Wir verwenden Cookies um Ihnen eine bestmögliche Nutzererfahrung auf unseren Websites zu bieten. Mit der Nutzung unserer Seiten und Services erklären Sie sich damit einverstanden. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

OK

marathon4you.de

 

Laufberichte

Der hatte noch gefehlt

23.06.07
Autor: Klaus Duwe

11 Kilometer Bergmarsch mit 31 Kilometer (mehr oder minder intensivem) Anlauf

 

Was nützen dir alle Bergmarathons, wenn du den schwersten nicht gemacht hast? Der Graubünden Marathon soll ja (nach eigener Aussage) sogar der schwerste Marathon der Welt sein. Aber die Schweizer lieben halt Superlative und der Werbung soll man auch nicht alles glauben. Außerdem: wer kann das beurteilen? Wer hat sie alle gemacht, die Marathons dieser Welt?

 

Ich liebe die Berge und nur aus diesem Grund bin ich heute in Graubünden. Dummerweise habe ich mich in der Kantonshauptstadt Chur einquartiert. Nächstes Mal suche ich mir ein Zimmer in Lenzerheide und fahre in der Früh mit dem Shuttle-Bus zum Start. In Lenzerheide ist am Vorabend ein großes Zeltfest und mächtig was los. Hier in Chur gehen die Leute ihren Geschäften nach, am Abend sitzen sie in der schönen Altstadt in den Kneipen und feiern ins Wochenende. Chur liegt an Rhein und Plessur und ist durchaus sehenswert, schließlich gilt sie als älteste Schweizer Stadt. Läufer sieht man aber nicht, die Marathon-Atmosphäre fehlt, es ist mir langweilig. Und es regnet, nein, es schüttet - wie letzte Woche in Liechtenstein, dann war aber am Samstag ganz ordentliches Wetter.

 

So soll es wieder werden, der Wetterbericht verspricht viel Sonne, aber dennoch angenehme Temperaturen. Mir genügt es schon, dass ich am Samstagmorgen beim ersten Blick aus dem Fenster feststellen kann, dass es nicht mehr regnet.

 

Das Startgelände ist an der Quaderwiese, Startunterlagen gibt es in der Schule. Insgesamt weist die Statistik 546 Finisher in den verschiedenen Disziplinen (Marathon 342) aus, 30 % davon kommen aus Deutschland. Am Sonntag ist dann noch das Graubünden Walking mit fast doppelt so vielen Teilnehmern. Klar, dass es von Bekannten nur so wimmelt. Ich bin nervös und unsicher wie beim ersten Marathon, es hat sich festgesetzt bei mir, es ist der schwerste Marathon. Anderen geht es ebenso, ich bin nicht er einzige Debütant.

 

Ganz schlimm ist Michael Barz dran, der normalerweise immer zu den Favoriten gezählt werden muss. Er sei heute Nacht kaum vom Klo gekommen, erzählt er und ist tatsächlich ziemlich blass um die Nase. Über meinen Scherz: „Mensch, sei froh, stell dir vor, dich hätte es unterwegs erwischt,“ kann er deshalb nur gequält lächeln.

 

Das ganze Läuferfeld ist eine große Familie, egal ob Spitzen- oder Hobbyläufer. Es ist einige Prominenz versammelt, der Graubünden Marathon hat einen guten Namen und ein Podiumsplatz oder gar Sieg wiegt schwer. Trotzdem, jeder und jede hat Zeit für ein paar Worte und für gute Wünsche.

 

Endlich, um 9:15 Uhr der Startschuss. Die ersten sprinten los, der Rest lässt es eher langsam angehen. Die mit Fahnen geschmückte Altstadt ist noch fast menschenleer, nur vereinzelt schaut man den Läuferinnen und Läufern zu und applaudiert. Vorschußlorbeeren …

 

Kaum spürbar steigt die Verkehrsstraße, die uns aus Chur herausführt, an. Bei Meiersboden (630 m) endet der bequeme Lauf und wir sind auf einem Naturweg, der auch gleich an Steigung zunimmt. Am Kurhaus Passugg (765 m) sind wir knapp 5 Kilometer gelaufen und es gibt die ersten Getränke. Schmale Pfade, Wiesen-  und wurzlige Waldwege wechseln sich jetzt ab. Auch wenn zwischendurch immer mal wieder eine flache Passage kommt, tendenziell geht es aufwärts.

