Den ersten Marathon vergisst man nicht. Von der Planung bis zum ersehnten Finish vergehen Monate – und das bleibt im Gedächtnis. Eine ähnliche Herausforderung stellt für mich die Organisation meines 100ten dar. Anfang des Jahres hatte ich den passenden gefunden und stellte die Marschroute bis dahin auf. Doch welcher sollte der 99te sein? Der zeitliche Abstand musste passen, die Strecke für mich auf jeden Fall bei jedem Wetter machbar sein und eine kurze Anfahrt wäre auch von Vorteil. Der Saaletal-Marathon ist hierfür ideal geeignet. Meine guten Erinnerungen an den Lauf von 2012 gaben dann den Ausschlag. Der Marathon im „fränkischen Saalestück“ sollte es sein.
Start und Zielort ist Ramsthal, eine kleinen Weinbaugemeinde zwischen A7 und A71 in der Nähe von Bad Kissingen. Wir nähern uns von Norden und wundern uns: hier ist alles voller Wald. Tatsächlich ist Ramsthal aber von 50 ha Weinbergen umgeben. Weil wir aber schon mal hier waren, wissen wir, dass man vom Sportheim des SV Ramsthal einen herrlichen Blick auf gegenüberliegende Weinhänge hat.
Das Parken ist unproblematisch. Die Sporthalle liegt etwas oberhalb, ein paar Gehminuten entfernt. In dem kleinen Gebäude ist es proppenvoll. Von Wartezeiten an der Startnummernausgabe im OG kann aber keine Rede sein. Mit 120 Startern beim Marathon, 220 beim Halben und ca. 100 beim 10 Kilometerlauf sind die Meldezahlen seit Jahren konstant, aber, vor allem auf der langen Strecke, durchaus ausbaufähig.
Die kleine Sporthalle im EG ist liebevoll geschmückt. Wir bestaunen die individuellen, aus Holz gefertigten, Pokale und die Boxbeutel (typische Flasche des fränkischen Weins), die als Siegprämien vorgesehen sind. Während viele Marathonis sich noch bei Kaffee und Kuchen entspannen, machen sich die Läufer der kürzeren Strecken zum Warmlaufen bereit. Bis 10 Uhr ist noch etwas Zeit. Am Ende unseres Tisches erkennen wir den blinden Anton Luber. Bereits in frühester Kindheit erblindet, war er immer sportbegeistert. 2008 hat er mit dem Marathonlaufen begonnen und ist mittlerweile ein richtiger Sammler geworden. Vor allem die längeren Strecken, jenseits der 42 km, haben es ihm angetan.
Der große Startbogen befindet sich direkt bei der Halle. Da reicht es, wenn man sich kurz vorher zum Start begibt. Die meisten Läufer sehen das aber anders. Sie genießen die gespannte Vorstartatmosphäre im großzügigen Startbereich. Das Wetter ist nahezu perfekt. 8 °C und bewölkt. Klaus Hudert und Jürgen Kunkel, das seit Jahren eingespielte Sprecherduo, halten mit launigen Sprüchen und netten Worten die Menge bei Laune.
Der Startschuss ertönt. Es gilt Nettozeit, Gedränge ist somit unnötig und im Pulk laufen wir locker die Straße hinunter. Es geht über den Kreisverkehr rechts ab durch den Ortskern. Während am Start eine Menge Zuschauer versammelt sind, stehen hier nur punktuell kleine Gruppen, die ihre Unterzahl durch umso mehr Lärm wettmachen. Am Ortsausgang befinden sich Fans von Diana. Zufällig läuft diese gerade neben mir und so kommen ich und die anderen um uns herum in den Genuss von frenetischem Beifall. Danke, das können wir auch gebrauchen, denn es geht bergauf. Hier auf dem Radweg gibt es wenig Möglichkeit zum Überholen. Wenn ich keinen behindern will, muss ich wohl mitschwimmen.
Endlich zweigt der Weg rechts ab. Nun wird es so steil, dass auch andere gehen müssen. Nach ein paar hundert Metern weisen uns die Streckenposten nach links und wir sind fast oben am km 3 Schild vorbei. Jeder Kilometer wird angezeigt und zwar in den Farben für den jeweiligen Lauf: der Marathon ist blau, Halbmarathon grün und 10 Kilometer gelb.
