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OK„Der härteste Marathon der Welt“ – mit diesen Worten präsentiert sich der Graubünden Marathon nach außen. Das sind starke Worte. Ob das nun wörtlich zu nehmen ist oder nicht: Das Signal ist klar. Dieser Lauf ist nichts für denjenigen, der marathonische Normalkost sucht. Dieses Signal wird verstärkt durch den Internetauftritt (www.graubünden-marathon.com): Pechschwarz ist die Eingangsseite der Homepage, in riesigen, sich auftürmenden roten Lettern prangt darauf das Wort „marathon“. Warnung einerseits, Anreiz und Herausforderung andererseits sind die Botschaft an die Läufer.
Wirft man einen ersten Blick hinter diese Fassade, wird schnell klar, dass hinter dieser Symbolik durchaus beeindruckende Fakten stehen: 2.682 Meter Anstiege – und nebenbei auch 402 Meter Abstiege – muss der Läufer auf 42,195 km bis zum 2.865 Meter hohen Westgipfel des Parpaner Rothorn überwinden, davon allein etwa 1.400 Meter auf den letzten 11,5 km. Mehr Höhenmeter verlangt einem zumindest in Europa kein anderer Bergmarathon ab. Derzeit gibt es in Europa auch kein Marathonziel, das höher gelegen ist. Und es gibt auch keinen Marathon, der unterwegs in eine derartige Höhe aufsteigt. Selbst der K42 des Swiss Alpine Marathon, der an der Keschhütte 2.632 m üNN, und der Zermatt Marathon, der seit der Verlegung des Ziels vom Gornergrat zum Riffelberg 2.585 m üNN erreicht, können da nicht mithalten. Besonders attraktiv macht den Graubünden Marathon schließlich auch die Tatsache, dass er der einzige alpine Marathon mit einem echten Gipfelziel ist.
Die große Höhe und die exponierte Lage des Ziels bedingen natürlich auch ein erhöhtes Wetterrisiko bei der Durchführung des Laufs. 2004 etwa waren die oberen Bergregionen selbst Ende Juni noch von weiten Schneefeldern bedeckt. Aber es gelang den Organisatoren mit Hilfe des Schweizer Heeres, die Strecke dennoch belaufbar zu machen. 2005 spielte der Schnee zwar keine Rolle, aber ein starkes Wärmegewitter führte dazu, dass der hintere Teil des Läuferfeldes aus dem Rennen genommen werden musste. Aber das war es auch schon. Ansonsten hat das Wetter bislang stets mitgespielt und einen Lauf bis zum Gipfel ermöglicht.
Zwischen 330 bis 390 (2008: 365) bewegt sich seit der Premiere im Jahre 2003 die Zahl derer, die alljährlich das Ziel dieser speziellen marathonischen Herausforderung erreichen. Dazu kommen noch die Teilnehmer diverser Nebenbewerbe auf Teilstrecken des Marathonkurses, etwa dem 20 Meilen-Lauf von Chur nach Lenzerheide und dem Rothorn Run über 11,5 km von Lenzerheide auf das Rothorn. Mit den zusätzlichen Teilnehmern der Senioren Berglauf-EM ergab sich 2008 eine respektable Gesamtläuferzahl von fast 800. 2009 ist zwar kein EM- oder sonstiger Meisterschaftslauf angesagt, aber ein Halbmarathon wurde neu ins Programm aufgenommen. Vergleichsweise moderate + 755 / - 402 Meter sind auf den 21 km zwischen Churwalden und Lenzerheide zu überwinden. Damit werden vor allem Berglaufeinsteiger angesprochen.
Zu den ganz Großen in der Bergmarathonszene gehört der Graubünden Marathon bislang dennoch nicht. Von Finisherzahlen um die 1000 allein auf der Marathondistanz, wie beim Swiss Alpine K42 oder Zermatt Marathon, oder gar von 4000 Läufern beim Krösus Jungfrau Marathon ist der Graubünden Marathon doch ein ganzes Stück entfernt. Andererseits: Menschenmassen und Berglauf sind nicht unbedingt eine Mischung, die sich gut verträgt. Für Berglaufpuristen ist sie ganz im Gegenteil der Killer jedes Landschaftserlebnisses. Insofern ist es unter dem Aspekt des Naturgenusses sicher kein Nachteil, dass sich das Laufspektakel beim Graubünden Marathon noch in Grenzen hält.
