehr. Ratzfatz ist alles eingesackt (Kleiderbeutel mit zwei Flaschen aromatisierten Tees und einige Knabbereien), eine Pastaparty gibt es leider nicht. Das ist aber beileibe kein Drama, die Stadt ist hungrige und durstige Touristen gewöhnt, bietet daher auch uns eine hohe Dichte durchaus ordentlicher Restaurants. Na klar, natürlich haben wir die obligatorischen Fish and Chips nicht verschmäht.

Sehr kurze Wege dann am Sonntagmorgen, denn der Lauf wird gegenüber unserem Hotel im Stormont-Park unterhalb des Regierungssitzes gestartet, wo gestern auch der Parkrun ausgetragen wurde. Der Lauf bedeutet den zeitgleichen Start des Marathons mit 4.379 Finishern und der 2.368 gewerteten Marathonstaffeln. Letztere teilen sich die Strecke in fünf unterschiedlich lange Abschnitte auf. Geht man von durchschnittlich vier Läufern pro Staffel aus, werden es insgesamt wohl zwischen vierzehn- und fünfzehntausend Teilnehmer gewesen sein. Jedenfalls bietet das Läuferfeld auf der stark abfallenden Startgeraden ein beeindruckendes Bild in höchst vornehmer Umgebung.

 

 

Da das Ziel im Ormeau-Park in der Stadt liegt, fährt man uns die abgegebenen Kleiderbeutel genau dorthin. Die Stimmung ist prächtig, nicht nur bei Anselm und uns drei 200er-Aspiranten. Groß ist auch das Presse- und Polizeiaufgebot. Die gelben Ballons des bzw. der Schlussläufer ragen aus der Masse heraus (6 Stunden offizielles Zeitlimit), auf meinem späteren Rückmarsch werde ich einem einsamen Besenläufer wieder begegnen.

Viel Volk, viel Verzögerung, daher dauert es fast acht Minuten, bis ich die Startlinie überschreite. Tatsächlich treffe ich neu gewonnene, einheimische Bekannte: Mit dem gehbehinderten Elektrorollstuhlfahrer, der uns mit seinem Glöckchen anfeuert, hatte ich mich bereits beim Parkrun bekanntgemacht, er erkennt mich ebenfalls unzweifelhaft.

 

 

Freies Laufen ist nach dem Verlassen des Parks schnell möglich, denn die vier Spuren der für den Autoverkehr gesperrten, stadteinwärts führenden Straße stehen uns komplett zur Verfügung. Ein im wahrsten Sinne des Wortes buntes Völkchen ist da unterwegs, links und rechts grüßen zahlreiche christliche Gotteshäuser. Und auch etwas ist deutlich anders als bei uns: Viele Hauswände sind durch beeindruckende Malereien sehr anspruchsvoll gestaltet, bieten etwas fürs Auge und bilden einen schönen Kontrast zu unseren heimischen Schmierereien. 

Schon auf dem ersten Streckenteil zeigt sich die ganze Vielfalt bezahlbarer, britischer Privatarchitektur in Form gleichartiger Doppel- und Reihenhäuser. Etwas weiteres fällt auf und neben der Strecke auf: Das „Ich laufe für...“ hat Hochkonjunktur. Ob für karitative Organisationen spendensammelnd oder an die verstorbene Oma erinnernd, viele sind mit unzweideutig gestalteten Trikots unterwegs bzw. machen sich von außerhalb bemerkbar.

 

 

Fast vier km geht es ausschließlich abwärts, ideal zum Einrollen. Überhaupt hat der Kurs mit etwa 200 Bergabmetern mehr als aufwärts (150). Auch die Plakatdichte ist mit z.T. wirklich witzigen Botschaften (neben den sattsam bekannten) hoch und bei mir immer ein willkommenes Fotomotiv. So langsam arbeite ich mich dann nach vorne. In der Startaufstellung im 4 Std.-Block losgelaufen, kassiere ich die 4:30er Zug- und Bremsläufer, die sich wohl erst an der Startlinie eingegliedert und viel zu früh begonnen haben. Die erste von mehreren Livebands erfreut das Ohr.

Später als geplant erscheint hinter einem ersten Bergaufstück nach etwa sieben km der erste Wechselpunkt für die Staffeln, deren Teilnehmer eine zweite Startnummer auf dem Rücken tragen (sollen). Eine kleine Ewigkeit zieht sich die Aufstellung, nach Startnummern geordnet, hin. Ich staune, wie viele Zweitläufer sich trotz meines moderaten Tempos noch in Lauerstellung befinden. Und wundere mich, dass sich die Übergebenden und Übernehmenden (Staffelstab) offensichtlich finden. Viele machen zusätzlich durch auffällige Luftballons u.ä. auf sich aufmerksam. Ich staune, hinterher zu hören, dass sich unsere Damen problemlos gefunden haben. Eine tolle Stimmung begleitet uns mehrere hundert Meter lang.

