Endlich haben die Vorbereitungen ihr Ende. Ich bin in Stralsund und es geht los: der lange Lauf über 17 Etappen quer durch Deutschland, ein Traum. Ich habe ihn mir im letzten Jahr erfüllt. Ich war happy, aber nicht zufrieden. Ich habe zu sehr gelitten und zu wenig genossen. Ich hatte mich so „intensiv“ vorbereitet, dass ich kaputt an den Start ging. Wenn ich heute daran denke, wundere ich mich, dass ich in Lörrach einigermaßen gesund ankam.
Dieses Jahr ist es anders. Zwar bin ich auch 150 – 200 Kilometer pro Woche gelaufen, aber langsam, manchmal unsäglich langsam. Aber ich strotze vor Kraft und Zuversicht. Nicht verwechseln bitte mit Überheblichkeit. Ich fühle mich einfach gut, gut vorbereitet.
Im Dorint ist Treffpunkt der Läuferinnen und Läufer aus Deutschland, Frankreich, Ungarn, Japan, Finnland, Dänemark, Holland und Luxemburg. Natürlich sind viele bekannte Gesichter dabei, allen voran einige Teilnehmer des vergangenen Jahres. Der Chef Ingo Schulze hält seine berüchtigte Rede. Berüchtigt deshalb, weil sie meist lang ist. Und lang ist sie, weil sie wichtig ist. Wir werden vertraut gemacht mit den Regeln, der Markierungssystematik usw. Das Team wird vorgestellt und ich stelle fest, es sind fast alles die „Alten“. Da kann nicht viel schief gehen.
Das Buffet ist reichlich und sehr gut. Alle langen kräftig zu, wohl wissend, dass zumindest bei der Qualität und der Auswahl die nächsten Tage Abstriche gemacht werden müssen. Das ist normal bei solchen Läufen und auch nicht schlimm. Die Ansprüche nach einem 10 stündigen Lauf sind nicht so hoch.
Ein denkwürdiger Tag. Trotz Anspannung, Freude und Nervosität denkt jeder auch an die fürchterlichen Anschläge vor 5 Jahren und wie sie die Welt verändert haben.
Das Wetter ist herrlich, Sonne und dabei angenehme Temperaturen. Am Leuchtturm wird um 9:00 Uhr gestartet. Nach 8 Kilometern haben wir die erste Verpflegungsstelle. Über Breege erreichen wir in Parchow (km 17) schon den zweiten Posten. Die Wege und Straßen durch meist ländliche Gegend sind gut, nennenswerte Steigungen gibt es nicht.
In Gingst am Marktplatz (km 34) liegt schon über die Hälfte des Tagespensums hinter uns. Rothenkirchen und Rambin (km 50) sind die nächsten Orte, dann kommen bei km 60 schon die Vororte von Stralsund und nach dem Rügendamm ist das Ziel nach genau 64,9 Kilometern erreicht. Die erste Etappe ist länger als letztes Jahr, das liegt an verschiedenen Änderungen, die dem Ganzen bis jetzt aber gut tun. Die Verkehrsstraßen sind weniger, die ruhigen Nebenstraßen sind häufiger. Gut gemacht, Ingo - gut gemacht, Joachim.
Weniger gut gemacht hat es heute Sigrid Eichner. Sie kam gerade vom Trans Gaulle, das ist das französische Gegenstück zum Deutschlandlauf, und wollte es trotz der mitgebrachten Verletzung probieren. Es ging nicht, sie mußte nach 30 Kilometern raus. Schade, Sigrid.
Noch liegen die Zeiten der 30 Läuferinnen und Läufer nicht so weit auseinander, dass sich Ingo entschlossen hat, heute das Feld geschlossen um 6.00 Uhr auf die Strecke zu schicken.
Das Wetter ist wieder herrlich, Sonnenschein bei Temperaturen so um die 20 – 22 Grad. Ich ziehe wieder mein (gemütliches) Tempo durch und achte genau auf den Puls: 130 und nicht mehr. In Elmenhorst bei km 11 ist der erste Verpflegungsposten des Tages. Die vom Frühstück übrig gebliebenen Brötchen sind liebevoll zubereitet, dazu gibt es Wasser, Eistee, Apfelsaft, Kekse, Salzstangen und Obst. Ich nasche mich so durch, die Reihenfolge ist mir egal.
Kulinarischer Höhepunkt der Etappen ist immer so in der Streckenmitte der Verpflegungsstand von Thomas Dornburg und seiner Frau. In ihrem Wohnwagen bereiten sie jeden Tag eine andere Leckerei zu. Ich kann mich noch an verschiedene Suppen, Maultaschen, Pudding usw. vom letzten Jahr erinnern. Bei meiner Anmeldung habe ich bei Ingo extra nachgefragt, ob der Thomas wieder dabei ist. Unter dem Vorzelt bleibt man dann auch schon mal etwas sitzen, quatscht ein wenig und die nächsten Kilometer sind nach der Stärkung und der Abwechslung kein Problem.
Ewig lange, gerade Straßen sind charakteristisch für diese Etappe. Sie verleiten zur Unachtsamkeit. Vielleicht wurde eine solche Passage Janne, dem Finnen, zum Verhängnis. Ich staune nämlich nicht schlecht, als der nach dem ersten Tag Führende mich plötzlich überholt. Er hat sich verlaufen, aber ganz erheblich. Plötzlich sei er Letzter gewesen und von einem Streckenfahrzeug aufgelesen und auf den richtigen Weg gewiesen worden. Unverdrossen rollt er jetzt das Feld von hinten auf.
Wittenhagen (km 14), Grimmen (km 23), Rakow (km 33) sind die nächsten Stationen. Dann kommt irgendwann Toitz (km 50) und mir passiert das gleiche, wie zuvor Janne. An einer Kreuzung passe ich nicht auf, laufe geradeaus über einen Bahnübergang, und als ich danach keine Markierung mehr sehe, weiß ich, ich bin falsch. Mit einer Passantin schaue ich mir den Streckenplan an und sie bestätigt meine Befürchtung. Also zurück. In dem Moment gehen die Schranken zu und verschaffen mir ein Päuschen.
20 Minuten verliere ich, mehr nicht. Und es ist mein Fehler, ich sehe die Markierung, ein Pfeil am Lichtpfahl, jetzt deutlich. Es gibt an der Arbeit von „Markierungsmeister“ Joachim nichts auszusetzen.
Dafür kriege ich ein paar Kilometer vor dem Etappenziel von der AWO eine Extra-Stärkung.
Am Straßenrand haben sich nämlich ein paar junge Leute postiert und schenken Getränke aus, dazu gibt es aufmunternde und anerkennende Worte.
Ist heute Feiertag? Am Ziel vor der Fritz-Reuter-Schule in Stavenhagen Schule gibt es Musik und Tanz von einer Jugendgruppe. Na ja, das war heute ganz schön abwechslungsreich.
Janne hat übrigens trotz seines Pechs noch den Tagessieg geschafft. Hier die weiteren Tagesplatzierungen:
1. Janne Kankaansyrja 8:20:38
2. Hiroko Okiyama 8:26:31
3. Jochen Höschele 8:46:23
4. Michael Krüger 8:46:23
5. Elke Streicher 8:51:12
6. Roger Warenghem 9:35:46
7. Attila Roman 9:48:45
8. Mike Friedl 9:49:13
Heute steht mit über 93 Kilometern die längste Etappe auf dem Programm. Da heißt es gut frühstücken. Drei Brötchen mit Wurst und Marmelade sind das Mindeste. Um 6.00 Uhr geht es los. Ein wolkenloser Himmel verspricht einen schönen Tag.
Ich trabe los und bin eine ganze Weile mit Jens Vieler zusammen, dann mit Tom Wolter-Roessler. Bei km 10 kommt die erste Verpflegungsstelle. Ich nehme mir vor, überall heute ausreichend zu trinken und immer etwas zu essen. Nach Möglichkeit möchte ich die verbrauchten Kalorien komplett ersetzen. Nur kein Defizit heute, das kann man nach dem Lauf nicht mehr ausgleichen. Die Regenerationszeit ist zu kurz und morgen stehen wieder über 80 Kilometer auf dem Plan.
Es läuft prächtig, bei km 27 sind wir in Waren. Auf einem Radweg geht nach Eldenburg und Sietow zur 4. Verpflegungsstelle (km 41). Es wird warm, zu warm. Ich wohne zwar in Istanbul und bin an Sonne und Wärme gewohnt, aber laufen tu ich lieber bei 15 Grad und Nieselregen.
