Ich bin mit Michael, einem Kollegen aus Bonn, am Seiteneingang des Kanzleramtes verabredet. Für ihn ist das Treffen wichtig, habe ich doch seine Startnummer. Nach mehreren Telefonaten treffen wir uns auch wirklich um 8 Uhr. Ich kann Michael gerade noch die Startnummer und den Kleiderbeuten geben, da ist er auch schon im Gedränge verschwunden. „Der große Vorsitzende“, so Michaels liebevolle Bezeichnung durch die Kollegenschaft, wird seinen ersten Marathon mit Bravour bestehen und locker nach 4.32 Std. im Ziel einlaufen. Sein Problem besteht vor dem Start jedoch darin, rechtzeitig in den Startblock zu kommen.
Erst einmal muss ich das richtige Zelt für die Abgabe der Kleiderbeutel finden. Ich habe einige Minuten Zeit während des langsamen Vorwärtsdrängens meinen Blick aufs Kanzleramt zu richten, dann habe ich es endlich geschafft und kann den Kleiderbeutel abgeben.
Nun aber heißt es zum Startblock vorzudringen. Es ist 8.30 Uhr und ich habe noch 30 Minuten Zeit bis zum Start. Um 8.48 Uhr ist aber auch dieses Hindernislaufen erfolgreich bestanden und ich stehe im Startblock D.
Kaiserwetter
Ich bin überwältigt von den unglaublichen Dimensionen. Auf einer Wiese vor dem Kanzleramt sind Massagebetten aufgebaut. Einzelne Läufer liegen hier und gönnen sich noch letzte Momente der Ruhe. Da treffe ich Claus aus Dänemark. Er steckt in einem Raumanzug und posiert gerne für ein Foto. Nachher im Rennen treffe ich nochmals, er leidet in seinem Anzug stark unter der Hitze. Ein Badeanzug wäre als Verkleidung heute besser dem Wetter angepasst.
Für die Zuschauer ist das Wetter heute optimal. Für uns Läufer ist es schön, dass es trocken und windstill ist. Aber es ist zu warm. Schon am Morgen haben wir etwa 14 Grad. Später steigt die Temperatur auf über 25 Grad und wird Haile den angepeilten Weltrekord vermasseln.
So anstrengend es auch ist, sich durch die Massen zum Start zu bewegen, so imponierend ist es aber auch in der Masse zu starten und zu laufen. Zumal die Strecke an allem, was Berlin zu bieten hat, vorbeiführt.
Goldelse grüßt von oben
Den Startschuss zum Marathon gibt Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister von Berlin, zusammen mit Fußball-Bundestrainer Joachim Löw. Vorher erklingt der Bolero von Maurice Ravel und es fliegen Hunderte gelber Luftballons in die Luft.
Vom Start auf der Straße des 17. Juni aus hat man einen tollen Blick zur Siegessäule. Die Massen umlaufen die seit 1938/39 auf dem Großen Stern inmitten des Großen Tiergartens befindliche 1864-1873 erbaute Säule zu beiden Seiten des großen Kreisverkehrs. Oben auf der Spitze trägt die Säule die im Berliner Volksmund Goldelse genannte Viktoria, eine über 8 m hohe Statue mit 35 Tonnen Gewicht. Die Goldelse wird ihren Namen gerecht und scheint schon von weitem sichtbar golden in der Sonne.
Unten am Platz fallen mir die ersten Dänen auf. Sowohl unter den Läufern, als auch unter den Zuschauern am Rande. Mit etwa 6.000 Startern stellt Dänemark das größte Kontingent der ausländischen Läufer. Berlin dürfte damit der größte dänische Marathon sein. Auch am Rande machen die Dänen reichlich Stimmung, Danish dynamite.
Der nächste große Kreisverkehr erwartet uns am Ernst-Reuter-Platz. Hier biegt die Strecke ab Richtung Moabit. Wir laufen vorbei am Knast und nähern uns einem der neuzeitlichen Monumentalbauten der Hauptstadt, dem Kanzleramt. Der Bau ist ein wenig zu groß geraten, aber egal, ich muss da ja nicht wohnen. Da gefällt mit das kleine aber feine Restaurant Paris-Moskau kurz vor dem Kanzleramt doch schon mehr.
Um den Alex
Bei herrlichem Zuschauerwetter geht es weiter in nicht endenden Läufermassen nach Berlin Mitte. Wir laufen in einem großen Bogen um den Alex. Den Fernsehturm sieht man an mehreren Stellen weithin zwischen den Plattenbauten in den Himmel ragen. Wir sind im ehemaligen Ostteil der Stadt, an den charakteristischen Plattenbauten eindeutig zu erkennen.
Am Strausberger Platz geht es nun vorbei am Kottbusser Tor durch Neukölln. Es folgt der Südstern und wir sind mitten in Kreuzberg, wo die Nächte bekanntlich lang sind. Es sind noch immer Massen an Läufern um mich herum. Aber alles geht friedlich ab, obwohl man noch immer nicht viel Platz um sich herum hat. An einigen Stellen verengt sich die Strecke, Staus gibt es aber keine. Aber eine deutliche Verteilung der Läufer und Auseinanderziehen des Feldes setzt erst später ein.