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Laufberichte

Das Gebirge - damals und heute

 
Autor: Joe Kelbel

Die Läufer, die heute den letzten Wettkampf des Siebengebirgscups, der im August mit dem Malberglauf begonnen hat, bestreiten, die reden vielleicht vom Jahresabschluß. Für die anderen beginnt das winterliche Familientreffen, welches traditionell im Siebengebirge anfängt, und dann von Mainz, über Kevelaer bis Rodgau zieht.

Für mich ist der Siebengebirgsmarathon mit Erinnerung an meine Kindheit und meinen Streifzügen durch die sieben Berge verbunden. Das Siebengebirge war damals schwer angesagt. Man tanzte in Königswinter und Bad Honnef auf den Strassen! Hauptsächlich Holländer, die erst später nach Ischgl und Sölden weiterzogen. Dicht nebeneinander reihten sich die Tanzlokale, aus denen laute Livemusik drang. Die Wege im Siebengebirge waren brechend voll, man wanderte von Café zu Café.

Der steile Weg zum Drachenfels, damals Hollands höchster Berg, war garniert mit Andenkenläden, Automaten und Fotoverkäufern. Nie im Leben wäre ich auf einem der Esel hinaufgeritten. Dabei gehören die Esel seit 2000 Jahren zum Drachenfels, nämlich seitdem der Steinbruch existiert. Auf halbem Weg war die Nibelungenhalle, in dessen Halbdunkel die alten, düsteren Gemälde von der Nibelungensage erzählten.

Diese Zeit hat mich geprägt. Ich esse keinen Kuchen, meide Cafés und Holländer. Doch eins lasse ich mir nicht nehmen: Die Fahrt mit der Fähre hinüber nach Königswinter zum Siebengebirgsmarathon. Es ist der einzige Marathon, vor dem ich total nervös bin. Denn es hängt vom Fährmann ab, ob ich pünktlich zum Start komme. Der Fährbetrieb startet um 7:55 Uhr, doch komischerweise immer vom falschen Ufer.

Vor 10 Jahren, zu meinem ersten Siebengebirgsmarathon, begann das Spiel. Damals war Start um 9 Uhr. Ich stand in Mehlem und der Fährmann war noch nicht ausgeschlafen, also hektische Fahrt zur Fähre Rolandseck. Die legt aber erst um 8:30 Uhr ab. Also verkehrswidrig und panisch  zurück nach Mehlem und verzweifelte Fernlichtsignale rüber nach Königswinter, bis der Herr der Fähre sich erbarmte. Mitlerweile kennt der Fährmann das Spiel und erzählt mir ungefragt, wieviel Läufer schon übergesetzt haben. Alles Halbmarathonläufer, die gab es vor 10 Jahren noch nicht. Sie starten heute um 9 Uhr, die Marathonläufer um 10.

Ich löse also dieses Jahr nicht die Blitzeranlagen im Schmelztal aus, lege mich freudig in die Kurven, die um die  mittelalterliche Schlackehalden führen.  Da steht plötzlich ein stolzer Hirsch in der Kurve. Vollbremsung. Wir blicken uns eine gefühle Ewigkeit in die Augen, dann gibt der Klügere nach. Ich hätte gerne seine Handynummer gehabt.

Die Tische für den ersten VP stehen schon am Parkplatz, dahinter geht es links nach Aegidienberg. Jedes Jahr frage ich mich, wie in diesem kleinen Ort 1000 Läufer einen Parkplatz finden. Das ist eines der großen Rätsel, die ich nie lösen werde. Meine Parkplatzfindung löse ich jedoch innovativ, stelle mich direkt neben ein ebenso innovativ geparktes Polizeiauto und warte eine Reaktion ab. Doch hier ist die Welt noch in Ordnung, beide Beamte kümmern sich ausschliesslich um die Sicherung der Läufer. Es sind die Halbmarathonläufer, die soeben gestartet sind.

