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Laufberichte

Pattex-Piste im Plänterwald

19.01.08
Autor: Klaus Duwe

Frage beim letzten Lauftreff: „Wo machst du deinen nächsten Marathon?“
Meine Antwort: „In Berlin.“

Schweigen, Überlegen, Rechnen. Dann zögerliches Nachfragen: „Hä, der ist doch erst im September.“

So ist das, den Berliner Team-Marathon im Januar hat kaum einer auf seinem Zettel. Das spüren auch die Organisatoren. Nur 52 Teams stehen auf der Meldeliste, letztes Jahr waren es 61. Der Rekord liegt bei über 90. Was ist los mit den Berlinern? Warum lassen sie diese Traditionsveranstaltung (dieses Jahr immerhin die 30. Auflage) so hängen? Liegt es daran, dass nur 3er Teams starten dürfen? Ist Laufen nur was für Individualisten, Eigenbrödler und Egoisten?

Dass die Läuferinnen und Läufer nicht scharenweise in Berlin einfliegen, um im Januar auf einem 5 km-Kurs 42,195 Kilometer runterzuspulen, ist klar. Dass sich in der Millionenstadt aber nicht mehr Marathonis aktivieren lassen, ist mir ein Rätsel, das aber der Veranstalter lösen soll. An der schwäbisch/badischen Laufgemeinschaft, bestehend aus Angelika, Eberhard und mir, hat es nicht gelegen. Wir sind, zusätzlich motiviert durch eine günstige Wetterprognose, als marathon4you-Team wieder dabei.

Als wir in der Frühe in Schönefeld landen, ist es am Regnen. „Wie vorhergesagt,“ meint Eberhard. Und: „Am Nachmittag kommt dann die Sonne raus.“ Im Glauben daran haben er und Angelika nur „kurz“ und „3/4“ im Gepäck. Für meine Ausrüstung (lange Laufhose, Langarmshirt, Windstopper-Jacke und Goretex-Trail-Schuhe) haben sie nur ein mitleidiges Grinsen übrig. Overdressed, wie üblich.

Die S-Bahn-Station ist nicht weit. Mit der Linie 9 geht’s bis zur Haltestelle Baumschulenstraße. Von dort ist man in ein paar Minuten  im Veranstaltungszentrum in der Gesamtschule Treptow. Von außen ist der Plattenbau hässlich wie eh und je, aber innen ist seit letztem Jahr viel gemacht worden. Hier gibt es die Startnummern (immer dreifach). Wer noch Anschluss sucht, dem kann geholfen werden. Orga-Chef Roland Winkler stellt anhand der Leistungsstärke „last minute“ Teams zusammen. So kommen zum Beispiel auch der aus Istanbul angereiste Mike Friedl und Hans „Schneggi“ Drexler „unter die Haube“. Bleibt trotzdem einer übrig, kriegt der als Einzelläufer eine Sonder-Starterlaubnis.

 


Das Speiseangebot im kleinen Aufenthaltsraum muss unbedingt erwähnt werden. Bockwurst, Bouletten und Kartoffelsalat sind zwar nichts Außergewöhnliches, wohl aber die Qualität und vor allem die Preise: nur  jeweils 1 Euro ist dafür fällig. Ein 0,33er Schultheiß kostet 50 Cent, genauso viel Cola oder Apfelschorle. Hausgemachten, leckeren Kuchen gibt’s für 20 Cent!

Wasser (von oben) ist umsonst. Es hört nicht auf zu regnen, nur die Intensität ist variabel. Kalt ist es allerdings nicht, 12 Grad zeigt das Thermometer. Wir marschieren zum Startplatz im nahen Plänterwald. Unterschiedlicher als wir kann sich ein Team nicht präsentieren. Ich glaube Angelika und Eberhard kein Wort, wenn sie nach wie vor behaupten, ihr Outfit sei angemessen. Mir ist in meinen Winterklamotten kalt und ich will jetzt laufen.

Horst Milde, der Vater des „richtigen“ Berliner Marathons, gibt um 12.00 Uhr den Startschuss. Nur die ambitionierten Teams, unter ihnen Titelverteidiger RC Schloßbike Greiz mit Christoph Wendler, Sven Thiele und Thomas Drechsler und Pro Sport Berlin 24 mit Shakal Ryan, Carsten Schultz und Ralf Milke düsen los wie verrückt, die meisten anderen Läuferinnen und Läufer gehen recht gemütlich und schwatzend auf die Strecke.

