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Laufberichte

ABGESAGT: ERINNERST DU DICH? (23)

 
Autor: Klaus Duwe

Die Organisatoren des GutsMuths-Rennsteiglaufs haben nach umfassender Bewertung aller derzeit bekannten Umstände beschlossen, die Austragung des für den 16. Mai 2020 geplanten 48. GutsMuths-Rennsteiglaufs abzusagen. Eine Verschiebung in den Herbst wird nicht erfolgen. Damit findet die 48. Auflage am 8. Mai 2021 statt.  (Pressemitteilung Rennsteiglauf)

Der Veranstalter vermeidet das Wort „Corona“. Gut so, man kann es nicht mehr hören/lesen.

Sechsmal in Folge wurde der Rennsteiglauf zum „Marathon des Jahres“ gewählt. Will man alle Laufberichte über den Kultlauf im Thüringer Wald auf Marathon4you und Trailrunning.de lesen, muss man Zeit mitbringen. Von keiner anderen Veranstaltung gibt es so viele Beiträge und Bilder. Für unseren Rückblick habe ich ganz bewusst meinen Laufbericht von meiner ersten Teilnahme am Marathon (Neuhaus-Schmiedefeld) gewählt, der etwas im Schatten des Supermarathons steht. Viel hat sich am Rennsteiglauf die ganzen Jahre über nicht geändert, zumindest nicht nach außen hin. Sogar an die spezielle Länge des Marathons (43,5 km) hatte man sich gewöhnt. Inzwischen wurde sie dann aber doch angeglichen und beträgt jetzt wie im Rest der Welt 42,195 km.

 

Alle Laufberichte und Bilder vom Rennsteiglauf findet man hier auf

Marathon4you.de

Trailrunning.de

 

2010: Kult, Folklore, Landschaft

 

Wer vom Rennsteiglauf spricht, meint den Supermarathon über 72,7 km von Eisenach nach Schmiedefeld. Der Marathon kommt nicht vor. So ist es auch bei den M4Y-Läufern. Nur selten hat sich einer für den Marathon von Neuhaus nach Schmiedefeld interessiert.

Dabei ist das Läuferfeld mit ungefähr 3000 Teilnehmern deutlich größer als beim Supermarathon. Es wird also Zeit, das Marathon-Unikum mit den 43,5 Kilometern auf unserer Seite wieder einmal angemessen zu präsentieren. Und wer macht’s? Wie immer: Was sonst keiner will, bekomme ich.

Aber ich bin neugierig genug auf den Lauf, um mich nicht als Opfer zu fühlen. Schon jetzt kann ich sagen: Gäbe es den Supermarathon nicht, wäre dieser Marathon das Maß aller Dinge bei den Landschaftsläufen und die Startplätze müsste man verlosen. Denn sehr viel mehr als die 3000 Läuferinnen und Läufer, die dieses Jahr an der Startlinie bei der GutsMuths-Halle in Neuhaus am Rennweg stehen, passen, zumindest auf einigen Passagen, nicht auf die Strecke.

Das Ganze heißt zwar „Lauf“, wird der Veranstaltung aber nicht gerecht. Es ist ein Festival, das sich über eine ganze Region verteilt. Egal, ob man in Oberhof (Halbmarathon), Neuhaus (Marathon, 50 km Marsch) oder Eisenach (Supermarathon) an den Start geht, immer gehören ein Fest „vor und danach“ dazu. Nirgendwo bereitet man sich auf einen Lauf mit so viel Bier und  Kalorien vor, wie hier. Und nirgendwo wir danach dermaßen abgefeiert. Die Verletzungsgefahr ist beim Tanz auf Bänken und Tischen mindestens genauso groß wie auf der Strecke und mancher weiß am Sonntag nicht, woher er den Muskelkater hat: vom Laufen oder Tanzen?

Alles beim Rennsteig ist deftig und hausgemacht. Pastaparty? Kannst Du überall haben. Hier gibt’s Klöße, Rotkraut, Schweinebraten, Bratwurst. Musik? Ja, aber bitte live, von Hand und zum Mitsingen. Ich garantiere Euch: Bei den Marathons in den Fasnachtshochburgen wird man blass vor Neid, wenn man diese Stimmung hier erlebt. Kein Außenstehender würde auf die Idee kommen, dass diese Leute am nächsten Tag 42 oder gar 72 Kilometer laufen.

