Der Gardasee liegt in Oberitalien und ist der größte See Italiens. Er wurde durch einen Gletscher in der vergangenen Eiszeit geformt, dessen Spuren man noch heute verfolgen kann, insbesondere durch die Endmoränen um das Südufer des Lago die Garda, wie der Gardasee in Italien heißt. Erste Besiedlungen des Seeufers datieren um das Jahr 2000 vor Christus. Gelegen ist der Gardasee zwischen den Alpen im Norden und der Po-Ebene im Süden. Der Norden gehört zur Region Trentino-Südtirol, der Westen zur Lombardei und der Osten zu Venetien. Damit müssen sich drei Provinzen die Verwaltung des Gardasees teilen. Das nördliche Ufer wird zudem von eindrucksvollen Zweitausendern, wie etwa dem Monte Baldo gesäumt und ist ein wahres Trailrunning-Paradies.
Klar, dass der Gardasee seinen eigenen Marathon braucht. Doch wer dabei an eine Umrundung des Gardasees denkt, liegt natürlich falsch. Über 158 Kilometer beträgt der Umfang und wäre somit sogar für so manchen Ultraläufer eine riesige Herausforderung. Unser Laufrevier befindet sich im Norden des Sees und wird trotz der tollen Bergkulisse nur rund einhundert Höhenmeter aufweisen.
Ich reise bereits am Samstag an und mein erster Weg führt mich nach Torbole. Der Hauptort der Gemeinde Nago-Torbole ist über die Küstenstraße Gardesana Orientale sehr gut zu erreichen. Der Ost selbst liegt direkt am Gardasee auf einer Höhe von 68 Metern über dem Meeresspiegel. Der höchste Punkt der Gemeinde ist der Gipfel des Monte Altissimo, der mit immerhin 2079 Metern angegeben wird. Im Sportzentrum werden bereits heute die Startnummern ausgegeben. Nach einer kurzen Prüfung des Gesundheitszeugnisses, das bei der Teilnahme an italienischen Laufveranstaltungen Pflicht ist, wird mir meine Startnummer ausgehändigt und auch das Finisher-Shirt kann ich schon heute in Empfang nehmen. Da hier noch nicht allzu viel los ist, schlendere ich zusammen mit meinem Laufkumpanen Charly noch etwas durch den Ort. Die Temperaturen sind mit etwa 15 Grad angenehm und lassen auf morgen hoffen.
Schon bald sitzen wir wieder im Auto und folgen weiter der Gardesana Orientale in Richtung Süden. Das nächste Ziel ist die „Perle des Gardasees“, wie Malcesine auch genannt wird. Der durch den Tourismus geprägte Ort ist der Ausgangspunkt des Lake Garda Marathons und dort haben wir auch ein Zimmer reserviert. Geprägt wird das Bild des Städtchens mit ihren rund 3800 Einwohnern durch die vielen engen Gassen in der Altstadt und der Skaligerburg. Diese steht auf einem Felsvorsprung direkt am Ufer des Sees. Vom Turm aus hat man eine tolle Aussicht über den Ort und über den Gardasee. Die alte Kernburg mit Palas und Bergfried wurde durch die Scaliger errichtet. Auch Goethe besuchte 1786 während seiner berühmten Italienischen Reise Malcesine. Dort wurde er sogar kurz wegen Spionageverdachts festgehalten, als er beim Zeichnen der Skaligerburg beobachtet wurde.
Direkt gegenüber des Rathauses finden wir schnell unser Hotel und machen uns nach einer kurzen Stärkung auf Erkundungstour durch den Ort. Weitere Sehenswürdigkeiten sind hier der Palazzo dei Capitano. Der hübsche gotische Palast aus dem 15. Jahrhundert war früher die Residenz venezianischer Stadthalter und liegt direkt am Hafen. Ansonsten entdecken wir bei unserem Rundgang unzählige kleine Geschäfte, die Kunst und Mitbringsel anbieten. Zudem laden zahlreiche Lokale zum Einkehren ein. Doch wir wollen uns heute nicht übermäßig strapazieren und legen nach einem kurzen Besuch der Pfarrkirche Santo Stefano, einer Barockkirche aus dem frühen 18. Jahrhundert, erst mal eine Pause auf unserem Zimmer ein. Abends stärken wir uns nochmals beim hoteleigenen Italiener, um noch genügend Schlaf vor dem anstehenden Marathon abzubekommen.
