Wir verwenden Cookies um Ihnen eine bestmögliche Nutzererfahrung auf unseren Websites zu bieten. Mit der Nutzung unserer Seiten und Services erklären Sie sich damit einverstanden. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
OKIn den 1980er Jahren gab es kurzfristig diese großen goldenen Videoplatten. Als Trendsetter war ich natürlich Besitzer eines solchen Geräts. Auf einer der wenigen Musik-Video-Platten – damals war das Musik-Video noch in den Kinderschuhen – fand ich eine New-Wave-Gruppe namens „When in Rome“ mit dem Titel „The harder I try“. Auf dem Video läuft ein schmalziger Sänger durch eine Stadt mit großen Werbeplakaten von hübschen Frauen an den Häusern, über romantische Kanalbrücken und vor vielen orangefarbenen Trambahnen. Als bekennender Straßenbahnfreund musste ich diese Stadt besuchen, die sich nicht als Rom, sondern als das norditalienische Mailand entpuppte.
So kenne ich diese pulsierende Metropole nun auch schon seit 30 Jahren und lief dort 2007 auch meinen ersten Marathon. Es folgten Starts im Herbst 2008 und dann im Frühjahr 2011 und 2013. Dann fand ich in dem M4Y-Laufbericht von Klaus Sobirey aus dem letzten Jahr so viel Neues, dass ich Judith überredete, mal wieder hinzufahren.
Mein fünftes Mal trifft auf die 17. Ausgabe, die wieder einmal eine geänderte Streckenführung ausweist und heuer das Modehaus Emporio Armani als Hauptsponsor im Titel führt. Die mit 1,3 Millionen Einwohnern zweitgrößte Stadt Italiens und Hauptstadt der Region Lombardei ist unter anderem als Medien- und Fashion-Hochburg bekannt und verfügt über namhafte Museen und kulturelle Hotspots wie das Opernhaus Teatro alla Scala, sowie historische Bauwerke wie den gotisch geprägten Dom und das Castello Sforzesco. Aber auch in Sachen Moderne tut sich etwas: Wie in anderen Metropolen der Welt grassiert auch hier seit einiger Zeit das Hochhaus-Fieber. Für den Bau neuer Büro- und Wohnkomplexe wurden namhafte Architekten verpflichtet. In den vergangenen vier Jahren hat so mancher städtebaulicher Superlativ die Silhouette der Universitäts- und Messestadt verändert. Wobei auch der Aspekt der Natur nicht zu kurz kam, wie die begrünten Dachterrassen, neu angelegten Parks und „vertikalen Gärten“ beweisen.
Für 17 Euro (all inclusive) kommen wir nach Mailand-Malpensa, wo easyJet das komplette alte Terminal 2 belegt. Interessanterweise werden damit die S-Bahn-Fahrt zum Münchner Flughafen und der Bus von Malpensa nach Mailand teurer als die Reise nach Italien. Der Rückflug für 39 Euro geht im Vergleich dazu schon richtig ins Geld.
Der Bus legt an der Mailänder Stadtmesse einen Zwischenstopp ein, sodass wir gleich zur Marathonmesse gehen. Die findet erstmals im MiCo LAB statt, dem 2002 nach Plänen von Mario Bellini erbauten und 2005 aufs Doppelte aufgestockte Kongresszentrum, das zu den größten seiner Art weltweit gehört. Viele Non-Profit-Organisationen zeigen hier Präsenz, außerdem natürlich die Sponsoren. Am Stand des Stelvio-Marathons lassen wir es uns bei Speck und Käse erst mal gut gehen. Sicher auch ein interessanter Bergmarathon.
Die Abholung der Unterlagen geht schnell über die Bühne. Man hatte uns diesmal gebeten, auf den Ausdruck des Belegs zu verzichten. Startnummer und Ausweis reichen. Also 8.000 Blatt Papier gespart. Sehr gut. Auf dem Weg zur Taschenausgabe treffen wir die Spitzenläufer, die sich gerade für die Pressekonferenz fit machen. Großes Hallo für Stefano Baldini. Der Marathon-Olympiasieger von 2004, heute Technischer Direktor in Diensten des italienischen Leichtathletikverbands Fidal, ist bei seinen Landsleuten ein beliebtes Selfie-Objekt.
© marathon4you.de | 10 Bilder |
© marathon4you.de | 10 Bilder |
Endlich komme ich mal zu einem Trikot von internationalem Mode-Renommee: Der Hauptsponsor Emporio Armani spendiert Funktionshemden seiner Sportlinie EA7, allerdings in abenteuerlichen Größen. Die Dame an der Ausgabestelle gibt mir XS und selbst das erscheint mir noch recht geräumig. Außerdem enthält die Startertüte eine Flasche Wasser, zwei Schwämme, Pröbchen von Nahrungsergänzungsmitteln, Kosmetika und Kaugummi sowie zwei Dosen Thunfisch. Und ein gutes und informatives „Official Handbook“ auf Italienisch und Englisch sowie eine Tageskarte für den Nahverkehr ohne S-Bahn.
