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OKWir schreiben das Jahr 1973, nicht wenige von Euch befinden sind noch nicht einmal in der Planung. In Deutschland wird die Dauer der Wehrpflicht von 18 auf 15 Monate verkürzt, Helmut Kohl übernimmt den Vorsitz der CDU, das erste Telefonat über ein Mobiltelefon wird geführt und die Watergate-Affäre erschüttert die USA. Und ein paar Unerschrockene meinen, es sei sinnvoll, im nahe Köln gelegenen Königsforst einen Marathonlauf zu veranstalten.
52 Jahre später findet bereits die 51. Ausgabe statt, begleitet vom 50. Halbmarathon und dem 5. Ultra. Sogar 2021 in der Pandemie haben 600 Menschen mit einem besonderen Startkonzept teilgenommen. Nur im Jahr 2007 ist der Lauf ausgefallen wegen des damaligen Sturms Kyrill.
Die seit letztem Jahr neu konzipierte 21,1 km-Runde kann man nämlich, ganz nach Gusto, ein-, zwei- oder dreimal ablaufen. Der Lauf zählt zu den sechs am längsten durchgeführten Marathons in Deutschland und nutzt auch wieder Teile der ehrwürdigen Originalstrecke von 1973. Dies und die relative Nähe zu meinem Zuhause lässt mich hier, ganz im Gegensatz zu meiner Gewohnheit, regelmäßig Neues erleben zu wollen, bereits zum dritten Mal meine Visitenkarte abgeben.
Nach nicht einmal einer Stunde Anfahrt bin ich vor Ort und empfange im Albertus-Magnus-Gymnasium Bergisch-Gladbach unkompliziert meine Startnummer. Und es ist richtig etwas los: Der Halbmarathon ist mit 1.759 Gemeldeten ausgebucht, zum Marathon haben sich 402 Laufwillige entschlossen und noch eine dritte Runde mehr wollen sich 209 Unerschrockene gönnen. Für eine, und das meine ich rein landschaftlich und keineswegs despektierlich, Feld-, Wald- und Wiesenveranstaltung ist das ein wirklich starkes Teilnehmerfeld. Das es zu entzerren gilt, denn die Veranstaltung wirbt mit dem Attribut Run Green – Run Happy als besonders ressourcenschonend und die Natur wenig belastend. Deswegen und auch zur Stressvermeidung an den Verpflegungsstellen werden der Marathon in drei und der Halbmarathon in sechs Wellen, jeweils nach angegebenen Zielzeiten gestaffelt, gestartet.
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© marathon4you.de | 11 Bilder |
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Doch vorher ist noch reichlich Zeit, sich selbige zu vertreiben. Jochen Baumhof, eine regionale Lauflegende und die graue Eminenz des ausrichtenden TV Refrath, begrüßt uns von der Bühne in der Halle und auch öffentlichkeitswirksam den schon länger nicht mehr rasenden Reporter, der sich auf diese Weise kurzfristiger Berühmtheit erfreut. Aber auch ohne diese Vorstellung treffe ich so manchen Lebenslaufbegleiter. Jörg, den Flussläufer, habe ich bestimmt fünf Jahre nicht mehr gesehen, die es nun aufzuarbeiten gilt. Es gibt auch viel zu sehen, nicht nur den Udo, der wie fast immer alles und mehr dabei hat, was jemand vergessen haben könnte. Seine Birgit, Streckenrekordhalterin in 2:53:22 Std., wird, inzwischen gereift, in unter vier Stunden die Ziellinie überqueren.
Die Ultras befinden sich bereits seit 9 Uhr auf ihrem Weg, als der ältere Herr im dritten Startblock um 10:20 Uhr loszuwackeln gedenkt, um sich ganz beruhigt der laufenden Meditation hinzugeben, denn mit 6 Stunden und 25 Minuten ist die Zielzeit sehr großzügig bemessen. Knappe neun Minuten pro km sollte man auch als alter Dackel noch lange problemlos schaffen können, wenn die morschen Knochen mitmachen. Wer weiß, vielleicht werde ich ja tatsächlich auch mit Mitte 70 noch auf Marathonkursen erfolgreich sein können. Schön wär’s jedenfalls.