Über Nacht hat es zu regnen begonnen und als ich mich am nächsten Morgen zusammen mit Charly auf den Weg zum Frühstück mache, nehmen wir mit wenig Begeisterung zur Kenntnis, dass der blaue Himmel des Vortags wohl Geschichte ist. Alles ist grau in grau, aber immerhin hat es zu regnen aufgehört. Es ist kühl geworden und wir profitieren von den kurzen Wegen. Der Startbogen ist inzwischen aufgebaut und befindet sich direkt vor dem Ausgang unseres Hotels. Unsere Wechselklamotten können wir gleich hinter dem Rathauses abgeben und uns so immer wieder mal in die Wärme des Hotels zurückziehen. Der Rathausplatz füllt sich schnell mit erwartungsfrohen Läufern. Neben dem Lake Garda Marathon wird auch noch der 30k-Garda-Run gestartet, der sein Ziel ebenfalls in Torbole hat. Rund zehn Minuten später wird es einen weiteren Start geben. Die Läufer mit den grünen Startnummern machen sich dann auf dem direkten Weg von Malcesine nach Torbole und absolvieren dabei 15 Kilometer.
Pünktlich um 9:30 Uhr erfolgt schließlich der Startschuss und das Warten hat ein Ende. Wir laufen in Richtung Süden. Schon bald haben wir das Ortsende von Malcesine erreicht. Die Strecke führt auf einem Wanderweg direkt am Ufer des Garadasees entlang. Auch wenn die Wolken tief hängen, ist der Ausblick auf den Gardasee traumhaft. Nach vier Kilometern erreichen wir Cassone, einen Ortsteil von Malcesine. Das Bild dieses kleinen Ortes wird vor allem durch den kleinen Fluss Aril geprägt, der oberhalb des Ortes entspringt, durch dessen altem Zentrum läuft und nahe dem Hafen, den wir hier durchlaufen, in den Gardasee mündet. Zwei Campingplätze und ein kleines Hotel werden hauptsächlich durch italienische Wochenendtouristen frequentiert.
Weiter geht es in Richtung Assenza, das zur Gemeinde Brenzone gehört. Wir nähern uns dem Wendepunkt bei Kilometer 9. In der noch relativ jungen Ortschaft Brenzone sul Garda wechseln wir vom Wanderweg hoch auf die Küstenstraße Gardesana Orientale und laufen zurück in Richtung Malcesine. Immer wieder gleitet hier mein Blick über die Dächer der kleinen Ortschaften hinüber zum Gardasee. An der Gardesana Orientale haben sich auch erste Zuschauer eingefunden, die uns mit ihren „Forza, Forza“-Rufen Kraft und Stärke für die kommenden Kilometer wünschen.
Zurück in Malesine haben wir bereits 15 Kilometer hinter uns gelassen und laufen nun weiter auf der Gardesana Orientale in Richtung Torbole. Die Strecke bin ich ja am Vortag schon in entgegengesetzter Richtung abgefahren und ich weiß, was auf mich zukommt. Die Strecke führt immer leicht bergan und bergab. Optisch sind die Steigungen kaum wahrzunehmen, man spürt sie aber mit der Zeit in den Beinen.
Bei Kilometer 19 erreichen wir Navene, das unterhalb des Bergsattels Bocca di Novene gelegen ist. Der 1420 hohe Bocca di Novene ein beliebtes Revier für Bergwanderer und Montainbiker, die den bewirtschafteten Gipfel des Berges zum Ziel haben. Statt auf, laufen wir durch den Berg. Der Tunnel ist nahezu 1,7 Kilometer lang. Es wird es dunkel und nur gelegentlich gibt es linkerhand eine Öffnung und man hat einen schönen Blick auf den Gardasee. Auf dem weiteren Weg über Tempesta durchlaufen wir noch ein paar kleinere Tunnels, bis ich in der Ferne Torbole erkennen kann. Der Zielsprecher ist deutlich zu hören und kündigt schon eifrig Finisher an.