Am Stand des Sponsors Huawei kann ich die neue Smartwatch 2 in Augenschein nehmen. Eine Sportuhr mit Telefonfunktionalität und Ermittlung von vielerlei Gesundheitsparametern. Da spart man sich also das Handy und zusätzlich wird damit ein Group Tracking, also ein aktueller Abgleich mit dem Standort anderer Läufer, möglich sein. Dann weiß ich endlich, ob Judith vor oder hinter mir ist. Bin mal auf die ersten Tests gespannt.
Mit der nagelneuen U5 zum Hotel und dann auf Sightseeing-Tour. Neben dem Zentrum mit dem Dom und der historischen überdachten Einkaufspassage Galleria Vittorio Emanuele II aus dem Jahr 1867 zieht es uns wieder einmal in die Gegend rund um die Via Paolo Sarpi, die heute in Reiseführern als „Chinatown“ bezeichnet wird. Ein weiteres beliebtes Ausgehviertel sind die Navigli, die bis ins 20. Jahrhundert typischen Kanäle in und um Mailand, deren Nutzung als Verkehrswege schon in der Antike zum Wohlstand der Stadt Mediolanum beitrug. Mit dem Aufkommen der Bahn und des Automobils verloren diese Kanäle ihre Funktion und wurden nach und nach zugeschüttet. Einige blieben jedoch erhalten und sind heute von Restaurants, Bars und Kunstgalerien gesäumt. Sie dienen als Flaniermeile sowie als Schauplatz von Märkten und kulturellen Aktionen – was vielen Einwohnern inzwischen übertrieben erscheint, wie Plakate und Flugblätter zeigen.
Protest auch in einigen Nebenstraßen, wo sich eine Hausbesetzerszene etabliert zu haben scheint. Wir steuern eine Pizzeria etwas abseits vom Mainstream an, die zwar nicht wie hier oft üblich ein All-you-can-eat-Buffet anbietet, aber „Carboloading“ mit Nudeln zu vernünftigen Preisen ermöglicht.
Der Start- und Zielbereich liegt an den Giardini Pubblici Indro Montanelli - hier befand sich früher ein Zoo - und kann mit zwei Metrolinien und der S-Bahn leicht erreicht werden.
© marathon4you.de | 11 Bilder |
© marathon4you.de | 11 Bilder |
Wir folgen vom Bahnhof Turati aus anderen Sportlern und finden schnell den Park. Ab da ist dann alles ausgeschildert, außerdem kommen uns drei afrikanische Läufer entgegen. Bei deren Aufwärmprogramm könnte ich vielleicht gerade noch mithalten. Am Museo di Storia Naturale befinden sich viele Toilettenhäuschen und die LKWs für die Kleiderbeutel. 45 Minuten vor dem Start kommt es in der schmalen Gasse zwischen den Fahrzeugen schon zu leichtem Gedränge. Die Startaufstellung erfolgt dieses Jahr in acht Blöcken, laut Infoheft soll es dadurch noch flüssiger vorangehen. Kurz vor dem Beginn wird die italienische Nationalhymne intoniert und dann geht es unter rot-weiß-grünem Konfettiregen für die vorderen Reihen auf die große Runde.
Die ersten drei Kilometer führen über breite Straßen, trotzdem müssen einige pfiffige Sportfreunde, die über den Staffelzielkanal gestartet sind, nun überholt werden. Das gibt mir immerhin Zeit für einige Fotostopps. Kilometer 2 bringt uns zum Neubaugebiet am Bahnhof Porta Garibaldi. Atemberaubend, wie sich diese Gegend seit unserem letzten Besuch vor vier Jahren gewandelt hat. Sehr grün die beiden Wohnhochhäuser nach Plänen des Architekturbüros Stefano Boeri, quasi senkrechte Gärten und dementsprechend auch unter dem Namen „Bosco Verticale“ bekannt. Das benachbarte, 2012 eröffnete Unicredit-Hochhaus mit seiner gedrehten Spitze gilt als das höchste Gebäude Italiens und misst stolze 231 m. Das Geldinstitut veranstaltet heuer auch eine italienische Bankenwertung. Unser HVB-Sportclub in München gehört ja quasi auch dazu. Als Ausländer wurden wir am Stand auf der Marathonmesse aber nicht für die Klassifizierung zugelassen. Schade, da wäre vielleicht ein vorderer Platz für Judith drin gewesen.
