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OKDie Schwaben gelten als bescheidenes Völkchen. Zurückhaltung gehört da zum guten Ton. In dieses Bild passt der Albmarathon in Schwäbisch Gmünd wunderbar. Denn was sich hinter dem harmlosen Namen Alb-„Marathon“ verbirgt ist in Wirklichkeit ein waschechter Ultramarathon.
Als schöner Saisonausklang oder als Premiere für Marathonläufer, die sich mal an einem Ultra versuchen wollen, bietet sich der Albmarathon geradezu an. Die Vorzüge dieses Laufs liegen auf der Hand. Mit exakt 50 Km gehört er noch zu den „kurzen“ Ultramarathons. Wer 42 Km laufen kann, der schafft (irgendwie) auch 50 Km. Die rund 1.100 Höhenmeter, die zu absolvieren sind, klingen zwar im ersten Moment abschreckend, haben aber den Reiz, dass man guten Gewissens immer wieder eine Gehpause einlegen kann (und auch sollte). Außerdem kann man wegen der Höhenmeter die Laufzeit nicht mit flachen Strecken vergleichen. Man kann also ganz ohne Zeitdruck die Schleife über die drei Kaiserberge zurücklegen. Eine halbe Stunde hin oder her spielt keine Rolle.
OK, ich bin etwas befangen, denn mein erster Versuch auf einer Strecke jenseits des Marathons war 2009 beim Albmarathon. Ich muss zugeben, ich hatte am Abend vorher die Hosen voll, richtig voll. Ich habe mich immer wieder gefragt, wie man denn nach 42 Km nochmal 8 Km laufen soll. Aber die starken Bedenken haben mich zum Glück nicht vom Start am Folgetag abgehalten. Morgens war es noch neblig, später wurde es ein goldener Oktobertag. Meine Ultrapremiere entwickelte sich, auch dank defensiver Renngestaltung, zum perfekten Lauferlebnis. Die Zeit war zwar, gelinde gesagt, sehr bescheiden, aber dafür erreichte ich locker den Zielbogen und dachte nur: „Schade, schon aus“.
Die Sache mit dem Wetter ist übrigens noch ein Vorzug des Albmarathons. Ende Oktober ist es meist recht beständig. Wenn es, wie letztes Jahr, „heiß“ ist, dann bedeutet das 15°C im Schatten bei strahlend blauem Himmel. „Kalt“ hingegen heißt 5-10°C und bewölkt. Als weitere Pluspunkte des Laufs seien noch die perfekte Organisation, die vielen Verpflegungsstellen und der sehr interessante abwechslungsreiche Streckenverlauf genannt. Mal im bunten Herbstwald, dann wieder im Freien wo man den Blick über die Ostalb schweifen lassen kann. Der Untergrund besteht fast ausschließlich aus breiten Asphalt- und Waldwegen, hinzukommen noch ein paar schmale Waldpfade am Stuifen, die aber völlig unproblematisch zu laufen sind.
Nun aber zur diesjährigen 26. Auflage. Bei der Ankunft in Schwäbisch Gmünd ist es frisch, 6°C zeigt das Thermometer an. Der Himmel ist stark bewölkt, daran wird sich wohl auch im Tagesverlauf nicht viel ändern. Trotzdem finden sich zum Start gut 800 Läuferinnen und Läufer ein, die sich auf die drei Wettbewerbe 50 Km Lauf, 25 Km Lauf und 50 Km Stafettenlauf verteilen. Die Kleiderwahl fällt bei vielen auf oben lang. Unten halten sich kurze und lange Hosen die Waage. Nur ein paar wenige wagen sich in kurzer Hose und Netzhemd an den Start.
Die ersten Meter führen durch den Stadtkern von Schwäbisch Gmünd. Hier stehen noch Zuschauer und feuern an, doch schon bald wird es ruhiger. Nach gut 2 Kilometer lassen wir die Stadt hinter uns und nähern uns auf einem breiten Radweg dem bunten Herbstwald. Die Farben der Blätter sind fantastisch, wenn nun noch die Sonne scheinen würde, wäre es perfekt.