Bei km 51 in Walow hat Thomas unter einer Kastanie seinen Wohnwagen geparkt. Es ist wie immer: unter dem Vorzelt stehen Stühle und Tisch, allerlei Snacks und Getränke stehen bereit. Außerdem gibt es heute eine wunderbar schmeckende Nudelsuppe. Ich mache es mir gemütlich und genieße den tollen Service. Nach der ausgiebigen Pause bin ich dann nicht mehr zu halten.
Ich laufe deutlich schneller als bisher und es macht einen Riesenspaß. Ich bin es gewohnt, alleine zu laufen und meinen Gedanken nachzugehen. Für die nächsten 20 Kilometer bis Freyenstein brauche ich gerade mal 2 Stunden und 10 Minuten.
In Halenbeck, nur 6 Kilometer weiter, ist mir plötzlich schwindelig und ich habe Kopfschmerzen. Zum Glück ist am Ortausgang eine Verpflegungsstelle. Ich setze mich und atme durch. „Habt ihr was Kaltes für mich?“ Die von der Sonne angewärmten Getränke erfrischen mich nämlich nicht so optimal. Ich staune nicht schlecht, als mir ein Eis am Stiel gereicht wird. Das ist die Rettung.
Ich denke, die Sonne hat mir doch etwas zugesetzt. Die letzten 15 Kilometer lasse ich es wieder gemütlich angehen. Es folgt eine 6 Kilometer lange, Kerzen gerade Straße ohne Baum, ohne Strauch, ohne Haus. Sie nimmt kein Ende. Und als ich endlich Pritzwalk erreiche, ist es wie immer: das Ziel liegt am anderen Ende des Ortes. Dort am Marktplatz warten sogar ein paar Zuschauer auf uns.
Trotz der Probleme am Schluss bin ich viel früher im Ziel, als angenommen. Dass ich mich dabei nicht übernommen habe, freut mich ganz besonders. Das kommt der Regeneration zu Gute. Nach einer großen Portion Gulasch mit Nudeln bin ich für morgen ganz guter Dinge.
Janne zeigt sich heute von seinem gestrigen Mißgeschick unbeeindruckt. Er gewinnt wieder vor Hiroko und Elke, die beide phantastisch laufen.
Ausfälle gibt auf der heutigen schweren Etappe keine.
1. Janne Kankaansyrja 8:48:10
2. Hiroko Okiyama 9:13:17
3. Elke Streicher 9:32:30
4. Jochen Höschele 9:32:30
5. Michael Krüger 9:33:48
6. Hans Damm 10:52:25
7. Roger Warenghem 10:52:25
8. Mike Friedl 11:05:58
Heute wurde in zwei Gruppen gestartet, die Schnellen um 7.00 Uhr, die anderen um 6.00. Es ist noch dunkel, nicht allen gefällt das. Vielleicht verschiebt es Ingo ab morgen um eine halbe Stunde nach hinten.
Mir ist es egal, ich bin gut in Form, ich will los. Ich laufe lange zusammen mit Hans Damm aus Neu-Isenburg. Wir sind gleich alt (55) und unterhalten uns gut. Auf den ewig langen Straßen, die sich Kerzen gerade dahin ziehen, ist eine Begleitung nicht schlecht. Wir spielen Lokomotive, einmal bin ich vorne und mache das Tempo, dann Hans und ich laufe dafür in seinem Windschatten.
Wir kommen durch Vettin (km 14), Kunow (km 20) und Glöwen (km 31) und erzählen aus unseren Leben. Bei Hans muss ich zweimal hin hören, als er mir erzählt, dass er seinen ersten Etappenlauf macht. „Was, den ersten, und dann gleich so einen?“ Dann erzählt er mir aber, dass er seit zwei Jahren täglich lange Läufe macht und sich das jetzt einfach zutraut.
Das Wetter ist herrlich, wolkenlos, kein Wind, aber zu warm – 25 Grad mindestens.
Nach ungefähr 40 km setzte ich mich etwas ab, laufe alleine und bekomme prompt die Krise. Ich hänge durch und frage mich, was das Ganze hier soll. Genau zur richtigen Zeit komme ich zur Station von Thomas. Heute gibt es sensationellen Pfannkuchen mit Marmelade oder Schokolade. Drei Stück haue ich mir rein – und mir geht’s wieder gut.
Hans hat mich wieder eingeholt und wir setzen den Weg gemeinsam fort. Wir laufen gerade auf dem Radweg bei Schönhausen (km 70), als ich vor uns Attila, den 28jährigen Ungar sehe. Bis dahin ist er in der Gesamtwertung ein paar Minuten vor mir platziert. Ich habe ihn heute viel weiter vorne vermutet.
Ich überlege kurz, höre ich mich hinein und finde, dass ich noch ganz schön fit bin. Ich will angreifen, aber so, dass er gar nicht versuchen wird, mir zu folgen. „Jetzt zeige ich ihm, was ein Türke kann“, denke ich und starte im guten 5er Schnitt durch und ziehe an ihm vorbei. Er zuckt zusammen, verschärft instinktiv sein Tempo, als er aber sieht, dass ich das durchziehe, lässt er mich gewähren.
Ich freue mich wie ein Kind über meinen Streich und laufe locker im gleichen Tempo die Strecke zu Ende. 27 Minuten mache ich so gut auf Attila und überhole ihn auch in der Gesamtwertung. Die Platzierung ist für mich zwar nicht das Wichtigste, aber wenn ich gut drauf bin und wenn ich Spaß habe, nehme ich einen guten Platz in Kauf. Im Ziel singt und tanzt eine Mädchengruppe für uns Deutschlandläufer.
In der neuen Sporthalle ist für die Läufer, Helfer und für das Orga-Team alles für einen angenehmen Aufenthalt gerichtet. So, als sollten wir länger bleiben. Danke, liebe Freunde, aber wißt ihr nicht, dass wir es nirgends länger als einen Tag aushalten?
Sven Pienkny, unser Jüngster, ist heute nach 4 Tagen und 325 Kilometern ausgeschieden. Schade. Ich weiß noch nicht, was da die Gründe sind.
1. Janne Kankaansyrja 8:07:49
2. Hiroko Okiyama 8:15:35
3. Michael Krüger 8:21:46
4. Elke Streicher 9:12:56
5. Jochen Höschele 9:12:56
6. Roger Warenghem 9:39:09
7. Mike Friedl 9:42:00
8. Hans Damm 9:58:11
9. Attila Roman 10:09:24
10. Diethard Steinbrecher 10:16:15
Petrus muss ein Läufer sein, das Wetter ist einfach herrlich. Zur Sonne kommt heute etwas Wind, was die gefühlte Temperatur etwas drückt. Dazu kommt, dass wir heute viel Landschaft durchlaufen mit den unterschiedlichsten Untergründen. Die Palette reicht von großformatigen Betonplatten, Sand und Gras, asphaltierte Radwege selbstverständlich und zu allem Übel auch viele gepflasterte Dorfstraßen. In den Dörfern bellt aus jedem Hof ein Hund.
Menschen sind nicht viele zu sehen. Und die, die uns begegnen, schauen uns teils ungläubig, teils bewundernd nach. Manche wollen auch wissen, was los ist mit uns. Ein werde ich auch gefragt: „Seid Ihr die, die durch Deutschland laufen?“
Gestern Abend musste ich noch den jungen Sven trösten. Ingo hat ihn aus dem Rennen genommen, weil der die Sollzeit erheblich überschritten hatte und abzusehen war, dass er auch heute nicht im Limit bleiben kann. Ich finde seine Leistung super: 320 Kilometer in 4 Tagen. Aber zu mehr hat es diesmal nicht gereicht. Er hat mit Sicherheit viele Erfahrungen und Eindrücke sammeln können und will am Ball bleiben. Er kommt wieder, und dann läuft er weiter.
Ich habe heute auch begreifen müssen, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Schon die Nacht konnte ich schlecht schlafen. Entsprechend gerädert bin ich am Morgen beim Start.
Ich komme einfach nicht in Schwung. Tom und Jens sind meine Begleiter, zusammen schlagen wir uns so durch. Ich will Gas geben, aber irgendwie ist der Tank leer, so kommt es mir vor.