 

 Bei der nächsten Getränkestelle am Helltobel (km 8) haben wir die 1000m-Marke bereits gemeistert, trotzdem brauche ich für die ersten 9 Kilometer noch keine Stunde. Ich bin überrascht, denn ich hatte mich aufgrund der Erzählungen und des Höhenprofils mehr auf einen Marsch als auf einen Lauf eingestellt. Parallel zur Verkehrsstraße erreichen wir den Ferienort Churwalden (1237 m, km 11) und eine gut bestückte Verpflegungsstelle.

 

Die nächsten ungefähr 5 Kilometer geht auf es auf einem meist geteerten Wirtschaftsweg in langen Serpentinen aufwärts. Die Steigung ist so, dass sogar ich längere Passagen im langsamen Trab bewältige, wobei die herrlich bunten Blumenwiesen von der Anstrengung ablenken. Ausblicke ins sonnige Tal schaffen weitere Anreize. Trotzdem sind fast 2 ½ Stunden vergangen, als ich bei km 18 die Verpflegungsstelle Foppa (1754 m) erreiche.

 

Die Hochalm ist paradiesisch. Grüne Wiesen mit einer unbeschreiblichen Vielfalt bunter Blumen breiten sich aus. Die Berge am Horizont sind meist in Wolken, nur manchmal ist ein Blick auf die Gipfel möglich. Almhütten aus verwitterten, alten Hölzern stehen am Weg, manche sind bewirtet oder als Wochenend- oder Ferienhäuschen hergerichtet. Die Teerstraße hat zunächst nur leichtes Gefälle, der Lauf ist ein einziger Genuss und könnte so bleiben. Gleich geht es aber rechts auf einen schmalen Wiesenweg und anschließend ziemlich steil abwärts.

 

300 Höhenmeter verlieren wir auf den nächsten Kilometern, die alles beinhalten, was einen anspruchsvollen Landschaftslauf ausmachen: Trails und Feldwege, steiles und weniger steiles Auf und Ab und auch die paar bequeme Passagen sollen nicht verschwiegen werden. Die nächste Siedlung auf unserem Weg ist Parpan (1509 m, km 24), wo wir bei der Kirche von ein paar Zuschauern empfangen werden. Nach einer kleinen Stärkung an der gut bestückten Verpflegungsstelle geht es rustikal auf einem steinigen und von vielen Wurzeln durchzogenen Weg weiter.

 

Einer der schönsten Streckenabschnitte steht uns bevor, als wir Valbella (1486 m, km 27) und den Heidsee (Igl Lai) erreichen. Wie ein Park erscheint die Hochfläche mit dem idyllischen See, den wir fast komplett umrunden. Leicht wellig führt uns der Uferweg durch Wiesen, sumpfige Ufer und kleine Wäldchen. Immer ist der Blick frei auf die umliegenden Berge, einfach traumhaft. Viele Urlauber sind unterwegs, aber auch Einheimische verbringen gerne ihre Freizeit an den Badestränden, Grill- und Spielplätzen.

 

Dann erreichen wir Lenzerheide (1458 m, km 31), das Ziel der 20-Meilen-Läufer. Wer von den Marathonis genug hat oder sich die nächsten 11 Kilometer nicht zutraut, kann hier ebenfalls aussteigen. Jetzt kommt der Abschnitt, dem der Graubünden Marathon das Prädikat „Härtester Marathon …“ verdankt: der Marsch auf’s Rothorn mit 1400 m Höhenunterschied.