© marathon4you.de | 6 Bilder |
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Die ersten Kilometer sind flach, ab Kilometer 4 wird es leicht wellig. Ideal zum Einrollen. Das Feld ist zwar noch dicht beisammen, aber die Stimmung ist locker. Ein Läufer will gerade ausscheren, als ein anderer von hinten ankommt. Beide stoppen ab um sich gegenseitig den Vortritt zu lassen „Mach du ruhig, ich hab Zeit“ - „Ich auch“ ist die Antwort. Nach 7 Kilometern erreichen wir bereits die erste von insgesamt 10 Verpflegungsstellen (die Zielverpflegung kommt als 11. Verpflegung noch hinzu). Trinkgürtel oder Rucksack mitschleppen lohnt sich also beim besten Willen nicht. Es gibt Wasser und Tee, ab Kilometer 16 kommen Iso und Cola hinzu. Außerdem Bananen, Weißbrot, Müsliriegel, Fruchtriegel und teilweise noch mehr. Wem das nicht reicht, hat noch die Möglichkeit, bei der Abholung der Startunterlagen Eigenverpflegung abzugeben, die dann an die entsprechenden Verpflegungsstellen gebracht wird. Außerdem kann Wechselbekleidung bei der Streckenhälfte platziert werden. Mehr Service kann man sich wohl kaum erträumen.
Ab etwa Kilometer 8 beginnt der Anstieg, der uns hinaus aus dem Wald, hinauf auf die Albhochfläche führen wird. Noch ist der Anstieg ganz sanft, kein Grund ins Gehen zu verfallen. Ich möchte gerade ein Foto von der vor uns liegenden Lichtung machen, da lässt sich die Kamera nicht mehr einschalten, obwohl der Akku gestern extra noch komplett geladen wurde. Verzweifeltes Drücken sämtlicher Tasten, Akku raus und wieder rein, helfen nicht. Das Ding bleibt tot. Deshalb muss ich an dieser Stelle leider auf Streckenbilder der Vorjahresberichte verweisen.
Die nächsten Kilometer werden erst einmal vom Foto-Frust bzw. wiederholtem Rumfummeln an der Kamera überschattet. Das lenkt zumindest vom Anstieg ab. Wir lassen den Wald hinter uns und erreichen die Burg Wäscherschloß. Begeisterte Zuschauer empfangen uns. Im Vorbeilaufen schnappe ich gerade noch ein Gespräch auf. Eine Zuschauerin fragt: „Und die laufen jetzt 10 Kilometer?“ - „Die laufen 50!“ - „50???“ (fassungslos). Dann verlassen wir das Dorf und dürfen uns auf ein längeres Flachstück freuen.
Ein kalter Wind von der rechten Seite empfängt uns. Ich bin froh, dass ich mich für die winddichte Weste entschieden habe. Der Seitenwind ist zwar unangenehm, aber da wir in gut 500m nach links abbiegen werden, freue ich mich schon auf den Wind von hinten, der uns dann viele Kilometer schieben wird. Zuerst müssen wir aber noch eine Straße queren. Alle Straßenquerungen sind perfekt von der Polizei abgesichert. Kommt ein Läufer, wird frühzeitig der Verkehr angehalten. Ich bin froh, dass ich die Laufschuhe anhabe und nicht am Steuer sitze.
Es folgen ein paar wellige Meter mit Rückenwind, dann hat das Vorgeplänkel ein Ende. Der Hohenstaufen schickt seine Vorboten voraus. Ein asphaltierter Anstieg führt uns wieder in den Wald. Selbst der Läufer vor mir, der nur kurze Hose und Netzhemd trägt, wird zum Geher. Das liegt allerdings auch an seinem Kumpanen, der in ein Langarmshirt und eine lange Tight eingepackt ist. Er kann das Tempo nicht mehr halten kann. Der Netzhemdläufer meint: „Wir erholen uns jetzt und wenn wir da oben sind, dann rennen wir wieder“. Was sein Kumpane nur mit den Worten kommentiert: „Ach, wir erholen uns gerade...?“
Die Rampe endet, aber so richtig flach wird es nicht. Dann stehen wir direkt vor dem Hohenstaufen, dem ersten der drei Kaiserberge. Aber vorher stoppen wir noch an der dritten Verpflegungsstelle. Im Bedarfsfall kann man sich hier bereits mit Cola einen Energieschub verpassen. Eigentlich ist der Aufstieg zum Hohenstaufen gar nicht so schlimm, wäre da nicht diese gemeine Grasrampe, die wir erst hochgejagt werden. Es sind zwar nur 150m, die haben es dafür richtig in sich. Oben angekommen, biegen wir auf einen breiten Waldweg mit machbarer Steigung.
„Machbar“ bedeutet, Wandern ist überhaupt kein Problem, Laufen muss aber nicht unbedingt sein. In Zahlen ausgedrückt: 500m mit 10% Steigung. Die Kunst besteht darin, mit möglichst wenig Kraftaufwand die Anstiege zu bewältigen. Lang sind sie nicht, aber wer hier am Anschlag hoch rennt, der bekommt später die Quittung.
