Meine Lust auf Marathon hält sich heute in Grenzen. Um genauer zu sein, sie ist nahe null. Und schuld ist meine Frau. Wir hatten die letzte Woche Besuch und da hat die vielleicht aufgetafelt! Sie weiß, dass ich beim Essen nicht widerstehen kann – und nun habe ich zwei Kilo mehr auf den Rippen. Schuld ist auch unser Schwiegersohn. Ein Bier kannst du noch trinken, hat er gesagt. Jeden Abend – und das nicht nur nach dem ersten Bier… Er ist Schuld am dritten Kilo. Beide sind schuld, dass ich heute null Bock auf Marathon habe!
Der Routenplaner sagt mir, dass es bis Bitterfeld 80 Kilometer sind. Ich kenne eine Abkürzung – heute ist es ein Umweg. Es scheint einfach nicht mein Tag zu sein. Selbst das Wetter ist gegen mich. 3 Grad zeigt das Thermometer, als ich am Start aus dem Auto steige. Und auch während des Laufes wird die Quecksilbersäule nicht über 10 Grad klettern und uns ein teilweise kalter Wind entgegenblasen.
Bei der Startunterlagenausgabe im Wasserzentrum Bitterfeld scheinen alle auf mich zu warten. Ob am Marathon-, Halbmarathon- oder Bernsteinlaufstartunterlagenausgabetisch, die dahinter sitzen schauen erwartungsvoll auf mich und denken, da ist er endlich – der erste Kunde. Oder sie denken, was will denn der schon hier, zwei Stunden vor dem Start.
In einem Teil der Goitzsche wurde zwischen 1976 und 1993 sogar edler Bernstein abgebaut. 400 Tonnen – vielleicht hat jemand von euch ein Steinchen davon gekauft. Als Ostseeandenken - da habt ihr euch ganz schön übers Ohr hauen lassen…
Übrigens wurde im vergangenen Dezember ein großer Teil der Wasser- und Landfläche der Goitzsche an einen privaten Investor verkauft. Nachdem der Vorbesitzer, eine kommunale Gesellschaft, in finanzielle Schieflage geraten war. Da frage ich mich wie so oft, warum Private können, was Kommunen nicht können. Aber egal, für uns Läufer soll sich nichts ändern, die Wege bleiben in öffentlicher Hand. Sagt der private Investor…
Die ersten Kilometer laufen wir auf dem asphaltierten Rad- und Wanderweg entlang des Sees Richtung Pouch. Vor den Wochenendhäuschen werden wir bejubelt, das brauche ich heute besonders. Ich wundere mich etwas, dass ich trotz häufiger Fotostopps nicht die symbolische rote Laterne in die Hand gedrückt bekomme. Zwanzig, dreißig Läufer bleiben konstant hinter mir. Bin ich etwa gut?
Am Wegesrand tauchen Hügel auf. Wer nachzählen will, es sollen 8 Hügel und 49 Halden sein. Geschaffen von den französischen Künstlern Marc Babarit und Gilles Bruni – in Anlehnung an die verschwunden Bergbaulandschaft. So etwas Ähnliches haben wir auch im Garten, nur kleiner. Von welchem Künstler? Herr oder Frau Maulwurf…
Bei Kilometer fünf denke ich darüber nach, wie doof man doch manchmal sein kann. Das noch so viele Läufer hinter mir sind ist nicht Ausdruck meiner Leistungsstärke, sondern der Tatsache geschuldet, dass die 10-Kilometer-Läufer zeitgleich mit uns gestartet sind. Da gibt es wohl auch einige, die nicht gewinnen wollen. Die biegen nun ab und um mich wird es einsam. Ich habe zwar noch das Erfolgserlebnis, dass ich die Startnummer 2 der Frauen überhole, aber ich glaube, das sagt auch nichts.
Schon bei Kilometer 7 kehrt Leben auf die Strecke zurück. Die Stockenten biegen ein. Man verzeihe mir diesen Ausdruck, aber eine ehemalige Lauffreundin von mir läuft jetzt auch am Stock. Und zu ihr darf ich auch Stockente sagen. Aber wie dem auch sei, so plötzlich wie die Walker auftauchten, so schnell sind sie auch wieder verschwunden, noch vor Kilometer 8.