Eine meiner Erfahrungen aus dem letzten Jahr ist die, dass man solche Situationen einfach zulassen muss. Sie kommen, aber sie gehen auch. Vielleicht war mein Angriff gestern auf Attila doch zu heftig.
Nach 40 Kilometern hat sich alles eingerenkt. Die finde meinen Rhythmus und rede mir immer wieder vor: „Lauf vernünftig, mach Dich nicht kaputt, es ist Dein Lauf.“ Thomas hat heute seinen Wohnwagen bei km 48 abgestellt. Nach den leckeren Pfannkuchen gestern gibt es heute die etwas schnellere Küche. Aber auch eine gewöhnliche Nudelsuppe, liebevoll zubereitet und serviert, ist nach 48 gelaufenen Kilometern eine Köstlichkeit. Der „Rote Bulle“ zum Nachtisch gibt mir den Rest. Jetzt habe ich endgültig keine Probleme mehr.
Ich laufe ein 7er Tempo, genieße den Tag und freue mich, dass ich wieder da bin. Muskulär habe ich sowie keine Probleme und meine Füße sind einfach klasse, außer einer kleinen Druckstelle spüre ich nichts. Ich laufe in meinen ältesten, ausgelatschten Schuhen, die zudem vorne aufgeschnitten sind. Meine Favoriten sind noch unangetastet in der Tasche. Wenn ich die erst mal anhabe …
Ich verdanke meine Fitneß natürlich meinem Training aber auch vielen Kleinigkeiten, die ich im letzten Jahr gelernt und bei anderen abgekuckt habe. Jeden Abend schrubbe ich mir meine Füße mit einem Bimsstein ab und mache Übungen mit einem Massageball unter den Füßen.
Eine weitere sinnvolle Übung besteht darin, dass ich mich mit dem Rücken zur Wand stelle, und die Füße mit ca. 20 cm Abstand nach oben bewege. Das trainiert die Schienbeinmuskeln und beugt der gefürchteten Entzündung vor. Auch Jörg König und Rudolf Mahlburg, ebenfalls Finisher des letzten Jahres, beobachte ich bei speziellen Übungen. Beide sind, wie ich auch, dieses Jahr im Schnitt viel schneller unterwegs und dabei nicht so kaputt.
Am frühen Nachmittag bin ich schon zurück von der heutigen Etappe. Ich dusche, gehe in den Ort und kaufe etwas ein und esse unterwegs ein Stückchen. So habe ich mir den Deutschlandlauf vorgestellt. Ich bin zufrieden mit mir.
Ausfälle hat es meines Wissens heute nicht gegeben.
1. Janne Kankaansyrja 6:47:35
2. Jochen Höschele 7:04:44
3. Hiroko Okiyama 7:08:43
4. Michael Krüger 7:14:36
5. Elke Streicher 7:39:34
6. Roger Warenghem 7:51:33
7. Mike Friedl 8:45:16
8. Tom Wolter-Roessler 8:52:26
9. Reinhold Lamp 8:53:11
10. Hermann Böhm 8:58:17
Wie gewohnt, wird in zwei Gruppen gestartet. Um 6.00 Uhr die erste Gruppe, eine Stunde später die zweite mit den Schnellen. Ich habe keinen Plan und laufe, wie es mit Spaß macht. Nach 1o km Kilometern kommt die erste Verpflegungsstelle, die ich wie immer ausgiebig nutze, damit keine Defizite eintreten.
Das Wetter ist wieder herrlich, strahlender Sonnenschein, aber nicht so warm wie gestern. Das liegt wohl auch am Wind, mit dem wir es heute vor allem an ungeschützten Stellen zu tun haben.
Obwohl wir es heute mit sehr schlechten Wegverhältnissen zu tun haben (es ist alles dabei, was Füße quält: Sand, Schotter, Pflaster, Betonplatten) komme ich gut voran und brauche für die genau 42 Kilometer bis zum 4. Verpflegungspunkt gut 4 Stunden. Dabei lasse ich es für heute dann bewenden, schalte einen Gang zurück und brauche für die restlichen 35 Kilometer fast genau so lange. Drei, vier Anstiege waren auch dabei, aber nichts Entscheidendes. Morgen wird es wohl deutlich schwerer.
Gulasch gehört zu den Gerichten, die aufgewärmt noch mal so gut schmecken. Das weiß Thomas und serviert uns heute vor seinem Wohnwagen die Reste vom gestrigen Abendessen. Für mich ist die tägliche Rast an seiner Station immer das Highlight des Tages.
Leider, leider hat es heute Hans Drexler erwischt. Wegen einer Knochenhautentzündung muss er an der zweiten Verpflegungsstelle passen. Jeder bedauert sein Ausscheiden und freut sich gleichzeitig darüber, dass er bei der Truppe bleiben und sich als Helfer zur Verfügung stellen will. Ich wünsche ihm, dass er vielleicht doch noch die eine oder andere Etappe mitlaufen kann. Im letzten Jahr habe das etliche so gemacht.
Wenn man den Ausfall von Sigrid mal nicht mitrechnet, die ja schon verletzt angetreten ist und dann nach 30 Kilometern aufgeben musste, sind die Ausfälle bis jetzt sehr gering. Das spricht für die Qualität der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Sven ist noch etwas unerfahren und hat bestimmt viel gelernt, und Hans hat es mit der Knochenhautentzündung erwischt, die ich morgen auch kriegen kann. Da steckt man nicht drin.
Heute sind wir in einer kleinen Halle untergebracht, die aber für uns völlig ausreicht. Ich empfinde es dieses Jahr als sehr angenehm, dass wir eine vergleichsweise kleine Truppe sind. Der Tagesablauf ist viel ruhiger, es gibt weniger Hektik und Stress, alle sind viel gelassener, als ich es vom letzten Jahr in Erinnerung habe. Ingo wird das als Veranstalter vielleicht etwas anders sehen, was ich auch verstehe.
1. Janne Kankaansyrja 6:40:56
2. Hiroko Okiyama 6:53:20
3. Michael Krüger 6:58:45
4. Roger Warenghem 7:17:42
5. Hans Damm 7:47:40
6. Mike Friedl 8:15:13
7. Tom Wolter-Roessler 8:25:39
8. Jens Vieler 8:25:39
9. Elke Streicher 8:32:35
10. Jochen Höschele 8:32:35
Gestern habe ich noch über die geringe Ausfallquote gesprochen, heute muss ein weiterer Läufer ausscheiden. Der Ungar Attila wollte sich seine Fußverletzung „weg laufen“, aber heute geht es für ihn nicht mehr weiter. Schade, Attila.
Heute ist es richtig heiß, und das bei der bis jetzt schwersten Etappe, wenn man die Höhendifferenzen betrachtet. Leider kann ich sie nicht beziffern, aber teilweise sind so heftig, dass ich Kräfte sparendes Marschtempo bevorzuge.
Die Zeit und die Platzierung spielt hier für mich auch überhaupt keine Rolle. Ich habe mich auf das Abenteuer gut vorbereitet, um in Lörrach als Finisher anzukommen. Dabei will ich mich nicht kaputt machen, sondern Spaß haben. So habe ich es schon einmal formuliert, und so ist es. Mein Konzept geht bis jetzt prima auf. Es macht mir nichts aus, jeden Tag 60 oder 70 Kilometer zu laufen, am liebsten alleine. Ich habe zu Hause in Istanbul auch keinen Trainingspartner, der mit mir die ewig langen Läufe macht. Dabei bin ich kein Einzelgänger, ich unterhalte mich gerne, aber irgendwann ist gut. Dann bin ich mit Mike alleine, mit seinem Lauf, seinem Ziel und seinem Schmerz.
In Sömmerda werden wir mit Blasmusik empfangen, der Bürgermeister ist da, begrüßt uns und spricht bewundernde und anerkennende Worte.
Janne und Hiroko setzen auch heute ihre Siegesserie fort. Beides sind ganz tolle Sportler, von ihrer Leistung her sowieso, aber auch von ihrer Einstellung. Sie starten ja später, und irgendwann werden wir eingeholt. Weder Janne noch Hiroko läuft ohne wenigstens zu grüßen an mir vorbei, meistens haben sie Zeit für ein paar freundliche Worte. Hiroko steht meist im Ziel und applaudiert den Läuferinnen und Läufern. Dabei verneigt sie entsprechend der Sitte ihres Landes.