Vergleichsweise Totenstille herrscht dagegen in der Woodstock-Road, wo man doch eigentlich jede Remmidemmi erwarten sollte. Jimi Hendrix, Ten Years After & Co. waren 1968 auf dem legendären Festival in den USA bestimmt auch nicht gerade leise gewesen. Vermutlich hat das hiesige mit dem anderen Woodstock natürlich überhaupt nichts zu tun.

Fast hätte ich die Verpflegung zu erwähnen vergessen. Auf der ersten Hälfte kredenzt man uns – Wasser. Das aber in verschließbaren Flaschen, sodass man sie prima mitnehmen kann. Im Bereich der VP das übliche Bild bietend, werden sie von den meisten (natürlich auch von mir) in den zahlreich an den Straßen befindlichen Müllbehältern entsorgt. Später wird es auch Iso geben. Dazwischen erfreuen viele private Verpflegungsstände, bei denen Orangen und v.a. regelmäßig Weingummi angeboten und auch (von mir allerdings nicht) nachgefragt wird. Erstmals tauchen erkennbar politisch motivierte, qualitativ hochwertige Wandgemälde auf.

 

 

Gute zehn km liegen hinter uns, ich bin kaum eine Stunde unterwegs, da taucht ein Parkeingang auf. Eine geballte Ladung junges Grün erfreut die Sinne hinter der Mauer, der Ormeau-Park als ältester Belfaster öffentlicher Park wird erstmals erreicht. Richtig, Du hast aufgepasst, hier liegt das spätere Ziel, das wir aber noch nicht zu Gesicht bekommen. Leider müssen wir den 1871 zu unserer Reichsgründung (aber gewiss nicht deshalb) eröffneten Park nach einer Durchquerung schon bald wieder verlassen. Doch wir werden wiederkommen!

Mit der Rose & Crown Bar passieren wir einen der ältesten Pubs der Stadt, leider ist er geschlossen. Hier hätten unser Joe und auch der Toni also in die Röhre geschaut. Es folgen weitere attraktive Pubs, aber auch an den Wänden wird’s zunehmend politisch. Offensichtlich hat sich die Lage aber in den letzten Jahrzehnten wirklich beruhigt, jedenfalls kann ich keinerlei Aufregung feststellen. Schön wär's ja.

Wir haben die Innenstadt – Belfast hat übrigens 342.000 Einwohner - erreicht, erleben viele tolle Gebäude an beiden Straßenseiten. Insbesondere das Rathaus mit der klasse Dauerausstellung, Ihr erinnert Euch. Das Opernhaus, früher alleinstehend und daher seinerzeit deutlich majestätischer wirkend als heute, ist frisch restauriert und sieht deswegen trotzdem toll aus.

 

 

Über eine längere Steigung (der Westerwälder lächelt darüber, der Flachlandtiroler flucht) verlassen wir die Innenstadt wieder und befinden uns nun, an den Wandgemälden erkennbar, unzweideutig in protestantischem Revier. Dem nächsten Staffelwechsel folgt ein weiterer Zuschauerschwerpunkt mit viel Radau. Ein weißer, aus dicken Stahlgittern geformter Globus „Balls of the falls, 40 m hoch), ist seit drei Jahren angeblich das meistfotografierte Objekt der Stadt.

Kurz vor dem dritten Staffelwechsel nach knapp zwölf Meilen lädt ein größerer Friedhof zu dauerhaftem Verweilen ein. Ich hoffe, das Angebot mussten nicht viele nutzen, denn immerhin gab's vorher ja zum ersten Mal Iso, leider nur in homöopathischen Dosen. Im Folgende befinden wir uns sehr deutlich wieder im katholischen Teil Belfasts, wie immer erkennbar an den unzweideutig zuordenbaren Wandgemälden, aber auch an der zunehmenden Beschriftung ausschließlich in gälischer (der irischen) Sprache und den zweisprachigen Straßenschildern. Ich möchte nicht wissen, was hier noch vor wenigen Jahrzehnten abgegangen ist.

Erneut öffnet sich ein Tor und ich verfluche zum wiederholten Male meine unzureichende Vorbereitung. Der Waterworks-Park, wie ich jetzt weiß, ist die reinste Erholung für Auge und Seele. Schon bald zweihundert Jahre bestehend, bietet die große Wasserfläche vielen schwimmenden Piepmätzen bis hin zu einer wahren Legion Schwänen eine naturnahe Heimat. Wir umrunden den See bei tollen Aussichten fast vollständig. Nur noch gut fünf Meilen, mir geht es bestens.