In der Halle gibt es die Startnummern auf die Kralle, ohne Tüte voll nerviger Flyer nichtssagender Kurzstreckenläufe. Nervöse Läufer können sich die Startnummer am Vorabend abholen, zunächst unten in Bad Honnef, später hier oben in der Halle Aegidienberg.

Kleines Frühstück in der Halle, Wurst-und Käsebrötchen. Aber traditionell und legendär ist das  große Kuchenbuffet. Dann wird auch schon der ebenso traditionelle Weg zum Startplatz am Gangsportzentrum angetreten.

Das Gangsportzentrum ist nicht nach uns benannt, auch wenn wir bei 780 Höhenmetern auf der Strecke manchmal gehen werden. Es ist das Zentrum für die Aegidienberger, einer Unterart der Islandpferde, die aber drei Gangarten bzw vier, manchmal fünf haben. Man nennt das tölten, eine Gangart, bei der das Pferd die Knie bedeutend höher hebt. Schon witzig, dass ein Lebewesen seine Daseinsberechtigung nur erhält, wenn es das Knie heben kann. Deren UrUrUrgroßeltern jedoch arbeiteten in den zahllosen Steinbrüchen des Siebengebirges, und mussten die Füße heben können, weil ständig Basaltsäulen im Weg lagen. 

Immer mehr Läufer ziehen an den halboffenen Ställen der Aegidienberger vorbei zum Start. Manche Läufer sind vermummter als die Pferde, denen die zotteligen Haare über die Augen hängen. Ich überlege, ob mehr Dampf von den Pferden, den Läufern oder den Äpfeln aufsteigt. Da sehe ich, dass die Offiziellen schon auf dem Anhänger stehen, bereit für den Startschuß.

150 Meter in 9 Sekunden, (geht doch!) dann stehe ich vor der Startlinie. Natürlich davor, denn ich muss doch Fotos schiessen. Wer jetzt den Startschuß gibt? Keine Ahnung, jemand den ich nicht gewählt habe. Trotzdem laufen jetzt alle wie Besessen los.

Da muss man auch mal Ruhe bewahren, vielleicht müssen die mittags zu hause sein, oder nochmals aufs Klo. Wenn dem so ist, dann kann ich mir Zeit lassen und renne hinter denjenigen her, denen das Klopapier noch aus der Hose flattert. Nein, die Markierungen sind ausgezeichnet, da verläuft man sich nicht.

Aber die Füße wollen nicht, sind erst vor drei Tagen von einem 220 km Lauf aus Kambotscha zurückgekehrt. Dicke Lagen Klebeband halten sie zusammen. Der Rest wehrt sich gegen die Winterkleidung. Erstaunlicherweise macht es dann doch Spass.  Aus kleinen Schritten werden große und auf der Hauptstrasse ganz lange.

Doch schon bei km 2 ist eine kleine Steigung, die unterhalb der Pferdebahn langführt.Wenn das Läuferfeld hier dünner wäre, würde ich jetzt gehen. Aber jeder sieht mich, also lächele ich verkrampft und laufe.

Kurz vor km 6, am Parkplatz an der Schmelztalstrasse, ist die erste Verpflegungsstation. Noch ist es ein wenig hektisch an den Tischen. Das wird sich geben, wenn die Läufer langsamer werden und ich mich unauffällig zurückfallen lasse.

Früher gab es aus den heissen Töpfen noch ein vernünftiges, rotfarbiges Getränk, jetzt nur „Wassa! Warma Teee!  Isooo!” Doch wer hier freiwillig in der fiesen Kälte steht, um Spinnern das Wasser zu reichen, dem sei Dank und Ehr!