Neuhaus am Rennweg liegt auf 830 m Höhe. Am Freitag regnet es und es ist saukalt. „Mach Dir keine Sorgen, kälter als hier ist es nirgends am Rennsteig“, tröstet mich der Intersport-Verkäufer, als ich ihn nach einer langen Laufhose frage. Er ist nämlich wie ich ganz auf Sommer eingerichtet und hat nur „kurz“ im Angebot.  Bei vier Grad eine ganz neue Erfahrung für mich. Nur oben rum bin ich gut eingepackt. Wenigstens scheint am Samstagmorgen die Sonne.

 

 

Der Startplatz ist unterhalb der GuthsMuts-Halle. Auf einem LKW hat es sich die Lichter Blasmusik bequem gemacht und begleitet ein Gesangs-Duo, ebenfalls aus einem Nachbarort. Unterbrochen werden ihre Darbietungen vom Sprecher, der mal Falschparker vor dem Abschleppwagen warnt, mal ein verlorenes Handy anpreist und schließlich die regionale Laufprominenz begrüßt. Und damit sind keineswegs etwa Spitzenläufer gemeint, sondern die für den Rennsteiglauf typischen Stammläufer. Es gibt keinen Lauf mit einer ähnlichen „Kundentreue“.  Stolz tragen die Jubilare, meist echte Haudegen, Shirts mit entsprechenden Aufdrucken. Von vielen glaube ich, dass sie nur am Rennsteig laufen. Jedenfalls begegnen mir sonst wesentlich mehr bekannte Gesichter.

Es wird Zeit, die Klamotten abzugeben, sich ins Läuferfeld zu stellen, das Rennsteiglied wird gespielt. Signal für den Start ist das aber nicht. Da kommt noch was … der Schneewalzer. Nicht dass ihr jetzt aber meint, das Lied wird gespielt und alles hört gespannt zu. Nee, Schneewalzer auf Thüringisch geht so: Kaum erklingen die erste Takte, bekomme ich von rechts und links einen Stoß in die Rippen. „Einhaken“ wird mir signalisiert, und „Schunkeln“. Das machen jetzt 3000 Läuferinnen und Läufer und die Zuschauer - und singen und gröhlen dazu.

 

 

Sorry Bruce, sorry Mick, aber ich kann nicht anders. Als alter Rock’n’Roller  schunkele ich mit Gänsehaut den Schneewalzer. Nächster Schritt. Arme nach oben und von rechts nach links wiegen. Der Läufer vor mir hat geile Handschuhe an mit Waldemar Cierpinski drauf. Ich will’s fotografieren. Dauernd gehen die Hände aus dem Bild. Beim dritten Versuch hab ich sie. Jetzt muss ich aber mitmachen, länger wird meine Passivität nicht toleriert. Warum wollen denn alle gleich in den Wald rennen? Es ist doch so schön hier. Leute, ehrlich, gönnt Euch das wenigstens einmal.

 

 

Euphorisiert und beklatscht von vielen Zuschauern rennen die Marathonis los. Merkt denn keiner, dass es nur bergauf geht? Der Rennsteig-Marathon hat deshalb 43,5 km, weil man von der anscheinend tiefsten Stelle des Ortes startet. Würde man oben von der Bahnhofstraße starten, wären es 42,195 km und man hätte eine kräftige Steigung weniger. Aber – es wäre nicht so schön. Lasst alles wie es ist, liebe Organisatoren. Hätten  alle Ossis ihre Produkte so erfolgreich in Gesamtdeutschland platzieren können wie Ihr Euren Rennsteiglauf, gäbe es einige Probleme weniger.

Die Menschen in Neuhaus wissen, wovon ich spreche. Seit dem 16. Jahrhundert wird hier Glas produziert. Zu DDR-Zeiten waren im hiesigen Röhrenwerk bis zu 3000 Menschen beschäftigt. Nach der Wende waren die Produkte nicht mehr konkurrenzfähig, das Werk wurde geschlossen. Heute gibt es in dem 5500-Einwohner-Städtchen noch viele mittlere und kleine Betriebe, die sich mit technischen Gläsern, Weihnachtsschmuck und Wohnaccessoires über Wasser halten. Ansonsten spielt der Tourismus eine große Rolle.

