Pünktlich um sieben haut die Kanone die allerletzten aus dem Bett und uns auf die Strecke. Ich sehe noch einige, auch aus dem Spitzenfeld, wie sie sich die Ohrwaschel zuhalten. Es geht den schmalen Weg leicht bergab und kurz nach der Sportanlage überqueren wir die Trisanna, verlassen Galtür (1564 Meter) und biegen links ab. Es geht bachaufwärts Richtung Wirl. Durch meine Fotoarbeit bin ich fast am Ende des Feldes. Meine Taktik ist wieder die übliche. Erste Runde mehr fotografieren und dann Tempo machen. Wenn es mir gelingt, dann möchte ich die zweite Runde keine Gehpause machen und vielleicht sub vier Stunden finishen. Das wär für mich Rekord.
Die Almwiesen sind gescheit angereift, doch oberhalb, wo unser Kurs wieder Richtung Osten führt, läuft die Spitze bereits in der Sonne. Nach links sehe ich die 2558 Meter hohe Gorfenspitze und vor mir die 2671 Meter hohe Ballunspitze, die Hausberge Galtürs. An der Ballunspitze läuft im Winter der Skizirkus auf Hochtouren. Im Sommer nimmt die Birkhahnbahn dem Wanderer einige Höhenmeter bequem auf seiner Wanderung ab. Auf der Höhe des Ortsteils Wirl (1650 Meter) nimmt die Steigung kurzzeitig zu, bevor wir nach rechts abbiegen. Die Marschierer ziehen ansteigend gerade weiter.
Wir sind nun auf der Südseite des Ferwall unterwegs. In den Karten wird der Ferwall auch mit Vogelvau beschrieben. Der Verwall ist ein relatives einsames Gebirge, das jedoch für eine mehrtägige Hüttenwanderung optimal geeignet ist. Der Gebirgszug ist begrenzt von Klostertal und Stanzer Tal im Norden, dem Paznauntal und dem Montafon im Süden. Acht Dreitausender gehören zum Ferwall. Die höchste Erhebung ist der 3168 Meter hohe Hohe Riffler, der vom Stanzer Tal an einem Tag von einem erfahrenen (Marathon)Wanderer begangen werden kann. Da war ich vor Jahren schon oben und konnte bei schönem Wetter die spektakuläre Aussicht genießen.
Wir laufen bei zwei, drei Höfen hindurch, wenige Anwohner schauen zu und haben sogar ein Wort für uns übrig. „Jetzt hast Du zwei Hühner auf deinem Chip“, ruft mir Rosi Heigert zu, als bei meiner Arbeit auch noch ein eilegendes Tier durchs Bild huscht. „Ja, und dahinter steht der Ochs“, kommt mir aus.
Der Weg auf der Sonnenseite des Ferwall unterhalb des Grieskogl (2754 Meter), Gaisspitze (2779 Meter) und Adamsberg (2486 Meter) verläuft zur Gänze in der Sonne, die nur knapp über den Bergen der Silvretta steht. Die immer wieder kurzen Steigungen sorgen nicht nur bei mir für Luftknappheit, es wird sogar das ein oder andere Mal gegangen.
Dafür ist die Aussicht auf unseren Startort genial, man kann einen weiten Blick in das Jamtal werfen oder auf den gegenüberliegenden Predigberg (2645 Meter), der schon zur Silvretta gehört. Am Ende des Sonnenweges, ich nenne ihn nun so, geht es wieder gefällig ins Tal hinab beim Paznaunerhof. Dort können wir verpflegen. Vorher hilft uns jedoch die Polizei über die Straße. Die erste V-Stelle bietet allerlei. Iso in mehreren Farben, Waffelschnitten, Gel, Salzbrezeln, Orangenschnitze und Traubenzucker. Ein Getränke kippe ich mir hinter die Binde und weiter.
Hinter einer Garage geht es auf einem schmalen Pfad nach unten und wir überqueren bei einem Sägewerk die Trisanna. Auf den nächsten drei, vier Kilometer kommt im Maißwald eine knüppeldicke Steigung hoch zur Lareinalm (1860 Meter). 330 Höhenmeter sind da zu bezwingen. Teilweise stärker steigend, teilweise etwas moderater wartet die Steigung auf die Läufer. Im Wald ist es noch sehr kühl. Aber die Läufer sind jetzt warm gelaufen und fröhlich unterwegs. Das Rennen macht Spass, auch wenn mitunter wieder eine Geheinlage fällig wird.
Wer in sich gehen mag, auch dafür ist gesorgt, denn auf diesem Teilstück des Glaubensweges sind einige Tafeln mit religiösen Bildern angebracht. Der Fahrweg hoch zur Alm verläuft fast vollständig im Wald, einige Blicke sind jedoch immer wieder zum tosenden Lareinbach möglich.
Kurz vor der Lareinalm verlassen wir den Wald und den befestigten Weg. Eindrucksvoll ist der Blick nach Süden auf den Lareinferner und dem 3399 Meter hohem Fluchthorn. Ein paar Meter geht es fast weglos durch eine Almwiese. Farbmarkierungen sind jedoch auf dem Boden angebracht. Teilweise liegen noch gefrorene Schneereste von Vortag herum. Dann taucht urplötzlich die Lareinalm auf, wo wieder eine opulent ausgestattete V-Stelle wartet.