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Jochen Baumhof schießt dann auch uns höchstpersönlich bei bestem Wetter auf die Strecke. Anfangs ein Wohngebiet durchquerend, tauchen wir mit Unterquerung der BAB 4 nach 1,3 km in den Königsforst, dem 2519 Hektar großen Waldgebiet ostwärts von Köln, ein. Natürlich ist der ein beliebtes Naherholungsziel, was wir im späteren Verlauf durch Heerscharen Wanderer, Radler und Jogger bewiesen sehen werden. Noch ist es mit 4 Grad, die sich gegen Laufende zu deren 12 entwickeln werden, recht frisch. Doch bin ich mit je einem Kurz- und Langarmshirt ausreichend bekleidet, denn die Wege werden häufig durch die Sonne beschienen werden, da sich der überwiegende Buchen- und Eichenwald noch blattlos präsentiert. Die Windstille tut ein übriges.
Ein Mitläufer, der mich erkennt und mit dem ich ins Plaudern komme, freut sich schon aufs nächste Wochenende, das er in München beim Urban Trail verbringen wird. Bei mir klingelt's zwar sofort, trotzdem frage ich nach dem Organisatoren. Ja, das sei einer vom 100 Marathon Club, der Andreas Bettingen. Den Namen habe nicht nur ich schon mal gehört und die nächste Veranstaltung direkt ins Auge gefasst. Als dann Pensionär sollte man ja terminlich flexibler werden, zumindest in der Theorie. Bei der Unterquerung der A4 kommen uns eine ganze Reihe Ultras entgegen, die ihr erstes Drittel bereits fast geschafft haben.
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Ging es anfangs deutlich bergab, folgt dem eine leichte Steigung, an deren Ende, so zwischen km 3 bis km 4 die Luft merklich dünn wird. Die Leistung fällt abrupt ab - was soll das denn? Da fällt es mir wie Schuppen aus den Haaren: Natürlich, das ist doch der hochalpine Abschnitt dieses Laufs, ich befinde mich im Hochgebirge! Sagenhafte 28 HM sind bis hierher bewältigt. Völlig klar, der Gipfelstürmer hat den nach den Nachnamen seiner drei „Entdecker“ Troost, Dedden und Löhmer bezeichneten Monte Troodelöh genommen.
Mit beeindruckenden 118,04 m ü. NN ist er der höchste Punkt auf Kölner Stadtgebiet. Schade, dass auch diesmal wieder kein Gipfelbuch ausliegt, wahrscheinlich schon wieder geklaut oder dem allgegenwärtigen Vandalismus zum Opfer gefallen. Aber zumindest den Gipfelstein als Nachfolger des ursprünglichen Gipfelkreuzes habe ich eingehend inspizieren und fotografieren können. Danach geht es, wie bisher und auch künftig auf breiten Waldwegen, bergab zur ersten Verpflegungsstelle bei km 6,1. Man kredenzt und neben Wasser und Iso Bananen, Orangen, Äpfel, Gurken mit Salz und mit Riegeln auch etwas Süßes.
Die Getränke sind zu meinem Leidwesen nicht temperiert, aber wie will man das bei so vielen Teilnehmern mitten im Wald bewerkstelligen? Leider passen kühle Witterung und kalte Getränke meinem Bläschen überhaupt nicht und verursachen mehrere ungeplante Boxenstops. Mit Schrecken denke ich an den äußerst mitfühlenden Kameraden, der seinerzeit im Vorbeilaufen in Kevelaer schrie: „Der da von Marathon4you, den sieht man mehr beim Pinkeln als beim Laufen!“ Heute ertönt glücklicherweise nichts dergleichen. Weiter geht es auf schönen Wegen wellig, weiterhin gegen den Uhrzeigersinn durch den Königsforst. Bei km 10,5 am 2. VP erwartet uns ein kurzer Pendelweg, damit wir auf die exakte Streckenlänge kommen.