Sechs Kilometer läuft man auf der B 281 in Richtung Eisfeld. Das ist gut so, denn das große Läuferfeld muss sich verteilen, ehe es auf den Rennsteig geht. Rechts ist die Getränkestelle bei der Steinheider Hütte, dann ist der Rennsteigläufer in seinem Element. Der Weg ist zwar noch breit, aber steinig. Und dass es dauernd mal rauf, mal runter geht, sage ich jetzt einmal, dann nicht mehr. Denn es bleibt so, summa summarum 637 m bzw. 706 m. Nur manchmal ist es steil wie bei Limbach, dann geht man halt wie die meisten hier.

 

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Marathon-Impressionen von 2016

 

 

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Bei km 11 kommt die erste Verpflegungsstelle. In einem Plan, den jeder Läufer erhält, ist aufgeführt, wo er was bekommt. Dabei muss er auf den legendären Schleim nur selten verzichten.  Ich habe an anderer Stelle schon ausführlich darüber geschrieben und bleibe dabei, dass die Bezeichnung das Schlimmste an der (für Wessis) ungewohnten Kraftnahrung ist. Mir schmeckt er heute sogar ausgesprochen gut. Liegt es am Geschmacks-Tuning mit Heidelbeeren oder habe ich einfach keine Vorbehalte mehr?

Gleich zwei Schmalzbrote greift sich ein Läufer und ich frage ihn, wann er das zum letzten Mal gegessen hat. „Letztes Jahr, hier beim Rennsteig“. Genau das meine ich. Überall macht der Läufer einen Bogen um Fett und überflüssige Kalorienbomben – beim Rennsteig ist alles erlaubt. Hey, macht Euch doch mal einen Spaß und fragt beim Berlin Marathon, wo es die Salamibrötchen gibt.

 

 

Vor lauter Futter wird der Dreistromstein ganz übersehen, obwohl er eine ganz ansehnliche Größe hat. Seit über 100 Jahren markiert er die Wasserscheide von Weser, Elbe und Rhein. Der Sockel ist aus den Steinen gemauert, die für den jeweiligen Fluss typisch sind: Quarz für den Rhein, Grauwacken für die Weser und Granit für die Elbe.

Weiter geht’s. Wir kommen zur Friedrichshöhe. Über die kleine Wohnsiedlung hinweg hat man einen sehr schönen Blick auf den Thüringer Wald. Eine Musikkapelle spielt auf - auch so ein Rennsteig-Phänomen. Während sonst die Landschaftsläufe ja fast ganz unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, stehen hier bei jedem Haus oder jeder Kreuzung Leute an der Straße und feuern die Läufer an. Einer hat von ihnen bestimmt ein Musikinstrument dabei – wie der Bläser bei der Eisfelder Ausspanne.

Wir sind bereits voll im Anstieg auf den Eselsberg, mit  841 m der höchste Punkt der Strecke. Keine Angst, die Höhenmeter verteilen sich sehr moderat und die meisten kommen im Laufschritt hoch. Zuvor gibt es bei der Hohen Heide noch den Dreiherrenstein zu bestaunen. Es gibt auf dem Rennsteig über 1000 solcher Grenzsteine, teilweise gehen sie bis ins 15. Jahrhundert zurück. Viele sind wie dieser als Denkmal gekennzeichnet und geschützt. Dreiherrenstein heißt er, weil hier, wie auch an anderen Orten, die Grenze dreier Herzog- oder Fürstentümer zusammenstoßen. Ganz in der Nähe ist auch die Werraquelle.

 

 

Fast eben verläuft das letzte Stück zum Eselsberg mit dem 33 m hohen Aussichtsturm, einem der Wahrzeichen des Rennsteiges und Motiv der diesjährigen Marathon-Medaille. Natürlich gibt es auch eine Gaststätte. Als Rennsteigläufer wird man aber mit allem Nötigen und noch viel mehr exklusiv versorgt.

Der Weg hinunter nach Masserberg ist ziemlich steil aber gut zu laufen. Ein richtiger Trail dagegen führt uns etwas später hinunter zur Getränkestelle Schwalbenhauptwiese.