1. Janne Kankaansyrja 6:46:30
2. Hiroko Okiyama 7:06:23
3. Jochen Höschele 7:06:23
4. Michael Krüger 7:08:52
5. Roger Warenghem 7:44:55
6. Elke Streicher 7:48:13
7. Mike Friedl 8:55:15
8. Michael Müller 9:06:29
9. Reinhold Lamp 9:18:05
10. Hermann Böhm 9:19:29
Vor dem Start zum heutigen 80er, der nach meiner Einschätzung und Erinnerung schwersten Etappe des gesamten Laufes, kommt für Peter Spirk aus Holland das Aus. Er hat dicke Beine und kann nicht laufen.
Ich habe die Nacht schlecht geschlafen. Um 21.00 Uhr gingen die Lichter aus, ich hörte noch Musik von meinem MP3-Player. Dauernd war ich wach, und wenn ich mal eingeschlafen bin, dann war es kein tiefer Schlaf und der nächste Toilettengänger oder Schnarcher hat mich wieder wach gemacht. Normalerweise komme ich mit wenig Schlaf aus, 5 bis 6 Stunden reichen. Dafür schlafe ich tief und fest.
Trotzdem bin ich gut drauf am Morgen und schaffe in 7 Stunden 60 Kilometer dieser schweren Etappe. Schwer deshalb, weil sich die langen und oft giftigen Anstiege durch den Thüringer Wald auf über 1200 Höhenmeter addieren, weil die Straßen teilweise wieder furchtbar schlecht sind, weil wir viel auf stark befahrenen Verkehrsstraßen laufen, was mich nervt, und weil 80 Kilometer einfach eine lange Distanz sind.
Ich komme beim Wohnwagen von Thomas bei km 51 trotzdem noch in bester Laune an, esse genussvoll die wieder einmal köstliche Nudelsuppe, laufe weiter und habe eine Stunde später meine Krise. Der Akku ist leer. Einfach so.
Dabei bin ich wie immer stur nach Pulsuhr gelaufen: 130 und nicht mehr. Auch bergauf nicht. Ich habe mir eine Kraft sparende Technik mit kurzen, aber federnden Schritten angewöhnt, mit der ich auch an Steigungen nicht überdrehe.
Ich esse meinen letzten Keks, nehme ein Gel hinterher, trinke meine Flasche aus und bin mit mir am Reden. Eine halbe Stunde geht das so. Dann bin ich durch damit. Die nächsten Kilometer spule ich ab, wie ein Uhrwerk. Irgendwo vor Ilmenau ist der 606. gelaufene Kilometer markiert: Bergfest, Halbzeit, wie auch immer.
Als ich Ilmenau erreiche aber noch lange nicht am Ziel im Ortsteil Manebach bin, das natürlich am anderen Ende liegt, wird meine Geduld auf eine harte Probe gestellt. Da hilft nur eins, Gas geben. Die letzten Kilometer der Etappe werden meine schnellsten.
Im letzten Jahr brauchte ich für diese Etappe 1:40 Stunde länger als heute. Und ich erinnere mich noch genau, wie kaputt ich war. Heute bin ich problemlos durch alle Schwierigkeiten gekommen, gehe zum Duschen, lasse mich massieren, mache meine Fußpflege und spüre, dass es ein anstrengender Tag war. Aber ich bin nicht kaputt. Ich habe den Lauf unter Kontrolle, ganz so, wie ich es mir vorgestellt habe.
Am Halleneingang lagern die Gepäckstücke der Kollegen, die noch auf der Straße sind. Es sind schon noch einige und ich hoffe, es schaffen alle. Jedes Mal, wenn wieder einer in die Halle tritt, gibt es Applaus. Ich meine, wer heute das Ziel erreicht, hat gute Chancen, in Lörrach zu finishen. Der Körper hat jetzt alle Schwierigkeiten kennen gelernt und gemeistert, die Sonne, die langen Distanzen und die Anstiege. Auch dem Selbstbewußtsein werden die absolvierten 617 Kilometer gut tun.
Meine Familie, viele Verwandte, Freunde und Bekannte schicken mir Emails. Herzlichen Dank, ich freue mich sehr darüber. Dass Ihr an mich denkt, gibt mir Kraft. Und die kann ich gut gebrauchen. Nach der morgigen kurzen Etappe mit 57 km kommen noch einmal zwei 80er, im letzten Jahr meine Leidensetappen.
1. Janne Kankaansyrja 7:39:50
2. Jochen Höschele 8:24:20
3. Michael Krüger 8:31:45
4. Hiroko Okiyama 8:33:58
5. Roger Warenghem 9:03:50
6. Elke Streicher 9:24:20
7. Michael Müller 9:55:44
8. Mike Friedl 10:01:20
9. René Wallesch 10:30:30
10. Jens Vieler 10:38:48
Letztes Jahr war ich zum ersten Mal in meinem Leben in Ilmenau. Na und, denkt Ihr? Für mich hat der Ort schon eine gewisse Bedeutung. Die Familie meiner Mutter stammt von hier. Leider hatte ich weder letztes Jahr noch dieses Jahr Lust und Muße, hier etwas zu forschen und vielleicht Bekannte meiner Mutter zu finden. Vielleicht ergibt es sich einmal bei anderer Gelegenheit.
Heute sind wir eine halbe Stunde als sonst auf die Strecke. Sicherheit geht vor. Der erste Streckenabschnitt geht nämlich über eine stark befahrene Verkehrsstraße. Das ist bei einigermaßen Tageslicht nicht ganz so gefährlich als in der Dunkelheit. Es geht rauf zum Rennsteig, und dann laufen wir im Morgennebel durch die Wälder, die viele vom Rennsteiglauf her kennen, Genusslauf pur eben.
Sowieso nimmt die heutige Etappe mit ihren 57 Kilometern keiner so richtig ernst. Schon gestern Abend wurde gefrotzelt: „Hey, Ingo, was machen wir denn Morgen am Nachmittag?“
Dunkle Wolken ziehen auf, die Sonne ist kaum zu sehen, aber es bleibt trocken. Zum Laufen ist das Wetter ideal, endlich ist mal nicht so warm. Bei 16,8 Kilometer erreichen mitten im Wald den zweiten Verpflegungspunkt in einer kleinen Schutzhütte. Auf den Weg ist mit Kreide provokant etwas von „Schlappohren“ und „mehr Tempo“ geschrieben. Drinnen geht es viel herzlicher zu. Kerzen beleuchten den Tisch mit der Verpflegung und schaffen eine fast feierliche Atmosphäre. Hans Drexler hat das Kommando hier und ist für diesen stimmungsvollen Empfang seiner Kameraden verantwortlich. Er ist immer noch ein bisschen traurig, dass ihn die Knochenhautentzündung aus dem Rennen geworfen hat. Er tröstet sich damit, dass seine Lebensgefährtin die eine oder andere Etappe mit läuft und ihren Spaß hat. Vielleicht liebäugelt er auch damit, das Rennen in ein paar Tagen wieder aufzunehmen.
Zehn Kilometer weiter kommt die nächste Verpflegungsstelle, sie wird von Siegfried und Cornelia Bullig betreut. Beide sind als Veranstalter und Aktive in der Szene bestens bekannt. Sie wissen deshalb, was bei geplackten Läutern ankommt. Heute habe sie auf die Straße die Namen aller 26 Teilnehmerinnen und Teilnehmer geschrieben, die noch im Rennen sind.
Es geht mir einfach gut, ich laufe mein (langsames) Tempo und vermeide Gehpausen, die mich immer nur aus dem Rhythmus bringen. Ich denke an die nächsten zwei Etappen mit jeweils über 80 Kilometer, bei denen ich im letzten Jahr große Probleme hatte. Morgen werde ich Friede schließen mit diesem Streckenabschnitt.
Ist eben noch alles gut, vergeht mir auf einmal die Lust am Laufen. Ich komme nicht mehr vom Fleck. Sollte ich nicht schon längst im Ziel sein? Es rächt sich, dass ich die Etappe schon abgehakt hatte, bevor ich an den Start ging. Auch 57 Kilometer müssen gelaufen werden. Es zieht sich. Da trifft es sich gut, dass es Michael Müller ähnlich geht. Wir tun uns zusammen.
Auch Uli Schulte, Pastor und natürlich Läufer, der immer den letzten Verpflegungsposten betreut, kann mit seinen gut gemeinten Sprüchen nichts ausrichten. Manchmal muss sich der arme Kerl wirklich was anhören, wenn die Helden müde bei ihm einlaufen und er ihnen die Restdistanz verkünden muss.