In Pouch kann ich den Roten Turm, Teil des Schlosses bewundern. Keiner der mich ablenkt, vor mir kein Läufer, nach mir kein Läufer - zumindest keiner zu sehen.
Heute lachen alle am Verpflegungsstand und meinen, um die Ehe stehe es nicht besonders gut. Da muss ich aber im nächsten Jahr nochmal nachfragen, ob die netten Feuerwehrleute aus Löbnitz die Ehe in Berlin oder die von mir geschlossene meinen.
Über viele Kilometer habe ich den Läufer mit der Nummer 66 mal vor, mal hinter mir. Abhängig davon, wie oft ich fotografiere. Ihn interessiert dass nicht, er läuft wie ein Uhrwerk. Und erzählt mir, dass er auf eine Zeit von 4.45 Stunden zuläuft.
Da werde ich erstmals stutzig. Ich habe eine Woche lang gesündigt, dadurch besagte drei Kilo Fett-Ballast mit mir zu schleppen. Ich glaube, ich bin etwas zu schnell. Aber das wird mir mein Körper schon noch mitteilen.
Einen großen Teil der Strecke laufen wir durch eine Landschaft, die mal ein Wald werden will. Fast immer auf Asphalt. Es gibt einige Hügel, es lohnt sich aber nicht darüber zu schreiben, dafür sind sie zu klein. Wir passieren kleine Seen, sogar einen Schwan haben sie für uns Läufer darauf angesiedelt. Oder ist der immer dort…?
Etwa bei Kilometer 25 befinde ich mich auf einem langgezogenen Weg und schaue mich immer wieder um. Nicht nach der Nummer 66 – der ist vor mir. Aber auf diesem Streckenabschnitt hatte uns im vergangenen Jahr Falk Cierpinski überholt, der spätere Sieger des Bernsteinlaufs über 24,5 Kilometer. Heute bleibt es hinter mir leer. Bin ich so schnell, oder sind die um 11 Uhr gestarteten Bernsteinläufer so langsam?
Irgendwie habe ich das Gefühl, das die Schilder mit den Kilometerangaben nur so an mir vorbeipurzeln (oder umgekehrt). Kilometer 32 – nur noch zehn Kilometer! An dieser Stelle denke ich sonst immer, dass der Marathon mal wieder überhaupt kein Ende nehmen will. Und ich stelle fest, dass mich die Nummer 66 angesteckt haben muss, denn auch ich laufe wie ein Uhrwerk - für jeden Fünf-Kilometer-Abschnitt zeigt die Uhr mal etwas mehr, mal etwa weniger als 34 Minuten.
Kilometer 39. Die Goitzsche ist wieder erreicht, ich sehe schon das Ziel. Oder besser gesagt, ich sehe die Villa am Bernsteinsee. Ganz klein, ganz weit weg, ganz in der Ferne. Hätte ich bei anderen Läufen gesagt. Heute denke ich: nur noch mickrige drei Kilometer. Die ziehe ich auch noch durch, der Zielsprecher kündigt mich an: Jetzt kommt Günter Schmidt, gestartet für Marathon4you, seine Zeit: 4.46:30… Dann macht er eine Pause - und dann legt er verdutzt nach: Günter Schmidt ist eine Dreiviertelstunde schneller als vor einem Jahr!
Kurz danach fragt er mich, wie ich das gemacht habe. Mehr trainiert? Eine gute Antwort fällt mir nicht ein. Ich kann doch nicht sagen: Ich habe eine ganze Wochen nur gefressen und gesoffen…
Sieger Marathon
Männer
1 Marcus Krüger LG eXa Leipzig 02:54:22
2 Thomas Schölzke Laufteam Rügen 02:54:57
3 Gerd Kanngießer Berlin 02:57:22
Frauen
1 Katja von der Burg LG eXa Leipzig 03:26:08
2 Ines Melzer Jessener SV 53 03:35:04
3 Silvia Schmied LAV Halensia 03:35:39
(Teilnehmer Marathon 15 Frauen und 107 Männer)
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