 

Über Lautsprecher kommt gerade die Information, dass Michael Barz das Rennen mit über 5 Minuten Vorsprung vor Martin Cox und Ueli Horisberger  gewonnen hat. Ich freue mich über den Riesen- Erfolg des bescheidenen Allgäuers, genieße noch ein wenig die gute Stimmung mit Guggemusik und gut gestärkt geht es dann gleich nach der Unterführung zur Sache. Ich lasse mir das Rothorn zeigen und erschrecke. Nicht rechts der Berg und auch nicht der links, beide in scheinbarer Nähe, sondern der in der Mitte, der ganz hinten, das soll das Rothorn sein. Wahnsinn. Aber wie heißt der schlaue Spruch? „Umkehren ist jetzt auch blöd.“

 

Zunächst geht es durch den Wald über Steine und Wurzeln auf einem schmalen Pfad in Serpentinen steil nach oben. Bald vermischen sich die Klänge der Guggemusik aus dem Tal mit der musikalischen Darbietung von Joe Tscharner, der mit seiner Quetsche zum Graubünden Marathon gehört, wie der Mountain-Piper zum Jungfrau Marathon.  Diesmal hat er sich seinen Platz in der Nähe des Wasserfalls (1800m, km 33,5) ausgesucht. Von dort verläuft nach der Getränkestelle die Strecke ein, zwei Kilometer vergleichsweise erholsam, weil ohne große Steigungen.

 

Bald ist die Mittelstation (1883 m, km 35) der Rothornbahn mit der Verpflegungsstelle erreicht. Zuvor gibt uns noch ein Trio „Klassisches“ auf die Ohren.

 

Auf einem recht breiten Weg erreichen wir die Alp Scharmoin auf fast 2000 m Höhe, nur ganz vereinzelt sieht man verstreut noch ein Bäumchen. Ich schließe zu einem Schweizer Läufer auf, der zuvor schon öfters mal als Fotomotiv herhalten musste. Ich habe ihn auch mal angesprochen, aber mehr als ein unverständliches Brummeln habe ich als Antwort nicht bekommen. Jetzt spricht ER mich an, aber wieder verstehe ich ihn nicht. Er macht während des Gehens seinen Trinkgürtel ab, drückt ihn mir wortlos in die Hand und nestelt seine Windjacke auseinander. „Aha, ihm ist kalt, er will sich etwas überziehen,“ so meine Erkenntnis. Er zieht sich aber auch noch sein klatschnasses Shirt aus, hängt mir das eklige Ding, wieder wortlos, über den Arm, und zieht sich dann endlich die Jacke an. Immer noch im Gehen und noch immer wortlos nimmt er mir das Shirt vom Arm und zieht es sich über. Als er mir auch seinen Trinkgürtel wieder abgenommen hat, legt er einen Zahn zu. Ich schnappe nach Luft, kriege den Mund nicht zu und muss sehen, wie er wortlos davon marschiert.

 

Der Weg wird steiler und ruppiger. Ich will mich orientieren, schaue in Richtung Rothorn und sehe nur Wolken. Vielleicht ganz gut, denke ich und konzentriere mich auf den Weg. Manchmal kommt ein kurzes flaches Stück und ich beginne zu laufen. Nicht um Zeit gut zu machen, ich will die Beine lockern. Beim Weißhornlift (2170 m, km 37,5) gibt es erneut Getränke. Die Bedingungen wechseln im Minutentakt. Während im Tal durchgängig die Sonne scheint, wechseln sich hier oben Nebel, Wolken und sonnige Abschnitte ab. Setzt sich die Sonne durch, gibt es phantastische Ausblicke.

 

Die Hände in den Hüften oder auf den Knien geht es nur in ganz langsamen Schritten weiter. Der Weg ist jetzt extrem steil. Ich komme kaum vorwärts, trotzdem hämmert der Puls. „Nicht stehen bleiben, gleichmäßig durchziehen,“ heißt die Parole. Was sagen einem hier schon Kilometer? Ab dem Foil Cotschen (2470, km 40) sind es noch gut zwei, mit Endspurt gut zwölf Minuten normalerweise. Hier kommen noch fast 400 Höhenmeter dazu. Ich schau nicht mehr zur Uhr, nur noch auf den Weg.