Unterhalb des Löwenburger Hofes liegt auf der Obstwiese Schnee, jedenfalls ein wenig. Das Gebäude war einst der Viehhof der Löwenburg, die Obstwiese eine abgelegene Almwiese. Nach der Zerstörung der Löwenburg (16.Jahrh) nahm man die Steine der Burg und baute auf dem Gelände des Hofes dieses Forsthaus. Hier wohnte Sophie von Nassau (1836-1913), Königin von Schweden und Norwegen. Vom Wirtsraum hat man einen herrlichen Blick über die Streuobstwiesen, die bewaldeten Hänge und bis hinunter zum Rhein. Aber auch vom VP hier ist der Blick herrlich über die weissliche Wiese und hinauf zur Ruine Löwenburg. Schön, dass ich auf dem Rückweg nochmals hier Halt machen darf.

Von unten, von der Margarethenhöhe, kommen schon die schnellen Läufer hinauf. Sie sind schon bei km 13, vier Kilometer vor mir. Naja, das geht ja noch. Es geht ein wenig bergauf, dann kommen wir zum Aussichtspunkt, von dem man weit in die Kölner Bucht blicken könnte. Aber heute hängt dichter Nebel zwischen den Bergen, auch der Drachenfels ist nicht sichtbar.

Zur Margarethenhöhe geht es schön steil abwärts, es ist der einstige Bittweg zur Kirche auf dem Petersberg. Es war die Zeit des Ablasshandels. Oben in der Kirche, von der die Grundmauern sichtbar sind, konnte man für die Vergebung seiner Sünden zahlen. In dem Café auf der Margarethenhöhe gab es die beste Schwarzwälder  Kirschtorte. Also  500 Jahre später. Man bestellte an der Theke und bekam ein kleines grünes Zettelchen mit einer Nummer drauf. Die hielt man der Kellnerin entgegen, die noch dicker war als das Tortenstück.

An der Margarethenhöhe steht ein Kreuz (1641), es zeigt die Heilige Magaretha, die von einem Drachen (nicht von einer Torte) bedroht wird. Im Eingang zum Trachyt(=Drache)-Steinbruch steht ein Krankenwagen. Ich werde misstrauisch beobachtet, wahrscheinlich, weil kaum ein Läufer vor mir ist.

Wir umrunden die Löwenburg, also den Berg. Die Burg war nie wirklich bewohnt, denn Ritter Roland zog kurz nach Erbauung der Burg in den Kreuzkrieg. Seine Verlobte hörte von seinem Tod, zog deshalb in das Ursulinenkloster auf Nonnenwerth, der Insel im Rhein, gegenüber von Bad Honnef. Roland war jedoch nicht gefallen. Er kehrte zurück, als seine Verlobte schon das Gelübte abgelegt hatte. Er baute eine neue Burg oberhalb von Nonnenwerth, um seine Geliebte jeden Tag sehen zu können. Von dieser Burg ist nur noch das große Fenster (der Rolandsbogen) erhalten, durch das man in Richtung der Insel blickt.

Mit Umrundung des Leyberges bricht die Sonne durch den Nebel. Zwischen den kahlen Bäumen lässt sich der Rhein erahnen. Es ist ein Bild wie aus einem Album über die Rheinromantik, irgendwie surreal. Die Natur schafft mit ein wenig Farbe neue Lebensfreude.

Mir gelingt ein Foto mit dem Hinweisschild auf den Himmerich, dessen markanter Kegel durch den rotgeblätterten Laubwald leuchtet. Auf der linken Seite ist ein wunderschöner Steinbruch, hier wurde im 19.Jahrh das Baumaterial für das Kloster Heisterbacherrott abgebaut. Man transportierte es zunächst über einen sogenannten Bremsberg (noch erkennbar an den Basaltsteinen) nach unten und dann über zwei Seilbahnen 1,5 km hinunter nach Bad Honnef. An der heutigen Steinstrasse wurde das Material auf Schiffe geladen.

An der Kapelle „Das Auge Gottes“ ist wieder ein VP. Hier gab es vor zwei Jahren Glühwein. Der Blick in die zwei Kochtöpfe ist dieses Jahr enttäuschend. Selbst „das Auge Gottes“ hätte nichts erspäht. Motten lockt man mit Sexualduftstoffen an, Läufer anscheinend mit Cola und Bananen.