Entgegen meiner Gewohnheiten gehe ich die letzten Kilometer nach Trappstadt ins Ziel. Die Frauen vom Sportverein haben jede Menge köstlichen Kuchen gebacken. Dazu gibt es Kaffee, und schon geht es besser.
Ich freue mich richtig auf die nächsten Tage. Ich freue mich, dass sich mein Training auszahlt und ich gesund bin. Aus gesicherter Distanz schaue ich mir an, wie gerade die neuesten Tapemethoden an den geschundenen Läuferbeinen demonstriert werden. Hoffentlich hilft es denen, die es brauchen. Ich hatte noch nie so ein Ding auf meiner Haut.
1. Janne Kankaansyrja 5:04:22
2. Jochen Höschele 5:21:40
3. Michael Krüger 5:32:38
4. Hiroko Okiyama 5:53:53
5. Roger Warenghem 6:16:00
6. Michael Larsen 6:36:23
7. René Wallesch 6:37:20
8. Elke Streicher 6:58:25
9. Mike Friedl 7:16:00
10. Michael Müller 7:16:00
Heute wird wieder wie gewohnt um 6.00 Uhr gestartet, um 7.00 Uhr gehen die Schnellen auf die Strecke. Nach einem tollen Frühstück fühle ich mich gut gerüstet für die schwere und lange Etappe.
Das Wetter ist wieder herrlich, die Sonne scheint und es sind kaum Wolken am Himmel. Dass es dabei dem Einen oder Anderen zu warm wird, bleibt nicht aus. Gabolshausen, Kimmelsbach, Hofheim und Rügheim heißen einige der Orte, die wir heute durchlaufen. In Hassfurt spricht mich ein Radfahrer an, der mit großem Gepäck unterwegs ist.
„Was ist das für ein Lauf hier,“ will er wissen.
„Deutschlandlauf,“ sage ich kurz und knapp.
„Wie, Deutschlandlauf, wie muss ich das verstehen,“ will er wissen.
Das ist kein oberflächlicher Typ, denke ich mir und kläre ihn auf: „Wir laufen durch Deutschland, von der Insel Rügen bis nach Lörrach an der Schweizer Grenze.“
Jetzt weiß er es ganz genau, kann es aber kaum glauben. Dann will er mir meine Startnummer nicht nur abschwatzen, ich soll sie ihm auch noch unterschreiben. Das geht natürlich nicht, er sieht es auch ein. Also muss ich ihm ein Autogramm auf einen Zettel geben, auf dem er noch vermerkt: Deutschlandläufer 2006. Dann erzählt er mir noch, dass ihn die Leute für verrückt halten, weil er mit dem Fahrrad von Hamburg nach Österreich fährt. „Wenn ich denen erzähle, wen ich heute getroffen habe, bin ich aus dem Schneider,“ sagt er noch und dann verabschieden wir uns.
Die nächste Begegnung dieser Art habe ich mit zwei älteren Damen. Auch sie wollen wissen, was ich auf der Straße treibe. Auch sie informiere ich über mein Vorhaben. „Warum macht man so was?“ Das ist die Frage, ich mir jeden Tag auch mindestens einmal stelle. Also muss ich tatsächlich ein wenig überlegen.
„Ich will Deutschland sehen,“ sage ich.
„Aber das kann man mit dem Auto doch viel besser. Warum zu Fuß?“ lässt die eine Dame nicht locker.
„Das ist Sport, ich bin sportlich motiviert.“ Bevor die mich von meinem Plan noch abbringen, laufe ich lieber weiter.
Die später Gestarteten überholen mich fast jeden Tag zur gleichen Zeit. Nach 40 Kilometer kommt Janne, der alle Tagesetappen bisher gewonnen hat, nach 50 Kilometern kommt Hiroko, nach 55 Kilometern Jochen Höschele und wenig später Michael Krüger. Immer ist Zeit für ein paar Worte. Das ist das Schöne an solchen Veranstaltungen. Die laufen zwar in einer anderen Liga, wir sitzen aber im selben Boot.
Hubert Karl kommt mir plötzlich entgegen. Nächste Woche ist er wieder beim Sparathlon, den er schon 12mal gefinsht hat. Nebenbei organisiert er auch noch den Zeller Waldmarathon. Gestern hat uns Günter Böhnke besucht, der letztes Jahr den Deutschlandlauf so bravourös beendet und darüber einen tollen Bericht hier auf marathon4you veröffentlicht hat. Und den Vorjahressieger Rainer Koch treffe ich später im Ziel. Der ist dieses Jahr sehr mit seinem Studium beschäftigt, würde aber lieber laufen. Rainer’s Mutter treffe ich schon eher auf der Strecke. Sie bietet als kleine Zusatzverpflegung einheimischen Wein an. Alles nette Gesten, die belegen, dass wir Ultras eine große Familie sind.
Inzwischen hat so ziemlich jeder eine Blessur. Ganz schlimm hat es Tom erwischt, er hat Knochenhautentzündung, will aber weiter machen. Ich habe am rechten Fuß rechts eine kleine Schwellung, die mich aber kaum behindert.
1. Janne Kankaansyrja 7:30:26
2. Jochen Höschele 7:46:29
3. Hiroko Okiyama 8:04:50
4. Michael Krüger 8:40:46
5. Michael Müller 9:04:50
6. René Wallesch 9:04:50
7. Elke Streicher 9:44:35
8. Roger Warenghem 9:58:14
9. Michael Larsen 10:19:56
10. Mike Friedl 10:22:25
Heute in der Früh ist es so kalt, dass ich mit langen Hosen starte. die 82 km gestern habe ich gut überstanden. Wenn ich heute diese Etappe auch so gut hinter mich bringe, und ich zweifle daran nicht, schließe ich Frieden mit diesen zwei Abschnitten. Ich muss noch immer an die Strapazen und die Schmerzen denken, die ich letztes Jahr hier ertragen musste. 15 lange Stunden war ich unterwegs.
Zu dieser schweren Etappe ist heute Reinhard Kobelt nicht mehr angetreten. 756 Kilometer sind auf seiner Haben-Seite.
Andere sind angeschlagen gestartet. Dazu gehört auch Hiroko, die eine dicke Verse hat und nun doch hin und wieder Gehpausen einlegen muss. Auch Elke Streicher muss heute noch mehr kämpfen. Es geht nicht mehr, sie will nicht mehr, und doch macht sie weiter. Sie wartet auf Jochen Höschele (ihren Lebenspartner), der später startet. Zusammen mit ihm wird sie das Ziel erreichen.
Die langen, bis zu 15 % steilen Anstiege, setzen auch mir zu. Wenn’s zu steil wird, gehe ich, sonst ziehe ich meinen Rhythmus (130er Puls, 7.00 – 7.30 Min. pro Kilometer) durch. An der dritten Verpflegungsstelle in Winterhausen spricht mich ein Ehepaar an. Als ich ihnen vom Deutschlandlauf erzähle, schauen sie ganz entsetzt: „Das ist nicht nachvollziehbar, was Sie da machen,“ sagt die Dame.
Ähnlich äußert sich ein Radler an der Tauber. Er will wissen, wie man sich auf diesen Wahnsinn vorbereitet. Da erzähle ich ihm von meinen 200 – 250 Trainingskilometern pro Woche und muss dann hören, dass das doch nicht normal ist.
Thomas hat seinen Wohnwagen heute bei km 59 geparkt. Spaghetti mit Fleischsoße wir serviert. Köstlich. Dazu trinke ich reichlich und fülle meine Flasche auf.
Günter Guderley kommt mir entgegen gelaufen. Letztes Jahr war er selbst dabei, heute macht er einen Besuch. Ich freue mich, auch über sein Kompliment: „Du läufst ja wie ein Reh. Ich geh mal weiter und kümmere ich mich um die mit den Blessuren.“
Manchmal werde ich auch auf meine Mütze angesprochen und viele wollten mir schon eine neue schenken. Das ist aber zwecklos. Diese Mütze trage ich seit meinem ersten Marathon in Australien 1991. 80 – 90 % meiner Läufe hat sie mitgemacht. Nur im Winter trage ich eine Pudelmütze. Einmal hatte ich sie vergessen, und erlebte meine schlimmsten Stunden. Es war
letztes Jahr beim Deutschlandlauf.