Ein besonderer Hingucker auf dem Kurs, der dem Körper ansonsten doch eher nicht durch optische Reizüberflutung Schaden zuzufügen droht, ist die Zwölf-Apostel-Buche: Eine Laune der Natur hat aus einer Wurzel zwölf Stämme wachsen lassen. Sowohl die als auch den Monte Troodelöh habe ich bereits bei meinen ersten beiden Teilnahmen auf deutlich anderen Streckenverläufen kennenlernen dürfen, sind also alte Bekannte.
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Mitten im Königsforst nach 15 gelaufenen km, exakt an der Stelle, an der die drei Stadtgebiete von Köln, Bergisch Gladbach und Rösrath zusammentreffen, befindet sich eine Wassertretstelle, an welcher der Giesbach in einem Becken gestaut wird. Die heilende Wirkung des kalten Wassers kannte bereits Antonius Musa, der Leibarzt des römischen Kaisers Augustus. Musa verordnete seinem prominenten Patienten kalte Bäder, die dem Gichtgeplagten Linderung verschafften. Pfarrer Sebastian Kneipp ließ seine Patienten im Storchenschritt durch ein Wassertretbecken schreiten. Man taucht abwechselnd einen Fuß ins Wasser, während der andere draußen bleibt. Nach dem Bad wird das Wasser nur abgeschüttelt, nicht abgetrocknet. Nachdem man Strümpfe und Schuhe wieder angezogen hat, wird durch Wandern oder Laufen für ausreichende Durchblutung und Erwärmung gesorgt.
Nach der Wassertretstelle folgt der zweite, spürbare Anstieg, an dem 40 Höhenmeter auf einer Streckenlänge von 630 m zu überwinden sind. Die dritte Verpflegung belohnt kurz danach für diese schier überirdische Anstrengung. Als Westerwälder fallen mir Steigungen leicht, ich merke aber auch deutlich die Schwierigkeiten ausgesprochener Flachlandtiroler.
Kurz darauf ist nach 16,5 km der höchste Punkt der Strecke erreicht. Von hier an geht es flach den Weg der ehemaligen Bahntrasse Köln-Mülheim–Lindlar (im Volksmund: Sülztalbahn) entlang zurück nach Bensberg. Die Teilstrecke durch den Königsforst zwischen Bensberg und Rösrath wurde 1961 stillgelegt, die Gleisanlagen wurden bis 1964 demontiert und das alte Bahnhofsgebäude in den siebziger Jahren abgerissen. Nur noch eine Bronzeplakette erinnert an den Bahnhof im Königsforst. Heute dient die Trasse als Rad- und Wanderweg oder auch, wie heute, als Langlaufstrecke.
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Ärgern muss ich mich mal wieder über die sehr wenigen Deppen, die es nicht schaffen, ihren Müll in die zahlreich aufgestellten Behältnisse zu entsorgen. Wieso muss ich ein leeres Geltütchen unterwegs fallenlassen, wenn ich in der Lage war, es voll zu transportieren? Gerade diese Veranstaltung wirbt doch mit ganz besonderer Rücksichtnahme auf Natur und Umwelt, da sollte ich mich diesem Geist doch anpassen können und den Veranstaltern damit Respekt zollen.
Schön ist es sicherlich nicht nur für mich, immer wieder von einzelnen Fangrüppchen angefeuert zu werden. Das gute Wetter lockt viele ins Freie und beschert uns Aufmerksamkeit. Auf dem letzten Kilometer geht es wie gehabt hinter der Unterführung aus dem Forst heraus. 400 m vor dem Ziel geht es rechts ab den Schlossfeldweg hinauf.