Das Schild (km 29) an der ehemaligen V1 Abschußrampe ist erneuert, zieht eine große Wandergesellschaft an, die mir den Weg versperrt („Upps, den habe ich gar nicht gehört!“).

Hier ist noch deutlich ein Geschützfundament sichtbar. Tatsächlich wurde von hier - entgegen meinen Annahmen in früheren Berichten - nie einer der Marschflugkörper abgeschossen. Der Befehl zur Inbetriebnahme erfolgte am 04. März 1945, doch am 07. März fiel die Brücke bei Remagen, am 10. März standen die Amerikaner 600 Meter entfernt von den V1 Stellungen, nahmen diese aber aus Unkenntnis nicht ein. Hinsichtlich der öffentlichen Begehbarkeit ist diese Stellung  einmalig. Erkennbar sind die Fundamente für Wärmebuden, Lagergruben und der Komandostand. Insgeamt vier Geschützstellen sind noch sichtbar.

Unterhalb des Asbergs (km 37) passieren wir einen alten, mit Wasser gefüllten Steinbruch, den Basaltsee. Von hier führte einst (1885) eine 7 km lange Seilbahn, über die der Basalt abtransportiert zum Rheinufer wurde. Die Basaltsäulen brauchte man für die Küstenbefestigung in Holland. Die Seilbahn wurde mittels eines Dampflokomobils betrieben, sie führte an der Dorfschule vorbei. Noch heute ist der Spruch der Kinder bekannt: „ Do kütt enne Säulewaare“. Auch stibitzten die Kinder gerne die „Henkelmänner“, die Essensbehälter, die für die Arbeiter nach oben geschickt wurden.

Im Stechpalmen (Christdorn)-gestrüpp sind noch die Gleisanlagen der Loren sichtbar. Heute ist man stolz auf die hiesige Population von Kammmolchen und Gelbbauchunken. Unterhalb des Sees, neben dem Rheinsteig, den wir gerade hoch gelaufen sind, liegen noch einige Basaltsäulen im Wald. Die fielen einst aus der Seilbahn.

Im Prinzip brauche ich jetzt nur noch bergab zu laufen, doch es gibt noch zwei kleine Steigungen, dann sind wir im Ortsteil Himberg, welcher durch seine separatistische Schlacht 1923 grausige Bekanntheit erlangte. Wer nächstes Jahr Zeit hat, der sollte mal auf den Friedhof Aegidienberg direkt am Bürgerhaus gehen und eine Minute am Massengrab des Aufstandes von 1923 verharren.

Ich verharre nur kurz bei M4Y-Kollege Wolfgang, dem das Märchen erzählt wurde, ich hätte den Lauf abgebrochen. Bei einem angedeuteten Zeitlimit von 6 Stunden braucht man das aber nicht. Auch wer deutlich mehr Zeit braucht, kommt in die Wertung. Meine Zeit von 4:12 aus dem Jahre 2004 übertreffe ich heute deutlich, deshalb hilft mir die Polizei bei der  Querung der Landstrasse. 

Durch den Ortsteil Siefenhofen schaffe ich es noch und komme zurück auf die Landstrasse bis nach Aegidienberg. Schnellere Läufer reisen schon ab, hupen nochmal, was mich auch nicht schneller macht.

Unspektakulärer Zieleinlauf in die gute Stube, die Bürgerhalle. Sogleich beschlagen Brille und Kameraobjektiv, wie früher im Tanzcafé in Königswinter. Es ist nicht die Frankfurter Festhalle, dafür darf man hier aber stehenbleiben und mit den Laufkameraden ein paar Gläser Kölsch trinken. Und die Holländer sind auch wieder da. Man sagt, der Siebengebirgsmarathon ist der schönste Marathon von Holland. Vielleicht wird nächstes Jahr wieder auf der Strasse getanzt, so wie früher. Passend wäre es schon. 

 

 

Informationen: Siebengebirgsmarathon
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