Interessanterweise kann gerade der Graubünden Marathon dennoch regelmäßig in der Spitze ein durchaus erlesenes und vor allem auch treues Starterfeld bieten. Der neuseeländische Berglaufweltmeister Jonathan Wyatt ist so etwas wie ein Stammgast und 2009 ebenso wieder dabei wie das britische Berglauf-As Martin Cox. Bei den Frauen ist auch in diesem Jahr ein Großteil der Schweizer Berglaufelite, u.a Jasmin Nunige und Carolina Reiber, gemeldet.
Mit der Erfahrung einiger Bergläufe in den Beinen gab es für mich jedenfalls genug Gründe, mich endlich auch einmal an den Graubünden Marathon heran zu wagen.
Lenzerheide – Dreh- und Angelpunkt
Auch wenn der Graubünden Marathon in der deutlich größeren Kantonshauptstadt Chur gestartet wird: Dreh- und Angelpunkt der Veranstaltung ist der bekannte Wintersportort Lenzerheide (1.469 m üNN) inmitten der Graubündener Alpen. Hier quartiert sich ein großer Teil der auswärtigen Starter ein und holt sich am Freitag vor dem Lauf die Startunterlagen. Und hier finden auch die Feierlichkeiten nach dem Lauf statt.
Auch ich habe mich dafür entschieden, Quartier in Lenzerheide und nicht in Chur zu beziehen. Wobei Quartier nach mehr klingt als es eigentlich ist: Denn mein erstes Ziel, nachdem ich mich in zahllosen Kurven von Chur ins tausend Meter höher gelegene Hochtal von Lenzerheide-Valbella hochgearbeitet habe, ist der Campingplatz von Lenzerheide: „Camping Gravas“. In üppiges Grün eingebettet liegt der Platz idyllisch an einem Wildbach am Rande des Ortes, und dennoch ist man von hier aus gleich im Ortszentrum. Trotz einer ganzen Reihe Hotels und Restaurants ist Lenzerheide letztlich ein Dorf und von seiner Größe her so überschaubar, dass alles gut zu Fuß erreichbar ist. Das Leben spielt sich primär entlang der langen Hauptstraße, der Voa principala ab, wobei es jetzt im Frühsommer selbst hier relativ ruhig und beschaulich zugeht. Die Straßenbezeichnung verdeutlicht, dass wir uns hier mitten im rätoromanischen Sprachgebiet befinden, auch wenn der Ortsname Lenzerheide einen deutschen Klang hat.
Der Voa principala folgend erreiche ich das Sportgelände und die Schule am anderen Ende von Lenzerheide. In der Schulaula werden die Startnummern ausgegeben, ansonsten findet vor dem Lauf kein besonderes Programm statt. Beim Sportgelände wird noch eifrig gewerkelt. Hier ist morgen der Start des Rothorn Run und das Ziel des 20 Meilenlaufs sowie des Halbmarathons und - für alle Distanzen - das Festzelt für die Feier danach.
Start in Chur
Um am Samstagmorgen zum Startgelände in Chur zu kommen, bietet der reguläre Postbusdienst von Lenzerheide nach Chur eine ideale Verbindung. Für Teilnehmer des Laufs ist der Bustransfer am Lauftag kostenlos.
Das Einzige, was meine Vorfreude ein wenig trübt, ist das Wetter. Am Freitagabend hatte zwar noch die Sonne für eine herrliche Abendstimmung gesorgt, aber für den Samstag war die Vorhersage trübe: viele Wolken, Regenschauer und Gewitterneigung. Das Rauschen in der Nacht kam zwar nur vom nahen Wildbach und nicht vom Regen, aber das erste, was ich erblicke, als ich morgens meinen Kopf aus dem Zelt strecke, ist ein grauer, trüber Himmel mit tief hängenden Wolken. Trockenen Fußes komme ich noch zur Busstation im Ortszentrum, doch während ich und die anderen eintrudelnden Läufer auf den Bus warten, öffnet der Himmel langsam die Schleusen.
Eine gute halbe Stunde dauert die Fahrt hinunter nach Chur. Interessant zu beobachten ist, wie sich die undurchdringlich scheinende Wolkendecke in mehreren Schichten aufbaut, die wir zum Teil auf unserer Fahrt durchstoßen. Wolkenfetzen und waldbedeckte Berge bilden eine interessante Kulisse. Ein wenig beruhigt mich, dass die Regenfälle jeweils nur lokal begrenzt sind, wir uns also nicht auf Dauerregen einstellen müssen.