Die Steigung bleibt recht konstant und man wartet förmlich darauf, dass es gleich richtig steil wird. Und plötzlich sind wir oben. Kein steiler Stich mehr, das war's schon. Einmal zum Baum rüber laufen, der als Wendepunkt dient, dort kurz das Gipfelpanorama bewundern und schon geht’s wieder hinab. Zunächst auf dem Weg, den wir gerade hinauf gekeucht sind, dann zweigen wir nach links ab und steuern auf den zweiten Kaiserberg, den Hohenrechberg zu.
Die Sonne bemüht sich, die Wolkendecke zu durchbrechen. Manchmal gelingt es ihr sogar. Die Strecke ist nun wieder leicht wellig. Es lohnt sich den Blick nach links und vor allem nach rechts über die wunderschöne Herbstlandschaft schweifen zu lassen. Breite asphaltierte Radwege lassen unkonzentriertes Laufen zu.
Dann ist der Ort Rechberg erreicht und es geht rauf zum zweiten Kaiserberg. Hier ist richtig was los. Ständig kommen uns Leute entgegen, obwohl oben gar kein Wendepunkt ist. Wie sind die da rauf gekommen und was haben die da oben getrieben? Des Rätsels Lösung ist ganz einfach. Zum einen ist der Rechberg deutlich leichter als die anderen beiden Berge. Er ist komplett asphaltiert, die Steigung ist deutlich sanfter und nur einen Kilometer lang. Oben angekommen, ist Km 25 und damit die Hälfte der Strecke geschafft. Und somit sind wir beim eigentlichen Grund für die vielen Leute: Oben ist das Ziel für die 25 Km Läufer. Fans und Angehörige warten am Gipfel auf ihre Helden und begleiten sie dann wieder hinab ins Dorf.
Wer sich als 50 Km-Läufer auf der ersten Hälfte schon verausgabt hat oder sonstige Probleme hat, kann hier auch durch das Ziel laufen und kann sich zumindest über die Wertung im 25 Km Lauf freuen. Wer noch Kraft hat, lässt das Ziel rechts liegen, greift an der großzügigen Verpflegung zu und macht sich auf den schwierigsten Abschnitt des Laufs, den Abstieg vom Hohenrechberg. Ein schmaler steiler asphaltierter Weg mitten durch dichten Wald. Dieses Jahr liegt hier zwar wenig Laub, aber nass ist dieser Weg jedes Jahr. Das macht die Sache teilweise recht rutschig. Meine Pseudo-Trailschuhe nützen da auch nicht viel, da hilft nur Vorsicht und Konzentration. Die 25 Km Läufer, die keinen privaten Chauffeur haben, müssen hier übrigens auch runter. Denn unten fährt ihr Shuttlebus zurück nach Schwäbisch Gmünd. Sie machen alle artig Platz.
Man könnte meinen, wenn der Start auf gut 300m ü.NN liegt und die 25 Km Marke auf 700m, dann wird die zweite Hälfte definitiv schneller. In der Praxis laufen aber fast alle eine schnellere erste Hälfte und büßen auf dem zweiten Teil ein. Ein Grund dafür könnte der Stuifen sein, der letzte der drei Kaiserberge. Das ist die Spielwiese der Trailläufer. Auf einem sehr schmalen Pfad laufen wir zunächst flach am Fuß des Stuifen entlang. Überholen ist nicht möglich. Ich habe einen etwas langsameren Läufer vor mir - und das ist auch gut so. Denn plötzlich zweigt der Pfad nach links in eine Rampe ab, die sich gewaschen hat. Gehen oder Laufen? Nein, kriechen ist hier die Ansage, am besten auf allen Vieren. Das Stück ist gemein, aber wir sind nach wie vor auf der Schwäbischen Alb und nicht in den Hochalpen. Es sind aber nur ein paar hundert Meter, die hier die Oberschenkel zum Glühen bringen. Oben angekommen, führt uns ein schöner Waldpfad zum Stuifenkreuz, ehe wir wieder zu dem Punkt zurücklaufen, wo wir erstmals auf den Trail gestoßen sind. Zugegeben, ein bisschen kraftraubend ist diese 2,5 Km lange Schleife am Stuifen schon, aber nach den breiten Asphalt- und Waldwegen eine willkommene Abwechslung.