Heute ist alles anders. Wie geplant laufe ich nach genau 11 Stunden mit lockeren Schritten in Assamstadt ein. 85 km liegen hinter mir, aber ich bin nicht im Ziel. Ingo hat sich verrechnet. Es sind noch fast 3 Kilometer zu laufen. Ich fluche und schimpfe, auf türkisch, fällt mir auf.
Dann ist auch diese Etappe zu Ende. Ich küsse die Ziellinie zum Zeichen des Friedens, den ich jetzt schließe.
Ich suche meine Matte in der Halle, lege mich hin, Füße hoch, und denke erst mal an gar nichts. Nur ruhig liegen, durchatmen und zu mir finden. Dann packe ich meine Sachen aus, dusche und mache mich zum Essen fertig. Es geht mir gut.
1. Janne Kankaansyrja 8:14:34
2. Michael Krüger 9:07:43
3. Hiroko Okiyama 9:33:41
4. Michael Müller 9:33:41
5. René Wallesch 9:33:41
6. Mike Friedl 11:11:54
7. Jens Vieler 11:23:16
8. Hans Damm 11:25:13
9. Tom Wolter-Roessler 11:25:13
10. Hermann Böhm 11:31:08
Heute ist nicht mein Tag. Gestern Abend fing es schon. Ich habe kaum etwas gegessen. Auch das Frühstück kann ich nicht genießen. Obwohl, das möchte ich einmal ausdrücklich betonen, sich Inge und Helmut immer große Mühe geben und uns wirklich sehr gut bewirten. Jeden Morgen gibt es in aller Frühe schon frische Brötchen, Eier, Wurst, Käse, Marmelade, Tee, Kaffee usw. und das Nachtessen ist reichlich, abwechslungsreich und immer sehr gut.
Es liegt an mir, dass es heute nicht läuft. Mir ist, als würde mich jemand zurückhalten. Ich gebe Gas, aber der Karren bekommt keinen Sprit. Anderen geht es heute komischerweise ebenso.
Ich laufe ein ganzes Stück mit Elke Streicher, die sich glänzend erholt hat. Es geht heute viel über freies Feld und dauernd rauf und runter. Aber ich komme nicht auf Touren. Es ist besser, ich laufe alleine. Die Sonne übertreibt es heute, es ist eindeutig zu heiß. Auch bei kleineren Anstiegen werde ich zum Wanderer.
Wenn es nicht läuft, oder wenn ich Probleme oder Schmerzen habe, ist es sowieso besser, ich bin alleine. Das können mich schon die Schritte oder das Atmen eines Anderen nerven. Da kann ich auch mal pampig werden. Wie heute, als mir von einem Straßencafé aus ein Mann, ganz gut beieinander und einen großen Eisbecher vor sich, zuruft: „Hopp, hopp, schneller.“
Meine Reaktion war kurz und knapp. Trotzdem möchte ich sie hier nicht wiedergeben.
Er hat es doch nicht böse gemeint. Am liebsten würde ich mich entschuldigen, aber ich laufe nicht zurück.
Ich habe mich mal bei allen Kameraden umgehört um zu erfahren, ob ich als einsamer Wolf eher die Ausnahme bin. Von den 26 haben 16 eindeutig geäußert, am liebsten alleine zu laufen. 4 Kameraden meinten, es sei ihnen egal. Nur 6 laufen lieber mit einem Kumpel oder in einer Gruppe. Na ja, da bin ich dann doch in großer Gesellschaft.
Von Janne, der bis jetzt jede Tagesetappe gewonnen hat und das Rennen ähnlich dominiert, wie letztes Jahr Rainer Koch, will ich wissen, ob er auch solche „Mini“- oder auch mal Tageskrisen hat. „Klar, mir geht es wie Dir. Da müssen wir durch.“ Seine Antwort tröstet mich, aber sie baut mich heute nicht auf.
Heute kommt noch dazu, dass Thomas, der immer so in der Streckemitte mit seinem kulinarischen Angebot ein Lichtpunkt ist, zwei Tage frei genommen hat. Er macht einen Sommer-Biathlon und kommt erst am Montag wieder.
Ich freue mich sehr über den Besuch von René Strosny (letztes Jahr Zweiter) mit seiner Angela und Karlheinz Kobus. Aber ändern können sie an meinem Zustand auch nichts. Ich habe längst aufgegeben, mich da rausziehen zu wollen, ich lasse es einfach zu.
Unterm Strich schneide ich dennoch nicht schlecht ab. Etwas mehr als neun Stunden brauche ich für die 74 Kilometer. Letztes Jahr war ich über 3 Stunden länger unterwegs.
Und als ich mir dann am Abend den Schweinebraten mit Nudeln, Kartoffeln und Gemüse schmecken lasse, sieht die Welt schon wieder anders aus. Ich weiß, morgen ist ein anderer Tag.
1. Janne Kankaansyrja 6:23:17
2. Jochen Höschele 6:28:10
3. Hiroko Okiyama 7:00:36
4. Michael Krüger 8:11:39
5. René Wallesch 8:28:18
6. Michael Müller 8:28:48
7. Reinhold Lamp 8:34:06
8. Gèrard Denis 8:49:46
9. Hermann Böhm 8:52:40
10. Walter Zimmermann 9:04:11
11. Mike Friedl 9:08:01
Der Altweibersommer hält an, auch heute haben wir blauen Himmel, strahlenden Sonnenschein und etwas zu hohe Temperaturen. Und noch etwas ist gleich wie gestern: die Strecke ist nicht einfach, viele lange und einige recht giftige Anstiege sind zu bewältigen.
Und wieder finde ich nicht die richtige Einstellung. Zwar läuft es flüssiger als gestern, aber nicht so, wie ich es von ganz langen Etappen kenne.
Und genau das scheint mein Problem zu sein. Ich unterschätze die „kurzen“ Eappen, bereite mich schlampig vor und komme dann mental unter die Räder. Heute habe ich zum Beispiel wieder kein Gel mit, „bin ja gleich wieder zu Hause.“ Natürlich komme ich dann irgendwann ins Defizit und in die Krise. Schon jetzt fange ich an mir einzureden, dass morgen 90 Kilometer zu laufen sind. Vielleicht kann ich so die Spannung aufbauen, die ich offensichtlich brauche.
Bei km 25, ich trabe gerade gemütlich vor mich hin, überholt mich er Erste aus der Gruppe der eine Stunde später gestarteten Läufer. Ich bin überrascht, denn es ich nicht wie gewohnt der Finne Janne, sondern Jochen Höschele.
„Hey Jochen, was hast Du denn vor“ will ich wissen. „Ich will versuchen, heute zu gewinnen, ich habe Heimspiel.“ Richtig, Jochen wohnt ja in Renningen, unserem heute Etappenziel. Es dauert einige Minuten, dann kommt Janne angerauscht. Er sieht nicht so aus, als wollte seine Siegesserie abreißen lassen. Irgendwann holt er auch Jochen ein. Sie laufen zusammen und als sie Renningen erreichen, gehen sie zeitgleich gemeinsam über die Ziellinie. Beide werden von den zahlreichen Zuschauern als Tagessieger stürmisch gefeiert.
Rainer Wachsmann und Klaus Neumann, beides Finisher des DL 2005, sind heute zu Besuch. Wieder eine schöne Geste und ein Beleg dafür, dass gemeinsam bestandene schwere Prüfungen zusammenschweißen. Deutschlandläufer sind eine große Familie.
Heute hat Walter Zimmermann Probleme. Der sonst so elegant laufende Postbote ist praktisch nur am Marschieren. Hoffentlich bestätigen sich seine Befürchtung (Muskelfaserriss) nicht.
Ansonsten kommen heute alle gut und früh ins Ziel. Um 16.30 Uhr sind wir praktisch komplett an der Kaffeetafel versammelt, die der Lauftreff Renningen mit selbst gebackenen Kuchen reichlich bestückt hat. Heute Abend laden die Lauffreunde dann die Deutschlandläufer traditionell zu einem Buffet ein.
1. Jochen Höschele 5:36:45
2. Janne Kankaansyrja 5:36:45
3. Michael Krüger 6:10:10
4. Hiroko Okiyama 6:33:52
5. Michael Müller 6:58:16
6. René Wallesch 6:58:16
7. Reinhold Lamp 7:43:08
8. Hermann Böhm 7:43:30
9. Roger Warenghem 7:48:32
10. Tom Wolter-Roessler 8:06:00
11. Diethard Steinbrecher 8:07:02
12. Jens Vieler 8:07:02
13. Mike Friedl 8:17:20
Heute stimmt alles, meine Motivation, die herrliche Landschaft und das Wetter. Zwar ist es ziemlich warm, aber wir laufen viel im schattigen Wald. Die Strecke ist nicht lang, und viele sind damit nur den halben Tag beschäftigt.