 

Km 41, wieder 200 Höhenmeter mehr, der Alphornbläser zeigt Kondition und begrüßt jeden Marathoni mit den Klängen aus seinem urigen Instrument. Noch einmal trinken. Die Sonne scheint, oben am Grat sieht man die Läufer auf ihren letzten Metern. Nur noch 1 Kilometer und nur noch 200 Höhenmeter, und doch soo weit weg.

 

Noch einmal geht es fast senkrecht nach oben, Kurve um Kurve gewinne ich an Höhe und komme dem Ziel näher. Rechts kauert einer mit der Kamera. Es ist der Anton, vertraut, und doch überraschend. „Was machst Du da, Anton, spinnst Du?“ „Ich habe dich schon eine ganze Zeit im Visier. Gratuliere, gleich hast du’s geschafft.“ Er klopft mir auf die Schulter. Das war nicht zuviel versprochen, noch eine Kurve, noch 100 Meter. Ich strecke beide Fäuste in den Himmel und stoße einen fürchterlichen Schrei aus. Ich bin einfach glücklich.

 

Kaum habe ich die Zeitmatte überschritten und die Medaille (eine Anstecknadel) empfangen, steht der Anton schon mit meinem Kleiderbeutel vor mir. Umziehen, trinken, essen, und dann ab, ins Tal. Zum Glück entdecke ich noch die Massage-Tafel. Ich schaue in den abgelegenen Raum und entdecke zwei zwar motivierte, aber mangels Kundschaft untätige junge Damen. Sofort liege ich auf der Pritsche und lasse mich von den beiden durchkneten. Woher ich komme, wollen sie wissen. „Baden-Baden“, gebe ich wahrheitsgetreu an. „Aha“, meint die eine vielwissend. „Kennst Du Baden-Baden?“, hake ich nach. „Ja, ich höre jeden Morgen SWR 3“. Na dann, vielen Dank, Schwester.

 

Teilnehmer:

Marathon 342 Finisher. 20 Miles 108 Finisher. Rothorn Run 97 Finisher. Walking Bewerbe 930 Finisher.

 

Laufwettbewerbe:

Marathon: Chur-Lenzerheide-Rothorn +2682 m / -402 m.
20 Meilen (32,2 Kilometer): Chur-Lenzerheide +1268 m / -402 m
Rothorn-Run (11,5 km): Lenzerheide-Rothorn +1414 m

 

Walkingwettbewerbe:

Rothorn Power Top (11,5 km): Lenzerheide-Rothorn +1414 m, mit

Zeitmessung


Rothorn Top (11,5 km): Lenzerheide-Rothorn +1414 m


Panorama (9,5 km): Lenzerheide-Heidsee-Spoina +243 m


Heidsee (5,5 km): Lenzerheide-Heidsee +29 m

 

Zeitnahme:

Per Chip von Datasport.

 

Auszeichnung:

Urkunde aus dem Internet, Finishershirt, Medaille. 

 

Drumherum:

Duschmöglichkeit und Massage in der Mehrzweckhalle. Gepäcktransport zum Ziel. Gratisrücktransport vom Rothorn nach Lenzerheide mittels Rothornbahn und Shuttlebus. 

 

Verpflegung:

Alle fünf Kilometer Mineraldrinks, Wasser, Cola, Energieriegel, Weissbrot, Bananen, Gel und Bouillon. Am Aufstieg zum Rothorn sechs Verpflegungsstellen .

 

Zuschauer:

Nur an gut erreichbaren Stellen viele Zuschauer

 

Tipp:

Stabile Schuhe, Wind- und Regenjacke und Trinkflasche. Übernachtung in Lenzerheide, wegen der Atmosphäre.

 

Informationen: Graubünden Marathon
Veranstalter-WebsiteE-MailErgebnislisteFotodienst Alpha FotoHotelangeboteOnlinewetterGoogle/Routenplaner

 
Das marathon4you.de Jahrbuch 2025
NEWS MAGAZIN bestellen