 


Auf der geteerten Kienwerder Allee läuft es sich ganz gut. Nach knapp einem Kilometer sind wir am 45 Meter hohen Riesenrad des 1969 eröffneten „Kulturparks Plänterwald“. Das war der einzige Freizeitpark der DDR. 1,7 Mio Menschen  besuchten jährlich  den Rummelplatz an der Spree. Nach der Wende ging es steil abwärts, die Angebote in den alten Bundesländern waren einfach attraktiver. Zwar versuchten Investoren, den Kulturpark den neuen Zeiten anzupassen, aber Misswirtschaft (man sagt auch kriminelle Machenschaften) führte 2001 zur Insolvenz. Seither gammeln die Reste der Anlage vor sich hin – kein schöner Anblick.

Wir biegen links ab und laufen schnurstracks auf den Kontrollpunkt von Doris und Bernd Lippmann zu. Ihr Kombi hat heute die Funktion einer Musikbox. Die Musik ist laut und stammt aus der Zeit, als die meisten Teilnehmer zum Schwofen und Poussieren  in Beatschuppen und Diskotheken verkehrten und Lauftreffs noch nicht erfunden waren. Rechts geht’s auf einen gut gewässerten Waldpfad. Mancher versucht, dem schlimmsten Matsch und der tiefsten Pfütze auszuweichen und macht dabei Verrenkungen, die ganz gut zu  Chubby Checker’s  „Let’s Twist again“ passen, das gerade aus den Lautsprechern dröhnt. Sogar weiträumige Umwege werden in Kauf genommen, um übermäßige Verschmutzung von Schuhwerk und Kleidung zu vermeiden.

 


Das sehenswerte Treptower Rathaus (erbaut 1909), das links durch hohe Hecken und Sträucher zum Vorschein kommt,  bleibt so völlig unbeachtet. Als wir die Zufahrtstraße zum Spreepark , auch „Kap der Guten Hoffnung“ genannt, erreichen, läuft es sich  auf der Teerstraße wieder  entspannter. Gleich erreichen wir die kleine Hafenanlage mit der „Insel der Jugend“. Zu DDR-Zeiten fanden auf der Spreeinsel vielbesuchte Konzerte statt, für die oft kein Eintrittsgeld bezahlt werden musste. Heute gibt es hier ein Freiluftkino und den Jugendclub Insel.

 


Wir laufen der Spree entlang, sehen links über den Rummelsburger See und entdecken dahinter in weiter Ferne den Fernsehturm. Ich denke an den Berliner Marathon vergangenen September, als es zum Schluss auch zum Regnen kam. Allerdings ist es bei solchem Sauwetter in der Stadt auf guten Teerstraßen wesentlich besser zu laufen, als heute hier im Plänterwald, wo der Untergrund ständig wechselt. Der Anblick der Ruinen und Trümmer des Kulturparks, die wir nun von der anderen Seite aus besichtigen, macht die Sache auch nicht besser. 


Schade, dass man nicht wenigstens für das „Eierhäuschen“ eine Lösung findet. Ende des 19. Jahrhunderts war es ein beliebtes Ausflugslokal und Schauplatz eines Kapitels in Theodor Fontanes „Der Stechlin“. Wie es zu dem Namen kommt? Es gibt gleich zwei Theorien: nach der ersten soll der Wächter der Anlage einst nebenbei Eier an die Spreeschiffer verkauft haben. Die zweite besagt, dass es bei einem örtlichen Ruderwettbewerb als Preis einen Schock Eier (1 Schock = 5 Dutzend) zu gewinnen gab.

 


Wir folgen weiter dem Spreeuferweg bis zur Fähre. Hier ist der Weg total überflutet. Weil keiner weiß, wie tief das Wasser ist, weichen wir der Pfütze aus, auch wenn wir dazu über eine Bank klettern müssen. Schon sind aber Helfer im Anmarsch, um das Hindernis zu beseitigen. Gleich danach, am äußersten Ende der Strecke ist die Verpflegungsstelle eingerichtet. Wasser, Tee und Schleim ist im Angebot, dazu Bananen und Kekse. Dann kommt der Start- und Zielbereich, wo man auch Eigenverpflegung deponieren kann. 

Runde eins ist also erledigt. Jetzt weiß jeder, was auf ihn zukommt. Weil der Regen etwas nachlässt, halten Angelika und Eberhard dies für den Beginn der vorhergesagten Wetterbesserung und lassen jetzt sogar ihre Jacken im Depot.

Doris Lippmann führt ihre Strichliste sehr gewissenhaft. Erst wenn sie alle drei Läufer eines Teams identifiziert hat, macht sie einen Haken. Am „Kap der Guten Hoffnung“ erfolgt die Kontrolle per Digicam. Beim Eierhäuschen werden wir zum ersten Mal überrundet. Erst in der sechsten Runde können wir uns, Uli sei Dank, das erste und einzige Mal revanchieren.

