Wir machen regelmäßig Umfragen rund ums Thema Marathon und bekommen Antworten auf so vieles, was Läuferinnen und Läufer bewegt, was sie denken und was sie wollen. Wenn man dann wie ich Woche für Woche auf den Strecken unterwegs ist, ist einem dennoch manches rätselhaft.
Wie zum Beispiel das hier: In einer der größten Metropolregionen Deutschlands mit immerhin 5,5 Mio. Einwohnern findet ein Marathonlauf statt und (fast) keiner geht hin. So geschehen am Sonntag in Darmstadt, als gerademal 113 Männlein und 19 Weiblein nach 42 km ins Ziel laufen. Dass auf der Halbdistanz immerhin insgesamt 1090 Finisher gezählt werden, mag den Veranstalter trösten, ändert aber nichts an daran, dass der Marathon offensichtlich was für Exoten ist.
Woran liegt’s? Ich könnte jetzt analysieren, vergleichen und mutmaßen. Zu allererst könnte ich behaupten, dass etwas Werbung für den Lauf auf unserer Seite nicht schaden könnte. Damit würde ich sogar richtig liegen. Aber wie immer überlasse ich die Analyse den Veranstaltern selber und den Spezialisten der Branche und erzähl euch lieber, auf was ihr euch freuen könnt, wenn ihr nach Darmstadt kommt.
Die Anfahrt zum Veranstaltungszentrum beim Stadion im Bürgerpark Nord ist schon mal problemlos, Parkplätze gibt es genügend in unmittelbarer Nähe. Kaffee und Kuchen für ein zweites Frühstück stehen schon am frühen Morgen bereit, die Startunterlagen bekommt man ruck zuck. Geregnet hat es in der Nacht, der Sonntag soll trocken bleiben und warm werden. Das ist doch diesen Sommer schon mal nicht selbstverständlich.
Darmstadt ist mit über 140.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt in Hessen. Ein Marathon wird in manchen kleineren Städten auf einer Runde gelaufen, in Darmstadt entscheidet man sich für zwei Runden. Bestimmt spielen da organisatorische und finanzielle Gründe eine Rolle. Laut unserer Umfrage lehnen 46 % unserer Leser aber einen Zwei-Runden-Kurs ab.
Ich bin da ganz anderer Meinung und sage immer, dass ich eine schöne Runde lieber zweimal laufe, als mich auf einer großen Runde zu langweilen. Wer solche Sprüche klopft, muss erklären, warum er dann von den zwei Runden in Darmstadt nur eine läuft. Für mich, der nicht mehr jede Woche einen Marathon laufen will, sind solche Strecken ideal: Eine Runde reicht, um euch die Strecke zu zeigen und dann ist noch Zeit für jede Menge Fotos.
Auf geht’s zur Kranichsteiner Straße, dort ist der Start. Insgesamt ist das Läuferfeld ja schon sehr imposant und so äußern sich Sponsoren, Organisatoren und die anwesende Polit-Prominenz am Mikrofon auch durchaus zufrieden.
Einen Läufer aus dem Feld will ich hervorheben: René Strosny. Er kommt gerade aus Frankreich zurück, wo er bei dem 1150 km langen Etappenlauf den zweiten Platz belegte. Er kam über die gesamte Distanz übrigens auf einen Schnitt von fast 12 km pro Stunde. Das sind auf den Marathon gerechnet 3:30 Stunden. Davon hab ich mal geträumt.
Ich nehm’s vorweg: Er wird heute nur um gut eine Minute geschlagen und wird Zweiter in 2:48. Gratuliere!
Beim Start und auf den ersten Kilometern stadtauswärts sind viele Zuschauer, die Stimmung ist klasse. Auf der Dieburger Straße kann sich ab den letzten Häusern dann jeder auf sich konzentrieren und hat hier schon mitbekommen, dass man in Darmstadt nicht auf flachen Pisten läuft. Als es links in den Wald Richtung Kranichstein geht, wird von Asphalt auf Natur gewechselt.
Das Jagdschloss Kranichstein, das im 16. Jahrhundert aus einem Hofgut entstanden und heute ein Museum und 4-Sterne-Hotel ist verbirgt sich im dichten Laubwald und hinter hohen Mauern. Wer sich im Restaurant heute einen Tisch reserviert hat, bekommt unter anderem geschmorte Kalbsbäckchen mit Pfifferlings-Gemüseeintopf und Safran-Risotto serviert. Für uns gibt es an der ersten Getränkestelle bei km 5 kommt frisches Wasser, später wird das Angebot üppiger. Dann gibt es auch Iso, Riegel, Obst und Cola. Mehr will man als Läufer jetzt nicht. Höchstens hinterher. Auch da hilft der Veranstalter. Das Angebot im Ziel ist reichhaltig und lecker.
Wäre die Strecke flach, könnte man jetzt gut 3 Kilometer voraus schauen. So lange ist die Gerade durch den Oberwald mindestens. Tatsächlich sind es wegen gaaanz leichtem Auf und Ab immer nur ein paar hundert Meter, die man überblickt. Manchmal kommt eine kleine Lichtung, sonst ist man von üppigem Buchengrün umgeben.
„Hey, Dein Shirt ist aber chic, wo hast Du das her?“ will ich von Christine wissen. Die Herkunft kenne ich ja. Der markante Graubünden-Steinbock lässt sich eindeutig dem Swissalpine zuordnen. Aber die Farbe kenne ich nicht, blau-lila oder so ähnlich. „Das gab’s für den K 21“, verrät sie mir ganz schüchtern. Aha, je kürzer die Strecke, desto modischer die Trophäe. Noch ein Grund, sich für die Kurzdistanz zu entscheiden?
Wir ändern die Laufrichtung und sind jetzt westwärts Richtung Stadt unterwegs, Zwischenzeit bei km 10. Bei jedem piept es, bei mir nicht. Mein Chip ist zu hause. Bei den ersten Häusern laufen wir wieder entgegensetzt durch’s Oberfeld. Wir sind auf dem Land. Erst Gemüsegärten, dann Felder und Wiesen, zum Schluss schwarzgeflecktes Weidevieh, wie im Allgäu.
Bei km 15 sind wir am Oberwaldhaus, beliebt bei für Ausflüglern und Spaziergängern, Spezialitäten Wild, Waldpilze und selbstgebackener Kuchen. Als Läufer steht man mehr auf Iso, Riegel und Bananen. Das gibt es alles, bevor es auf die Dieburger Straße geht, die wir in Gegenrichtung ja schon kennen. Während die Letzten des Feldes sich die leichte Steigung nach oben quälen, kommen lächelnd die Ersten mit sagenhaften 8 km Vorsprung von oben angeflogen. Nicht sehr motivierend.