Jetzt kommt die K3276. Die Straße ist für uns komplett gesperrt. Sie dient als Füllstück, um die 50 Km voll zu machen. Ich mag diesen Abschnitt. Die Straße ist sanft gewellt und bietet einen schönen Blick in die umliegende Landschaft. Locker vor sich hinlaufen und den Blick in die Umgebung schweifen lassen, lautet hier die Devise. Am Ende der Straße machen wir eine kleine Schleife durch den Wald, ehe wir wieder auf die K3276 stoßen und zurück Richtung Stuifen laufen. Auf diesem „Begegnungsstück“ kann man sich versichern, dass noch Läufer hinter einem sind... oder eben auch nicht.
Immer wieder sieht man Leute in Laufklamotten, die fröstelnd am Rand stehen bzw. versuchen, sich mit Auf-der-Stelle Hüpfen warm zu halten. Es sind Staffelläufer, die auf ihren Einsatz warten. Das Reglement des Stafettenlaufs erlaubt 2-10 Läufer pro Team. Wo gewechselt wird, ist den Teams überlassen.
Wir verlassen die Straße und laufen am Nordrand des Stuifen entlang. Zunächst flach, dann sanft ansteigend. Zu Beginn des Rennens hätte man das gar nicht als einen Anstieg wahrgenommen, aber nach über 35 Km sind selbst hier Gehpausen angesagt. Dann eröffnet eine abfallende Wiese das, worauf wir schon lange warten: Bergablaufen Richtung Ziel. Auf gut 300 Höhenmeter Abstieg auf den folgenden 12 Km dürfen wir uns freuen. Tja, wenn da nicht noch ein kleiner Haken wäre. Kurz nach Km 40 geht’s plötzlich wieder bergauf. Erst sanft, dann wird es immer steiler. Das müsste jetzt wirklich nicht mehr sein. Erst von hier oben heißt es dann tatsächlich nur noch bergab.
Auf dem Boden steht eine „42“. Marathon ist also in 195 m geschafft, gleich wird der Lauf zum Ultramarathon. Obwohl es bei mir gerade ganz gut läuft und ich deshalb einen Tick schneller bin als der Rest, höre ich plötzlich Schritte direkt hinter mir. Aber anstatt zu überholen, bleibt der Kollege lieber in meinen Windschatten. Das kann ich gegen Ende eines Ultras gar nicht leiden. Entweder gleichziehen und ratschen oder vorbeilaufen, aber nicht direkt hinter mir her tippeln. Erfreulicherweise entscheidet sich der Kollege endlich zum Überholen. Naja, es ist gar kein Ultra-Kollege, sondern ein Staffelläufer.
Dann kommt die Verpflegung bei Km 43. Ein Schluck Cola und es geht auf den Bahndamm. Ehemaliger Bahndamm, um korrekt zu sein. Heutzutage ist es ein Radweg, der uns in sanften Gefälle nach Schwäbisch Gmünd führt. Wer noch Kraft hat, kann es hier richtig rollen lassen. Der Staffelläufer hat sich 100m Vorsprung erarbeitet. Ich überlege, ob ich wieder vorlaufen soll und mich für das Windschattenlaufen revanchieren soll, komme aber nicht näher.
Dann lichtet sich der Blick nach rechts und wir sehen Schwäbisch Gmünd, vielleicht 500m Luftlinie bis zum Ziel. Aber was tun wir? Bewundern die auf den Boden gemalte 45, die uns sagt, dass wir jetzt noch 3 Km dem Radweg folgen bis ans andere Ende der Stadt und dann wieder 2 Km zurück in den Stadtkern laufen.
Km 48, es gibt noch einmal Verpflegung. Hier waren wir heute schon einmal, als wir vor ein paar Stunden aus Schwäbisch Gmünd raus gelaufen. Ich habe den Eindruck, dass ich dem Staffelläufer wieder etwas näher komme. Ein Kilometer weiter ist die Sache klar. Ja, der schlafft ab, den krieg ich noch! Kaum laufe ich an ihm vorbei, beschleunigt er und hängt sich wieder rein und bleibt dran. Das war ja klar. Nein, auf einen Schlussspurt habe ich keinen Bock. Also Tempo hochhalten und hoffen, dass er bald einbricht. Wir biegen in die Fußgängerzone. Noch 300m bis zum Ziel. Ein vorsichtiger Blick über die rechte Schulter offenbart, da ist keiner mehr. Die Sache wäre somit geklärt, den Schlussspurt kann ich mir sparen.
Links und rechts stehen Leute, feuern uns an für die letzten Meter. Dann ist es geschafft. Auch ohne Sonne war's wieder ein super schöner Saisonausklang. Schöne Strecke, perfekte Organisation, freundliche Helfer und eine Finishermedaille um den Hals. Läuferherz was willst du mehr?