Auch die Steigungen (450 HM hat jemand per GPS ermittelt) halten sich in Grenzen und ich laufe im gewohnten 130er Puls alles durch. Rainer Wachsmann ist zu Besuch und läuft mit mir über die Hälfte der Strecke. Unter Hauptthema ist der Transeuropa-Lauf, den Ingo organisieren wird. Die 4.500 Kilometer lange Laufsrecke von der Südspitze Italiens über Österreich, Deutschland, Dänemark, Schweden nach Norwegen soll vom 19. April bis 21. Juni 2009 in 64 Tagesetappen bewältigt werden. Wie kriegen wir das mit der Familie, der Arbeit und der Finanzierung geregelt? Dabei sein wollen wir, das ist klar.
Hans-Jürgen Schlotter, Dritter des Deutschlandlaufes 2005, macht einen Besuch nutzt die Etappe vor seiner Haustür für einen Trainingslauf . Alle freuen sich auf das Wiedersehen. Und Thomas ist auch wieder dabei und serviert uns eine feine Spargelsuppe und Pudding zum Nachtisch.
So ganz „nebenbei“ schaffen wir heute den 1.000sten Kilometer der Tour. Das ist schon ein Schlückchen Sekt wert. Ansonsten ist damit nicht viel gewonnen. In Lörrach ist das Ziel, nur das zählt.
Der Tag ist perfekt. Auch die etwas Angeschlagenen machen einen zufriedenen Eindruck. Tom ist schon fast wieder der Alte, Roger Warenghem hat sich wieder eingelaufen, und Walter Zimmermann, der meist am Marschieren ist, will sich so bis Lörrach durchkämpfen.
Gegenüber dem Vorjahr ist die Strecke etwas geändert. Wir laufen bis kurz vor Horb, unserem Etappenziel und der Heimat von Ingo, im Wald und sind dann gleich im Industriegebiet, wo das Ziel eingerichtet ist. Heute ist „Tag der offenen Tür“, es sind viele Menschen da, die sich natürlich die Ankunft der Deutschlandläufer nicht entgehen lassen.
Wer will, hat heute freien Eintritt ins Hallenbad. Ich genieße den halben freien Tag, gehe Kaffee trinken und nehme eine große Portion Eis. Etwas wehmütig denke ich daran, dass in drei Tagen alles vorbei ist und der Alltag beginnt. Dabei ist es gerade jetzt so schön. Jeden Tag laufe ich mit tollen Kameraden durch eine herrliche Landschaft und werde perfekt umsorgt und verpflegt. Ich könnte glatt ein paar Tage dranhängen.
Hoffentlich werde nicht schon wieder zu übermütig und habe morgen die Krise, weil ich die Strecke und das Restprogramm zu leicht nehme. Das Abendessen, Geschnetzeltes mit Nudeln oder Kartoffeln stehen auf dem Speisezettel, schmeckt mir heute wieder besonders gut.
1. Janne Kankaansyrja 4:42:01
2. Jochen Höschele 5:06:02
3. Michael Krüger 5:22:27
4. Hiroko Okiyama 5:33:16
5. René Wallesch 6:12:18
6. Michael Müller 6:12:18
7. Mike Friedl 6:41:33
8. Roger Warenghem 6:42:35
9. Jens Vieler 6:44:46
10. Hermann Böhm 6:47:24
Heute ist das Wetter nicht so optimal, oder sagen wir es mal so: viele Wolken, keine Sonne und kühl – also ideales Wetter zum Laufen. Ich entscheide mich spontan zu einem Tempolauf, um etwas für mein Zeitpolster zu tun. Ehrlich gesagt, bin ich nicht darauf aus, meine Platzierung zu verbessern. Und wenn mich noch ein oder zwei Läufer überholen, ist mir das auch egal. Ich stehe auch so kurz vor meinem erklärten Ziel: gesund in Lörrach ankommen.
Viele Mitglieder des Lauftreffs Horb begleiten uns einige Kilometer auf die Strecke. Dann lege ich los. Bis zur ersten Verpflegungsstelle (10,5 km) brauche ich ungefähr eine Stunde. Dort mache ich aber einen entscheidenden Fehler. Ich laufe in die falsche Richtung. Der Weg steigt leicht an und ich bin ganz stolz, wie kraftvoll und schnell ich laufe. Drei Läufer sind hinter mir, der Abstand wird größer. An der nächsten Kreuzung suche ich nach der Markierung – nichts. Mir wird schnell klar, dass ich mich verlaufen habe. Ohne zu zögern drehe ich um, rufe den anderen schon zu, dass wir falsch sind, und brettere den Weg zurück. 45 Minuten habe ich verloren.
Ich laufe zügig weiter, bis mich ein bestimmtes Bedürfnis in die Büsche treibt. Ich weiß auch nicht warum, jedenfalls gehe ich nicht den selben Weg zurück auf die Straße. Als sich der Ort, auf den ich vorhin zugelaufen bin, immer weiter entfernt, bekomme ich zum zweiten Mal die Gewissheit, dass ich falsch gelaufen bin. Also wieder zurück. Es ist auch diesmal kein Problem, auf die richtige Strecke zurück zu finden, weil sie gut ausgeschildert ist. Es ist meine eigene Unachtsamkeit.
Eine Stunde habe ich insgesamt verloren. Lust auf Tempo habe ich jetzt erstmal keine mehr. Ich trabe weiter und überhole Martina Hausmann, Karin Scheer, Manuel Fischer und Walter Zimmermann, der trotz seines Muskelfaserrisses weiter kämpft. Überhaupt ist es bewundernswert, wie die Leute sich jeden Kilometer vorwärts kämpfen, wie mühevoll es manchmal ist und wie schmerzhaft. Dabei verkürzt sich durch ihre längere Laufzeit auch jeden Tag noch die Regenerationszeit um ein paar Stunden.
Endlich erreiche ich in Dorhan den zweiten Verpflegungsposten (km 22), der von Einheimischen liebevoll eingerichtet ist und betreut wird. Viele Leute sind gekommen, um die Läufer zu begrüßen und von dem Ereignis Deutschlandlauf etwas mitzukriegen. Ich nehme mir Zeit, um ausgiebig zu essen und trinken und trabe die nächsten 2 – 3 Kilometer mehr oder weniger lustlos dahin.
Die Wolken werden immer dichter und dunkler, Regen kündigt sich an. Nass werden will ich nicht. Also lege ich etwas Tempo zu und finde tatsächlich meinen Rhythmus wieder und meine Lust zum Laufen. Ich komme zügig voran, laufe über alle Hügel und schaffe am Ende (nach Abzug der 60 Minuten, die ich mich verlaufen habe) doch noch die gleiche Zeit wie gestern. Und beinahe hätte ich es auch geschafft, vor dem Regen nach St. Georgen in die Halle zu kommen.
Noch zwei Tage, dann ist das Abenteuer Deutschlandlauf zu Ende. Ich habe nach wie vor keine Probleme und denke, ich komme gut in Lörrach an. Ich überlege mir schon, ob ich nicht im Anschluss an die vielen Kilometer, die ich allesamt recht langsam (130er Puls!) gelaufen bin, ein richtiges Tempotraining mache, um dann beim Marathon in Istanbul am 5. November richtig Gas zu geben.
Aber jetzt ist zunächst einmal der Empfang beim Bürgermeister, anschließend gehen wir zum Chinesen essen.
1. Janne Kankaansyrja 4:59:24
2. Michael Krüger 5:27:11
3. Hiroko Okiyama 5:39:35
4. René Wallesch 6:15:24
5. Michael Müller 6:15:24
6. Tom Wolter-Roessler 6:21:47
7. Roger Warenghem 6:31:52
8. Reinhold Lamp 6:43:06
9. Hermann Böhm 6:58:41
10. Jens Vieler 7:04:17
11. Ewald Komar 7:04:45
12. Diethard Steinbrecher 7:11:50
13. Mike Friedl 7:16:50
Die Temperaturen sind heute zum Laufen ideal, allerdings würde ich mir für diesen landschaftlich sehr schönen Streckenabschnitt doch etwas Sonne und gute Sicht wünschen. Aber man kann nicht alles haben. Also gebe ich heute etwas Gas, Jens Vieler schließt sich mir an. Zusammen laufen wir zügig über die Berge, halten uns an keiner Verpflegungsstelle lange und freuen uns, dass uns nach 1100 Kilometern ein so schöner Lauf gelingt.
