Warum gibt es in Ostfriesland keine Berge? Damit man auf Norderney schon am Freitag sehen kann, wer am Sonntag zum Marathon kommt.
Um keinesfalls übersehen zu werden, reisen wir also bereits am Freitag an. Die Sonne scheint, die Stimmung ist prima – endlich mal wieder Meer sehen! Langsam schuckelt sich die Fähre in Richtung Norderney. Mit ihr schuckeln auch einige Grüppchen, die ganz offensichtlich nicht zum Laufen hier sind. Das „L“ wurde mit dem „S“ getauscht, es wird lauthals gesungen, man hat Spaß. Mich stört gar nichts. Ich habe die netteste Begleitung der Welt dabei – meine Kinder. Seit hundert Jahren haben wir nicht mehr soviel Zeit zusammen verbracht.
Samstag: Nach einem langen Spaziergang durch die Dünen und am Meer entlang erreichen wir den Kurort Norderney und fragen uns zum „Conversationshaus“ durch. Hier am Kurplatz ist von einer Laufveranstaltung noch nichts zu spüren.
Um 10 Uhr begeben sich 39 Männer und 4 Frauen auf die Marathonstrecke. Wenig, aber vielleicht sollte man das Verhältnis Einwohner-Marathonläufer mit 6000 zu 43 berücksichtigen – das müssen allerdings andere berechnen, sonst wird dieser Bericht nie fertig. Die Marathonis laufen beim 8. Norderney-Marathon erstmalig zwei identische Runden um die Insel. Neu in diesem Jahr ist auch der Start- und Zielbereich auf dem Kurplatz.
Zunächst führt der Weg aus der Stadt Norderney hinaus. Es dauert nicht lange, dann reihen sich die Teilnehmer wie aufgeschnürt aneinander und laufen die nächsten neun Kilometer auf dem Deich entlang gegen den Wind. Noch am Freitag konnte man sich hier einfach aus dem Stand gegen den Wind legen und ist nicht umgefallen. So ist es jetzt glücklicherweise nicht. Es fühlt sich schon ein bisschen so an wie bei Bergläufen. Manch einer schnauft hier schon ziemlich. Mir geht’s gut. „Ist ja kein Wunder, dass du schneller bist. Bekommst den Wind ja gar nicht ab – so als abgebrochener Meter!“, wirft mir ein gekränkter großer Kerl während meines Überholvorgangs zu. Sei du nur froh, dass ich nicht stehen geblieben bin!!
Der Wind hält hier nicht mehr auf, meine Hoffnung, dass er nun von hinten anschiebt, wird aber auch nicht bestätigt. Hier zwischen den Dünen wird es mir langsam fast zu warm. Heute Morgen dachte ich sogar noch daran, eine Jacke anzuziehen. Jetzt denke ich eher daran, mich auszuziehen und in das zwischendurch sichtbare Meer auf der anderen Seite zu springen.
Das letzte Stück führt dann an der Strandpromenade ein scheinbar endloses Stück am Meer entlang. In den Strandkörben lassen Touristen die Seele baumeln während ich hier -windschnittig – dem Ziel entgegenlaufe. Links immer mal wieder Anfeuerungen, rechts Segelboote. Eine Weile ändert sich das Bild nicht, nur die Stadt kommt immer näher.
Das Ziel
Als ich in die Straßen Richtung Kurplatz einbiege, sieht wiederum nichts nach Marathonstrecke aus. Am Straßenrand steht niemand, Absperrungen braucht man auch nicht, aber dann auf den letzten Metern scheint alles an Menschen versammelt zu sein, was nicht am Meer die Sonne genießt. Es ist voll im Zielbereich vor dem Conversationshaus. Laute Musik und begeisterte Zuschauerzurufe tragen mich ins Ziel. Links stehen grinsend meine beiden Großen und freuen sich. Und ich erst! Noch viel größer wird der Applaus als der Ansager mich begeistert als Siegerin des Marathonlaufs ausruft. Lachend bedanke ich mich für soviel Vertrauen in meine läuferischen Fähigkeiten und kläre ihn und die Menge auf, dass ich nur auf der Halbmarathonstrecke unterwegs war. Einer, der den Irrtum noch immer nicht begriffen hat, macht ein Foto von mir und bittet mich ehrfürchtig um ein Autogramm. Daran könnte ich mich gewöhnen.