© marathon4you.de | 29 Bilder |
© marathon4you.de | 29 Bilder |
Es geht unter einem Bürogebäude aus vergangenen Zeiten hindurch. Damals sicher hochmodern, wartet es nun wohl auf den Abriss. Links vor uns das Pirelli-Hochaus, 1958-60 im Auftrag des Reifenherstellers nach Plänen von Giò Ponti und Pier Luigi Nervi errichtet und 127 m hoch. Seit 1978 beherbergt es die Regierung und das Parlament der Region Lombardei und ist inzwischen nur noch das vierthöchste Gebäude in Mailand. Dann öffnet sich der Blick auf den wohl monumentalsten Bahnhof der Welt: Milano Stazione Centrale, eingeweiht im Jahr 1931 als Ersatz für den alten Hauptbahnhof, der seit der Inbetriebnahme des Simplontunnels 1906 dem erhöhten Verkehrsaufkommen nicht mehr gewachsen war. Der Entwurf des Architekten Ulisse Stacchini hatte 1912 einen Wettbewerb gewonnen und lehnte sich mit seinem eklektizistischen Stil an die Union Station in Washington, D.C. an. Er enthält sowohl historische Elemente aus der römischen und klassizistischen Monumentalarchitektur als auch solche aus Jugendstil und Art déco. Mit jährlich 120 Millionen Fahrgästen ist Milano Centrale einer der wichtigsten Bahnhöfe im europäischen Verkehrsnetz. Nach einigen Renovierungsmaßnahmen kam unlängst in der Vorhalle noch ein unterirdisches Einkaufszentrum hinzu. Auch für Nicht-Passagiere ist das Gebäude ein Besuch wert. Eine eigene App erläutert alle Sehenswürdigkeiten des Bahnhofs.
Über die breite Via Pisani geht es Richtung Zentrum. An der ehemaligen spanischen Stadtmauer treffen wir auf die bekannte Strecke und laufen an der Porta Venezia vorbei, natürlich unter dem Jubel der Zuschauer, die nach dem Start hierher weitergezogen sind. Eine andere Ringstraße markiert den Standort der mittelalterlichen Stadtmauer. Wir sehen die Löwensäule vor der Kirche San Babila. Diese gehört zu den ältesten noch erhaltenen Gotteshäusern in Mailand.
Dann zu eher weltlichen Genüssen: Die Via Montenapoleone ist das Mekka der Reichen. Hier findet man die teuersten Modelabels. Eine schmale unscheinbare Straße, die heute auch noch von vielen Lieferwagen frequentiert ist. Noch ein paar Ecken an großen Stadtpalästen vorbei. Es scheint sich um ein Bankenviertel zu handeln. Viele bekannte Namen schmücken die Häuser. Gleich rechts nebenan wäre das Viertel Brera mit mittelalterlichen Häusern und kleinen Gässchen, in denen sich die Kunst- und Designszene niedergelassen hat. Das Kunstmuseum Pinacoteca di Brera genießt Weltruf.
© marathon4you.de | 43 Bilder |
© marathon4you.de | 43 Bilder |
Dann zur Musik: Das „Teatro alla Scala“ liegt an der Strecke. Hinter dem etwas unscheinbaren Eingangsgebäude erkennt man das große Opernhaus. Daneben ein Eingang zur Galleria Vittorio Emanuele II. Und ein paar Hundert Meter weiter taucht in gleißendem Licht der Mailänder Dom auf, der mit seinen markanten (neu-)gotischen Spitzen auch das Logo des Marathons ziert und nach dem Petersdom in Rom und der Kathedrale von Sevilla die flächenmäßig drittgrößte Kirche der Welt ist, außerdem der umfangreichste Marmorbau überhaupt. Wer nach dem Marathon noch Kraft hat, kann auf das Dach steigen und die vergoldete Figur der in den Himmel auffahrenden Muttergottes auf dem Mittelturm genauer betrachten.
Vor der Kirche auf dem großen Platz stehen Palmen und Bananenstauden. Ein Politikum, das es bis in die „Süddeutsche Zeitung“ geschafft hat: Die Diskussion darüber, ob diese Pflanzen zu Mailand passen, erhitzt die einheimischen Gemüter. Dann doch lieber ein Blick nach rechts in die Galleria. Das große Schnellrestaurant in der Passage musste feineren Geschäften weichen. Einen knappen Kilometer weiter wartet ein Blick auf das Schloss Castello Sforzesco, erbaut von mehreren namhaften Architekten an der Stelle der 1447 zerstörten Burg der Familie Visconti und heute Sitz verschiedener Museen. In manchen Jahren befand sich hier das Ziel des Marathons.
Am Piazzale Cadorna steckt die Skulptur einer riesigen Nadel samt farbigem Faden im Boden. Mailand ist eine der wichtigsten Modestädte Italiens und der Welt. Im schon sehr sommerlich grünen Parco Sempione noch am Kunstpalast vorbei, der heute das Design-Museum der Triennale di Milano beherbergt, bevor die Mädels von Huawei uns zu den ersten zehn Kilometern beglückwünschen: -32 steht auf einem Schild. Ob die Aussicht auf 32 weitere Kilometer jeden motiviert, bleibt dahingestellt...
Durchschnaufen, der Sightseeing-Teil ist jetzt erst einmal vorbei, ebenso die gefährlichen Steinplatten zwischen den Straßenbahngleisen, die doch ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit erforderten.