Von der Feuerwehr gesichert, überqueren wir den Kreisverkehr und erreichen die erste Getränkestelle. Auf einem gut zu laufenden Feldweg führt die Strecke nun am Wald entlang. Ein unübersehbares Schild zeigt die Streckentrennung an. Die Läufer des 10 km Laufs gehen links weg durch die Weinberge hinunter ins Ziel. Ein Streckenposten macht nochmal jeden Läufer einzeln auf die Weiche aufmerksam. Für uns geht es weiter am Waldrand entlang.
Nach der von Feuerwehr gesicherten Überquerung der KG46 werden wir auf einen Singletrail geleitet. Ein hoher Maschendrahtzaun trennt den Wald von der Mülldeponie Wirmsthal. Wir haben nur Ausblick auf einen großen Grashügel. Dass es sich hierbei um eine der modernsten Deponien in Europa handelt, ist nicht zu erkennen. Zum Herumschauen hätte ich sowieso keine Zeit. Der Trail ist zwar gut zu laufen aber einzelne Wurzeln könnten doch hinterlistige Stolperfallen sein.
Es geht bergab und dann auf einen breiten Waldweg. Nun wird es richtig steil. Hinter einer scharfen Kurve gelangen wir in einem Tunnel unter der Eisenbahn hindurch. Dann öffnet sich der Wald und ein weites freundliches Tal liegt uns zu Füßen. Hier hat der Ansbach sein Bett gegraben und mäandert von Büschen umsäumt den Talgrund entlang. Zeit zum Betrachten bleibt aber keine, denn es geht immer noch bergab und ich renne was das Zeug hält. Pfeile in blau und grün zeigen nach links. Vor mir sehe ich auf dem schnurgeraden flachen Radweg eine lockere Läuferschlange durch die grünen Wiesen ziehen. Der Wind hält sich in Grenzen, dafür zeigt sich die Sonne. Erstaunlich schnell kommen die Schilder für km 7 und 8.
Wir erreichen Arnshausen und die ersten Verpflegungsstelle. Mit Tee, Wasser, Bananen und Äpfeln fühle ich mich ausreichend versorgt. Dazu gibt es freundliche Worte von den Helferinnen gratis dazu. Liegt es an der vormittäglichen Zeit, dass im Ort selber nichts los ist? Wir erreichen unbehelligt den Anstieg zum Friedhof mit seiner niedlichen Kapelle. Das Postkartenmotiv lassen wir rechts liegen und folgen weiter der Straße, die uns hinter einer Kurve erneut mit einem Tunnel wieder unter der Bahn hindurch weist. Eine junge Frau steht einsam mitten auf dem Weg. Ihre Aufgabe besteht darin die Läufer nach rechts auf einen kleinen Trail zu lotsen. Wir bedanken uns und verlassen den Hauptweg.
Der Trail führt direkt an den Gleisen der Saaletalbahn entlang. Wir laufen hintereinander auf dem weichen Waldboden. Vor drei Jahren stand hier bereits alles in reicher Blüte. Heute kann ich bei genauem Hinsehen nur vereinzelte grüne Blättchen erkennen. So in Gedanken versunken verpasse ich das km 10 Schild. Während das Gleis langsam nach oben verschwindet kommt links eine schmale Holzbrücke in Sicht. Schnell haben wir sie erreicht und überqueren eine weitere eingleisige Schienentrasse. Vorhin führte die Strecke von Bad Kissingen nach Schweinfurt, während hier der Zug von Bad Kissingen nach Gmünden fährt. Beide Strecken verlaufen in wunderbarer Landschaft, und so ist es kein Wunder, dass neben den Pendlern auch Touristen die Bahnen rege benutzen.
Am Ende der Brücke empfängt uns ein Helfer. Er hat sich einen Spaß daraus gemacht, Bonbons auf dem Brückengeländer zu platzieren: wer das rote Bonbon nimmt, darf ihn küssen (es gibt kein rotes). Wir lachen über den gelungenen Scherz und beschwingt sprinte ich die folgende Rampe nach oben. Es geht auf einen breiten Waldweg, zunächst wellig, dann bergab.