Auf dem letzten Kilometer kommen uns zahlreiche Marathonis und Ultras entgegen, die sich schon auf der nächsten Runde befinden. Bei Halbzeit am 4. VP sind 2:17 Std. vergangen, noch fühle ich mich soweit gut. Jetzt kommen mir Läufer aller drei Disziplinen in Massen und unterschiedlichsten Zuständen entgegen, da lässt sich allein aus der Optik vieles herauslesen. Besonders beeindrucken mich natürlich die schnellen Ultras, die in deutlich höherem Tempo anderthalbmal soweit laufen wie ich. Ah, da ist unsere Sigrid von der LG Westerwald, was für eine schöne Überraschung!
31,1 zurückgelegte km werden mir mittlerweile attestiert und so ganz langsam beginne ich zu beißen. Was natürlich kein Wunder ist, wenn man seit dem letzten Marathon vor zwei Monaten nur lausige zwei Läufe über je schlappe 20 km hinbekommen hat, auch wenn der Gesamtumfang Trainingskilometer stimmte. Das kleine Tief ist augenblicklich überwunden, als ich die ersten vor mir Laufenden einzusammeln beginne. Deren 23 sind es dann, als ich die allerletzte Steigung Richtung Ziel nehme, die mir erfreulicherweise genauso wenig Probleme bereitet wie die km zuvor.
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Nach 4:38 Std. bin ich dann zufrieden im Ziel und fühle mich marathonmäßig wieder in der Spur. „Wolfgang, halte mich bitte!“, entfährt es Sigrid, als sie kurz nach mir ihre drei Runden in beachtlichen 6:02 Std. geschafft hat. Selbstlos wie ich nun mal bin, lasse ich mich nicht zweimal bitten, bis ihr Kreislauf wieder steht. Nette Frauen hält Mann ja gerne in den Armen. Sie hatte versucht, die zwei Minuten über sechs Stunden herauszuquetschen, aber das war dann heute der Anstrengung etwas zu viel gewesen.
Ich bekomme eine sehr schöne, farbige Medaille, die diesmal einen Stieglitz abbildet. Diesen Piepmatz musste aber Elke auf dem heimischen Sofa identifizieren, spontan war ich dazu nicht in der Lage. Wer es nicht weiß: Jährlich zeigt man uns einen anderen Vogel zum mit nach Hause nehmen. Der Stieglitz wird übrigens auch Distelfink genannt, ist nicht besonders gefährdet und war 2016 vom NaBu zum Vogel des Jahres gekürt worden. 12 – 13 cm groß und 14 – 19 g leicht, hat er eine Flügelspannweite zwischen 21 und 25 cm. So, jetzt habe nicht nur ich am Ende noch etwas gelernt. Noch eine Bouillon und ein Abschlussbierchen, dann ziehe ich zufrieden von dannen.
Streckenbeschreibung:
„Hügelig-wellige-attraktive“ (O-Ton Veranstalter), wieder DLV-vermessene, zweimal zu durchlaufende Halbmarathonrunde mit insgesamt (selbstgemessenen) 325
Höhenmetern.
Startgebühr:
Je nach Anmeldezeitpunkt 45 oder 50 € für den Marathon bei Voranmeldung.
Weitere Veranstaltungen:
Halbmarathon und Ultra über eine bzw. drei Runden.
Leistungen/Auszeichnung:
Medaille, Urkunde, Sachpreise für die Erstplazierten.
Logistik:
Das Albertus-Magnus-Gymnasium in Bergisch-Gladbach bietet eine perfekte Infrastruktur.
Verpflegung:
Viermal Verpflegung mit Wasser, Iso, später zusätzlich Cola sowie Bananen, Orangen, gesalzene Gurken und Riegel.
Zuschauer:
Unterwegs einige kleine Fangruppen, zahlreiche Radler, Spaziergänger und Jogger.