 

 

Letzter Staffelwechsel, auf dem Weg zu dem mich eine komplette Flasche Iso, na ja, Flüüügel hat sie nicht verliehen (war auch eine andere Marke), aber deutlich unterstützt hat. Die Innenstadt naht erneut, die Zahl der Fans und ihre Dichte nimmt wieder deutlich zu. Die Thanksgiving Statue, ebenfalls aus dickem, weißem Stahlrohr geformt, sehen wir leider aus der ungünstigsten Perspektive, sodass Ihr den Reif nicht erkennen könnt, den sie hoch vor ihrem Kopf in die Höhe streckt. Wir erhaschen einen Blick auf die Hafen- und Dockanlagen, in deren Bereich sich auch das phantastische Titanic-Museum befindet, und folgen dem Lagan River. Wieder tolle Aussichten, sogar die Sonne kommt heraus!

Auf der anderen Seite des Flusses erkenne ich bereits viele Doppeldeckerbusse, die Interessierte (auch mich) nach dem Lauf über nicht gesperrte Straßen in die Innenstadt zu den öffentlichen Verkehrsmitteln (v.a. Busse) bringen werden. Vorher aber ist, nach Überquerung des Lagan, noch eine elend lange Gerade zu bezwingen. Ich drücke aufs Tempo, denn den gerade-so-unter-sechs-Minuten-Schnitt möchte ich gerne nach Hause bringen. Dabei helfen wahre Zuschauermassen, die ich so und hier nie erwartet hätte. Was war nochmal die Tour de France?

Eine echte Genugtuung, die ich lange nicht mehr hatte, ist das rudelweise Einsammeln vieler bisher vor mir Laufenden, ohne selbst überholt zu werden. Ich bin erfreulicherweise gut drauf. Bald schon wird Meile 26 angezeigt, aber ich habe bereits 42 km auf dem Tacho, da habe ich beim Fotografieren wohl einige Extrameter zurückgelegt.

 

 

Dann liegt nach einer letzten Kurve der Zielbogen vor mir, den ich nach 4:13 Std. sehr zufrieden, aber auch ziemlich platt, unterquere und damit meinen 200. Marathon und länger beende. Andreas ist vor einer Viertelstunde eingetroffen, Anselm vor vier Minuten, leider verpassen wir uns. Pater Tobias ging es heute Morgen orthopädisch nicht gut, weshalb er sich sicher war, den Lauf nicht beenden zu können. Riesig gefreut habe ich mich später, ihn doch in der Ergebnisliste zu finden, er hat sich durchgebissen und ich brauche den vorgesehenen Berichtstitel nicht zu ändern. Wer ihn nicht kennt, dem empfehle ich sein sehr lesenswertes Buch „Der Marathon-Pater“. Groß, vielfältig und erfolgreich ist sein karitatives Wirken.

Auch die Mädels haben ihre Staffel mit Bravour hinter sich gebracht. Sehr freue ich mich, wie mir von ihnen beim Parkrun angekündigt, das ältere Ehepaar wiederzutreffen und mich von ihnen mit der schönen Medaille dekorieren zu lassen. Dann brauche ich aber wirklich ein paar Minuten Erholung, die ich auf einen Wasserstapel sitzend, genieße. Außer Wasser gibt es aber leider nichts zu genießen, was den überaus positiven Gesamteindruck leider etwas trübt. Das hier sind doch keine Schotten! Eine gute Seele überlässt mir ein Gel, das mich fürs Erste rettet. Auf der gemeinsamen After-Race-Party beim Inder kommen wir alle wieder zu Kräften und erhalten erfreut unsere Jubiläumsurkunden des 100 Marathon Clubs, dem wir alle drei angehören.

Eigentlich könnte ich mir die Abrundung des bereits auf den Anfang vorgezogenen Fazits sparen. Aber der Lauf hat so viel Spaß gemacht, die Stadt ist wirklich interessant, v.a. von mir so unerwartet (wer kann schon mit Belfast viel anfangen?), dass ich diesen Lauf allen, die gerne Reisen und Laufen miteinander kombinieren, nachdrücklich ans Herz lege. In diesem Sinne: Well done und viele Grüße nach München! Unsere Gruppe jedenfalls plant bereits die Edition 2025 zu einem weiteren Überraschungsort...

 

Streckenbeschreibung:
Abwechslungsreicher, leicht profilierter Einrundenkurs mit ca. 200 m bergab und 150 m bergauf.


Startgebühr:
Je nach Anmeldezeitpunkt und Verbandszugehörigkeit (Startpaßinhaber sparen 2 Pfund) 48 bis 67 Pfund für den Marathon.


Weitere Veranstaltungen:
Staffelmarathon.


Leistungen/Auszeichnung
Shirt, Urkunde.

 

Logistik:
Viel Platz an Start und Ziel, keine Umkleidemöglichkeit, keine Duschen. Gepäcktransport vom Start zum Ziel.

 

Verpflegung
Mehrere VP mit Wasser, später auch Iso. Viele private VP.


Zuschauer:
Überraschend viele, die Stadt lebt ihren Marathon.

 

 


 
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