Bei km 26 sind wir am Gasthof „Kalterherberg“, wo sich viele Wege und Straßen treffen, unter anderem auch der berühmte Westweg Pforzheim-Basel. Der Schwarzwald ist für mich ein ganz besonderes Erlebnis, ich habe ich mich richtig darauf gefreut. Mein Wunsch, den Lauf bei guter Gesundheit geniessen zu können, hat sich erfüllt, ich fühle mich großartig.
Bei km 43 sind wir am Titisee. Hier ist anscheinend immer viel los. Sogar bei dem trüben, etwas kalten Wetter sind etliche Leute am Seeufer unterwegs. Natürlich werden wir bestaunt, manche klatschen.
Die letzten 3 – 4 Kilometer muss ich dann aber doch etwas Tempo raus nehmen. Mir wird plötzlich etwas schwindelig. Habe ich doch zu wenig getrunken und gegessen unterwegs? Sogar bei Thomas bin ich heute nur so vorbei gerauscht. Es ist die ganze Zeit am Nieseln, ich habe meine Regenjacke an und bin natürlich von innen nass geschwitzt und von außen nasse geregnet. Stehen bleiben ist da oder langes Sitzen ist da auch nicht sehr gesund. Zumal hier im Schwarzwald die Temperaturen noch etwas niedriger sind, als in den Tälern.
Dann erreichen wir Altglashütten, unser heutiges Etappenziel. Der SV Feldberg hat einen sehr stimmungsvollen Empfang mit Cheeleaders organisiert, deren Vorführungen sehr gut ankommen. Überhaupt ist die Stimmung heute hervorragend, morgen ist der letzte Tag, jeder und jede freut sich, das Ziel in Lörrach ist greifbar nahe.
Morgen wird in drei Gruppen gestartet: die Ersten starten um 6:30 Uhr, die zweite Gruppe um 7:30 Uhr und die Schnellen um 8:00 Uhr. Ich erinnere mich noch, dass es ziemlich happig hoch zum Feldberg geht, und dann auf einem schmalen, schlechten Weg steil abwärts. Ich nehme mir vor, langsam zu laufen, den letzten Tag zu genießen und Abschied zu nehmen von dieser herrlichen Tour, die mir viel gegeben hat.
Letzter Tag, noch einmal raus aus dem Schlafsack, noch einmal gemeinsames Frühstück, noch einmal gemeinsam raus auf die Straße. Ingo lässt die Läuferinnen und Läufer heute in drei Blöcken starten, damit die Ankunft in Lörrach sich zeitlich nicht zu sehr in die Länge zieht.
Keiner zweifelt an seiner Ankunft, obwohl es für manchen und für manche noch einmal ein schwerer Tag wird, aber mit happy end und deshalb noch einmal aller Mühen wert. Gleich am Anfang haben wir einen steilen Anstieg hinauf zum Zweiseenblick und zum Caritashaus auf 1300 m Höhe. Noch einmal genieße ich den Schwarzwald, der hier am schönsten sein soll, wie man mir sagt.
Wenn es anschließend bergab geht, heißt das nicht, „rollen lassen“. Der Weg ist schmal, steil, von Wurzeln durchzogen. Ich muss dauernd an unsere „Verletzten“ denken, was müssen sie hier wohl aushalten.
Ich bewundere sie schon einige Tage. Dass Janne, der souverän den Lauf gewinnen wird, ohne ernsthafte Schwierigkeiten jede Tagesetappe gewonnen hat (bis auf die 14., da teilte er sich mit Jochen Höschele den Tagessieg) und selbstverständlich auch den Gesamtsieg unangefochten einfahren wird ist klar und eine große sportliche Leistung. Dass einige andere auch ohne große Blessuren in Lörrach ankommen werden (dazu zähle ich mich), ist nicht weniger anerkennenswert. Aber was müssen die Kämpfer am Schluss des Feldes ertragen. Zu der langen Laufzeit und den Schmerzen kommen ja noch die viel kürzeren Regenerationszeiten, wenn man davon bei manchmal nur ein paar Stunden Schlaf überhaupt reden kann. Ich ziehe meine geschundene Mütze vor ihnen.
Durch das Wiesental geht es über weite Strecken eben oder leicht wellig nach Lörrach. Letztes Jahr war der Zieleinlauf auf dem Marktplatz, wo es von vielen Zuschauern Beifall gab. Heute laufen wir im Sportzentrum ein und ersparen uns den Transfer. Allerdings sind wir unter uns, außer einigen Angehörigen ist niemand da, der die Deutschlandläufer beklatscht.
Keinen stört es. Die ganze Veranstaltung hat sich nach ein paar Tagen zu einem Familientreffen entwickelt, man lebte, man lief, man litt und fluchte und man freute sich zusammen. Wir sind ein verschworener Haufen. Janne ist natürlich als Erster im Ziel. Er macht sich nur kurz frisch, um ja nicht die Ankunft des Nächsten zu verpassen. Jeden beglückwünscht er herzlich und umarmt ihn. Und so geht es weiter, keiner verschwindet, jeder bleibt am Platz, trinkt sein Bier oder Wasser und wenn die Ankunft eines weiteren Läufers angekündigt wird, wird ein Spalier gebildet, geklatscht, umarmt, geweint. Es ist phantastisch. Fast denke ich mir, Publikum würde stören.
Als die tapfere Japanerin Hiroko, die tagelang mit geschwollener Verse unterwegs war, ins Ziel läuft, fällt alle Last und aller Schmerz von ihr ab, sie weint hemmungslos in den Armen von Janne.
Ich ziehe ein kurzes Fazit und bin stolz auf mich und meine Leistung. Ich kenne noch nicht die genauen Zeiten und meine Platzierung. Es interessiert mich auch nicht so sehr.
Wie ist das möglich? Der alte Spruch „Übung macht den Meister“ ist nicht zu widerlegen. Training, Training und noch mal Training ist das Erfolgsrezept. Das heißt, lange, unendlich lange und unendlich langsame Läufe. Rudolf Mahlburg ist dafür ein weiteres Beispiel. Im letzten Jahr buchstäblich am Stock gegangen, kommt heute nach ebenfalls über 20 Stunden früher ins Ziel und ist nicht kaputt. Nächsten Dienstag will er seinen Panoramalauf wieder selbst anführen.
Und ich überlege mir, ob ich nächste Woche in Istanbul nicht mit meiner Laufgruppe das Tempotraining aufnehme, um beim Istanbul-Marathon am 5. November eine schnelle Zeit zu laufen.
Morgen fliege ich zurück in die Türkei zu meiner Familie. Zuvor will ich euch noch sagen:
Deutschland ist schön. Ich muss es wissen, ich habe es gesehen.
1. Janne Kankaansyrja 110:06:47
2. Hiroko Okiyama 121:04:21
3. Michael Krüger 121:36:28
4. Jochen Höschele 129:14:18
5. Roger Warenghem 142:29:44
6. Mike Friedl 146:23:34
7. Michael Müller 146:26:10
8. Elke Streicher 147:15:11
9. René Wallesch 147:53:52
10. Jens Vieler 152:17:52
11. Hermann Böhm 153:40:22
12. Tom Wolter-Roessler 153:46:38
13. Diethard Steinbrecher 156:20:33
14. Hans Damm 156:40:09
15. Reinhold Lamp 158:26:52
16. Gèrard Denis 164:07:36
17. Walter Zimmermann 165:04:06
18. Jörg Koenig 165:29:51
19. Michael Larsen 167:14:06
20. Manfred Huget 169:10:24
21. Ewald Komar 172:15:54
22. Rudolf Mahlburg 176:09:13
23. Martina Hausmann 183:00:11
Manuel Fischer 183:00:11
25. Karin Scheer 190:28:31
Laufberichte | ||||||
28.09.05 | Tagesberichte vom Deutschlandlauf 2005 |
Karlheinz Kobus | ||||
28.09.05 | Deutschlandlauf 2005: One road is just a road. |
Günter Böhnke |