Genial sind übrigens die Hinweise bei den Getränke- und Verpflegungsstellen. Es ist immer angeschrieben, wo man ist, die Kilometer und die Distanz zum nächsten Posten. Selbstverständlich ist auf der Strecke jeder Kilometer markiert. Zusätzlich sind fast alle Schutzhütten unterwegs mit einem Sanitätsposten besetzt.

Das Wetter hält, aber die Sonne ist längst hinter einer geschlossenen Wolkendecke verschwunden. Die Temperaturen sind angenehm, Wind geht kaum. Ich bin mit meiner nicht ganz freiwilligen Kleiderordnung ganz zufrieden. Überhaupt muss ich mich unterwegs mehr als einmal dafür loben, diese Strecke gewählt zu haben. Ich bin einfach begeistert von der Landschaft, den Menschen und der ganzen Atmosphäre. Dass mein Vergnügen heute im Vergleich zum Supermarathon 29 Kilometer kürzer ist, muss ich verschmerzen.

Der Rennsteig verläuft nun parallel zur Fahrstraße Richtung Neustadt. Es ist so viel wie kein Verkehr und viele Läufer nutzen die bequemere Straße. Hinter Kahlert, bis eben spielte hier auch noch eine Musikkapelle,  erreicht man eine unbewaldete Hochfläche, von der aus man schon gut Neustadt sehen kann.

 

 

Eine Glashütte war im 17. Jahrhundert Ursprung der Ansiedlung. Später kamen auch Holzfäller und Köhler dazu, der Ort war zweigeteilt und gehörte zum einen Teil Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen, zum anderen Teil zum Herzogtum Sachsen-Meiningen. Aus diesem Grund gibt es noch heute zwei Kirchen. Früher gab es auch zwei Schulen, zwei Feuerwehren usw.

Die Verpflegungsstelle gleicht einem Dorffest, selbstverständlich mit zünftiger Blasmusik. Dann wird es noch einmal recht ungemütlich, denn zum Burgberg ist es ein kurzes Stück ziemlich steil. Laufen ist da nicht mehr. „Einstellig!“, ruft es hinter mir. Stimmt, nur noch 9,5 Kilometer und gleich sind wir bei der Getränkestelle am Großen Dreiherrenstein. Auch der hat seine Geschichte. Davon aber ein andermal. Interessieren würde mich, wie es zu dem Namen Allzunah kommt. So heißt nämlich der Ort bei km 37. Die Trommler wissen das natürlich nicht. Sie wurden hier mit dem Bus her gekarrt, „Stimmung machen“. Sie tun das gekonnt.

Bevor es hinunter nach Frauenwald geht, gibt es noch einmal einen giftigen Anstieg. Per Lautsprecher wird die Musik von der Verpflegungsstelle hierher übertragen.  Danke Leute, Ihr wisst halt wie der Läufer fühlt. Der Sprecher begrüßt schließlich die Ankömmlinge und muntert sie auf. Was der nicht schafft, erledigt das Köstritzer, das hier kistenweise ausgeschenkt wird. Alkoholfrei? Nö, wir sind doch auf dem Rennsteig. 

 

 

Jetzt geht es fast nur noch abwärts. Gut, wer noch was drauf hat. Blöd, wer hier marschieren muss. Bald ist schon die Musik vom Ziel in Schmiedefeld zu hören. Das beflügelt.

Der Ort ist ein einziger Parkplatz, überall stehen Autos und Busse. Jetzt kommt der letzte Anstieg, hinauf zum Sportplatz. Die Zuschauer treiben Dich nach oben. Die Reihen werden immer dichter, oben ist nur noch eine schmale Gasse frei. Dann kommt das nach Meinung vieler „schönste Ziel der Welt“. Der Sportplatz gleicht einem Rummelplatz mit Bier- und Imbissbuden. Auf einem holprigen Wiesenweg umrundet man fast das ganze Gelände, immer wieder angefeuert von den vielen Zuschauern. Dazu Musik. Kein Beat, kein Rock. Stimmung ist angesagt, Rennsteig-Pop. Es ist der Hammer. Überall würdest Du Dich fragen: „Haben die nichts anderes?“. Hier gehört es hin, hier muss es sein. Der Holperweg ist lang und doch viel zu schnell zu Ende.

 

 

 

AUF WIEDERSEHEN AM RENNSTEIG am 8. Mai 2021

 

Informationen: GutsMuths-Rennsteiglauf
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