Durch die Bäume zeigt sich nun zum ersten Mal die fränkische Saale zu unseren Füßen. Wer Saale hört, denkt normalerweise an die sächsische Saale, dem zweitgrößten Nebenfluss der Elbe. Hier sind wir natürlich nicht. Die fränkische Saale fließt in den Main und ist mit 139 km Länge bedeutend kürzer, als ihre gleichnamige Schwester. War sie bis in ins 14. Jahrhundert noch weitgehend schiffbar, so ist ihr Pegel heute so niedrig, dass nur noch 2 Ausflugsschiffe, mundartlich „Dampferle“ genannt, auf einem Teilstück der fränkischen Saale verkehren. Dafür aber ist Wasserwandern mit Kanus hier sehr beliebt.
Beim Bergablaufen kommen wir dem Wasserlauf immer näher. Plötzlich warnt uns ein Schild vor fliegenden Golfbällen. Während der Fluss eine Biegung macht, können wir eine Golferin beim Abschlag beobachten. Mitten in dieser herrlichen Landschaft hat der Golfclub Bad Kissingen sein Revier. Wir überqueren den Lollbach der von Arnhausen kommt und hier in die fränkische Saale fließt.
Vor uns liegen grüne Wiesen und der nächste VP. Die fränkische Saale fließt nun rechts von uns. Neben Iso gibt es hier auch ein koffeinhaltiges Erfrischungsgetränk, das zwar keine Flügel verleiht, aber mit dem Original durchaus mithalten kann.
Nachdem ich mich gründlich gestärkt habe, laufe ich dem Wald entgegen. Der Fluss ist nun ganz nah. Romantisch und weitgehend flach, folgt unser Weg seinem Bachbett. Nach einem Kilometer geht Fluss rechts weg und weite Wiesen ermöglichen größeren Ausblick. Wieder einen Kilometer weiter kommt das Wasser erneut heran. Immer gibt es etwas Neues zu entdecken, und so vergehen die Kilometer wie im Flug. Bald taucht die Alte Saalebrücke von Euerdorf vor mir auf. Beim Näherkommen kann ich auch ein großes weißes Gebäude einer Schreinerei, erkennen. Hier steht die nächste VP und dahinter trennen sich Marathon und Halbmarathon. Nach einer erfrischenden Pause wende ich rechts über die Brücke, während die Halbmarathonläufer geradeaus in den Ort hinein und dann direkt nach Ramsthal zurücklaufen.
Die ältesten Teile der Alten Saalebrücke sind aus dem 16. Jahrhundert. Früher führte hier die Straße von Euerdorf nach Bad Kissingen. Sie besteht aus 8 Bögen und ist mit altem Pflaster belegt. Als Brückenheiliger ziert ein gut erhaltenes Standbild vom Heiligen Nepomuk die Mitte der Brücke. Zwei junge Damen weisen uns am Ende der Brücke nach rechts in eine Unterführung. Hier können wir gefahrlos die B87 unterqueren. Auf der anderen Seite befinden wir uns in einem neueren Wohngebiet von Euerdorf. Die Saale macht hier eine Schleife um diesen Hang. Es geht bergauf. Schon von weitem winkt ein Streckenposten nach links und wir überqueren die Straße.
Der Ort liegt nun hinter uns. Nachdem es zunächst flach weiter geht, führt uns ein bewaldetes Stück leicht bergauf. Gut, dass ich momentan Gesellschaft habe. Meinen Begleitern scheint die Steigung nichts auszumachen und so jogge ich, im Gespräch vertieft, einfach mit hinauf. Nach km 18 sind wir dann oben. Die zwei Streckenposten hier haben es sich auf Campingstühlen bequem gemacht und feuern uns an. Rechts macht eine Kuhherde gerade Siesta und links haben wir einen tollen Ausblick auf die grüne Landschaft.
In dieser exponierten Lage sollte im 17. Jahrhundert eine Wallfahrtskirche entstehen. Der dreißigjährige Krieg machte dem Ganzen aber einen Strich durch die Rechnung. Erhalten ist immer noch die stattliche Außenmauer der Ruine Aura. 1958 wurde gegenüber ein Cafe-Restaurant erbaut, wo Ausflügler und Wanderer gerne einkehren. Auch heute sind einige Autos zu sehen. Wir haben keine Zeit zum Verweilen, es geht bergab.