Davon beflügelt, ziehe ich das Tempo etwas an, muss mich jedoch immer wieder etwas bremsen, da mir klar ist, dass es überwiegend die Teilnehmer des 30-K-Runs sein werden, die jetzt ihr Ziel erreichen. Ich habe gerade erst mal etwas mehr als die Hälft des Marathons absolviert und noch einiges vor mir. Trotzdem laufe ich zusammen mit einigen 30-Kilometer-Läufern in Torbole ein. Hier haben sich einige Zuschauer eingefunden, die uns applaudieren und einige Mitläufer ziehen den Endspurt an. In der Ortsmitte biegen sie nach links ab und haben nur noch wenige hundert Meter bis zum Ziel am Strand von Torbole.
Ich nehme den Weg nach rechts, der die Marathonis auf eine zwölf Kilometer lange Schleife rund um Torbole schickt. Über die Via Giacomo Matteotti, Torboles Hauptstraße, verlassen wir den Hauptort schnell wieder und überqueren den Fiume Sarca, einen von drei Quellflüssen des Mincio, der kurz darauf in den Gardasee mündet. Die Viale Rovereto führt uns weiter am Ufer des Gardasees entlang in Richtung Nordosten bis zu einem weiteren Wendepunkt.
Ein paar Marathonis haben diese Schleife bereits hinter sich und kommen mir entgegen. Später, als ich mich auf dem Rückweg befinde, stelle ich zufrieden fest, dass immer noch einige Teilnehmer die Schleife vor sich haben. Wir laufen in Richtung Norden. Die Strecke ist hier weniger attraktiv, lediglich die Bergmassive, die uns umgeben, sind ziemlich eindrucksvoll. In einem kleinen Industriegebiet dürfen wir endlich wenden und werden auf einen Wanderweg geschickt, der entlang des Fiume Sarca in Richtung Torbole führt. Ab jetzt kann ich den Lauf wieder richtig genießen. Die Landschaft ist herrlich und die restliche Distanz überschaubar.
In Torbole überquere ich eine Brücke und finde mich nun am Strand von Torbole wieder. Nur noch einen Kilometer und ich habe das Ziel erreicht. Ich lasse es nochmal richtig krachen und habe teilweise Probleme, den engen Kurven der Strandpromenade zu folgen. Zudem haben sich etliche Touristen unterwegs, die zu umlaufen sind. Egal, nur hier und da noch eine Kurve und ich habe den gelben Zielbogen vor mir. Ich warte noch auf ein paar Mitläufer, die ich unterwegs kennengelernt, aber auf den letzten Kilometern hinter mir gelassen habe und empfange sie im Ziel. Charly ist natürlich auch schon da und berichtet mir von seinen Erlebnissen, die sich mit meinen decken. Wir sind begeistert. Eine wirklich tolle Strecke. Im Getümmel entdecke ich auch noch Stefano Chelodi, den Verantwortlichen des Lake Garda Marathon, und lobe Organisation und Strecke, was ihn sichtlich freut. Die Siegerehrungen sind bereits im Gange und ich nütze die Zeit, um mich umzuziehen.
Zufrieden mache ich mich zusammen mit Charly nach einer kurzen Erholungspause auf den Weg zum Hafen von Torbole, wo bereits ein Schiff auf uns wartet, das uns zurück nach Malcesine bringt. Nachdem uns der Hafenmeister mit fachkundigem Blick als Marathonläufer einordnet, bekommen wir, wie natürlich alle Teilnehmer, eine kostenlose Fahrkarte für unsere Rückreise. Die Schiffsfahrt dauerte rund eine dreiviertel Stunde, da wir zuvor auch noch in Limone am Westufer des Gardasees anlegen. So kommen wir als Zugabe noch in den Genuss einer kostenfreien Schiffsrundfahrt, die man sowieso machen muss, will man behaupten, am Gardasee gewesen zu sein.