Spätestens ab der fünften Runde (km 20 bis 25) macht keiner mehr einen Umweg, um Matsch oder Pfützen auszuweichen, obwohl die schwarze Pampe klebt wie Pattex. Längst haben die Laufschuhe Einheitsfarbe und –gewicht und die nackten Waden sind von dunkel bekleideten kaum mehr zu unterscheiden. Einzig meine Füße fühlen sich noch trocken an und ich schwärme meinen Teamfreunden was von Goretex vor. Das kann mich aber nicht davon ablenken, dass ich mich völlig platt fühle. Bin ich so schlecht drauf? Ist Marathon schon mit 58 zuviel für mich? Muss ich aufhören? Früher als sonst beginnt der Kampf ums Überleben.

Die Lippmanns muntern mich wieder auf. „Das machst du großartig“. Mir ist jede Übertreibung recht. Auch Bernd Sehmisch aus Leipzig, der wieder die Moderation übernommen hat, versteht sich auf’s Motivieren. Mittlerweile macht er sogar einen Unterschied zwischen Schwaben und Badenern und kennt marathon4you. 

Horst Preisler hat keine Ahnung, wie sehr mich seine Worte trösten. „Kostet ganz schön Kraft heute“, sagt er beiläufig. Also doch die Umstände? Auch Angelika und Eberhard sind am Klagen. Irgendwann will ich aufhören. Es hat keinen Wert, mir tut alles weh. Links drückt mich der Schuh, rechts schmerzt das Knie. Ich lockere die Schnürung und verliere den Schuh fast im Matsch. Jetzt versuche ich gar nicht mehr, da durch zu rennen, ich gehe. Zum ersten Mal muss ich auf einem flachen Marathonkurs Gehpausen machen.

Noch eine Runde? Noch einmal durch den Dreck? Ja, noch einmal. Dann noch eine halbe. Ok, das mach ich. Jetzt sind auch meine Füße nass und kalt. Das teure Goretex kann gegen das Wasser, das über die Socken kommt, nichts machen. „Ich mache das Tempo“, sagt Eberhard. Sein Tempo ist gut, denn auch er ist kaputt. Und Angelika? Ich glaube, sie könnte, wenn sie wollte. Aber sie passt sich an. Auf dem Zahnfleisch und im Schneckentempo laufen wir die letzte Runde. Ein Triumphlauf ist das nicht, eher eine Qual. Die „Halbe“ am Schluss kommt mir fast länger als kürzer vor.

Dass wir unter 5 Stunden bleiben, feiert Bernd Sehmisch wie ein Sieg und ich will ihm da nicht widersprechen. Tatsächlich kommen nur 47 Teams (90 %) in die Wertung, nur 2  bleiben unter 3 Stunden (Team Pro Sport Berlin  mit Shakal Ryan, Carsten Schulz, Ralf Milke in 2:58:51 Stunden und LG eXa 1 mit Jens Gersonde, Thomas Kunze, Carsten Paul in 2:59:05). Dem letzten Läufer leuchtet ein Radfahrer die Strecke aus. Der 30. Berliner Team-Marathon war fast schon ein Abenteuer.

 


Noch nie habe ich nach einem Lauf eine heiße Dusche so wohltuend empfunden wie heute. Noch nie haben mir Bockwurst, Bouletten und Kartoffelsalat, Kaffee und Kuchen so gut geschmeckt. Kein Wunder, dass das gesamte Team die Siegerehrung verpasst. Für mich nicht schlimm, weil ich da normalerweise  sowieso nie vorkomme. Beim Team-Marathon wird aber jedes Team geehrt und da ist es schon schade, wenn man nicht anwesend ist. Aber bei einem so anstrengenden Programm muss man einfach Prioritäten setzen. Und da hat das leibliche Wohl Vorrang. 

Mehr zum Thema

Start- und Ziel:
Kiehnwerder Allee (Plänterwald),  Berlin-Treptow

Veranstaltungszentrum:
Amelia-Earhart-Schule, Köpenicker Landstraße

Logistik:

Parkplätze und S-Bahn-Station (Baumschulenweg) in unmittelbarer Nähe

Streckenbeschreibung:

Flacher 5 km-Rundkurs durch den Plänterwald und entlang der Spree. Teilweise Wald-, teilweise Teerwege.

Auszeichnung:

Urkunde

Zeitnahme:

Manuell

Andere Wettbewerbe:

5 km Fun-Run

 

Informationen: Berliner Team-Marathon
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