Zürich, Genf und dann kommt schon Basel (166.000 Einwohner) als drittgrößte Stadt der Schweiz. Sie liegt ganz im Nordwesten des Landes, dort wo der Rhein zwischen den Vorläufern des Schwarzwaldes und des Schweizer Jura eine Biegung von 90 Grad, Rheinknie genannt, macht. Aus deutscher Sicht liegt Basel ganz im Südwesten, gegenüber von Lörrach und Weil am Rhein.
Viele kennen die Stadt am Dreiländereck nur vom Durchfahren und erinnern sich an die großen Fabrik- und Verwaltungsgebäude der dort ansässigen Pharma- und Chemieindustrie. Mal sehen, was Basel noch so zu bieten hat, ein City Marathon bietet ja Gelegenheit, auch die weniger bekannten Seiten einer Stadt kennen zu lernen.
Als ich am Sonntagmorgen zwei Stunden vor dem Start in die Stadt komme, ist alles noch am schlafen. Kaum Verkehr und keine Hinweise auf das bevorstehende Großereignis. Trotzdem finde ich den Startplatz am Messegelände problemlos, die Beschilderung und die Hinweise auf die Parkmöglichkeiten sind hervorragend. Gleich nach dem Badischen Bahnhof wird der Blick frei auf den 105 Meter hohen Messeturm, das höchste bewohnbare Gebäude der Schweiz. Eine der wichtigsten Messen, nicht nur für Basel, sondern für die ganze Schweiz, ist die hier stattfindende Baselworld, die weltweit führende Schmuck- und Uhrenmesse.
Die Marathon-Expo in Halle 3 dagegen ist nicht größer als die in Monschau. Die übrige Infrastruktur (außer den Toiletten) auf der Messe würde für ein Läuferfeld in vielfacher Größe ausreichen.
Gedränge kommt hier nicht auf, aber auch keine richtige Marathon-Atmosphäre. Die stellt sich erst ein, als die Läuferinnen und Läufer im Starterfeld versammelt sind.
Nervöses Auf und Ab, ein bisschen Dehnen da, ein letzter Schluck aus der Pulle dort. Schnürung überprüfen, ist der (kostenlose Leih-)Chip dran, sitzt das Oberteil richtig und ist die Startnummer gerade? Leicht kann man die Debütanten oder nur gelegentlichen Teilnehmer an solchen Veranstaltungen erkennen. Gleich werden sie losrennen, bis nichts mehr geht.
Ich nehme mir äußerste Zurückhaltung vor. Als wir von der Clarastraße (auf dieser Seite des Rheines ist Kleinbasel) über die Mittlere Brücke zum Marktplatz auf der anderen Rheinseite (Grossbasel) laufen, habe ich nach einigen Photostopps so ziemlich am Ende des Läuferfeldes meinen Platz gefunden.
Das Basler Rathaus, 1504 bis 1514 anlässlich des Beitritts der Stadt zur Eidgenossenschaft erbaut, ist mit seiner roten Sandsteinfassade und dem Turm das markanteste Bauwerk auf dem schönen Marktplatz. Die Basler sagen zu ihrem Regierungsgebäude einfach Roothuus.
Alte Gasthöfe mit kunstvoll geschmiedeten Schildern wechseln mit Boutiquen und teuren Schmuck- und Uhrengeschäften. Am Bundesplatz nach ungefähr 4 Kilometern kommt schon die erste Getränkestelle und danach sind wir in Binningen.
Ich unterhalte mich gerade angeregt mit einem anderen Läufer, und werde gleich von einem Passanten gerügt: „Nüt schwatze, seggle!“ Vornehm übersetzt: „Redet nicht so viel, lauft dafür etwas schneller.“
Ich setze mein Gespräch fort. Während ich mich nämlich wundere, dass viele Leute an der Straße sind, zuschauen und klatschen, meint mein Schweizer Kollege, im letzten Jahr seien es deutlich mehr gewesen.
In Allschwil (km 7) kommt bereits die zweite Getränkestelle. Die Stimme der Dame mit den zwei Wasserbechern in den Händen ist schon so dünn und zittrig, dass ich nicht sicher bin, bietet sie mir Wasser an, oder braucht sie dringend selber welches.
Rechts im Sportpark Bachgraben wird derweil fleißig trainiert und gegenüber in den Schrebergärten ist man beim Frühschoppen oder richtet langsam den Gartengrill her. Obwohl die Bewölkung nicht aufreißen will, ist es nämlich ziemlich warm, die 20 Grad werden bereits leicht überschritten. Der eine oder andere stöhnt schon wieder: „Scheiß Hitze.“
Wir laufen durch den Kannenfeldpark, Basels größten Stadtpark. Die vier Propheten am Eingang (Moses, Daniel, Johannes und Paulus) weisen noch heute darauf hin, dass es früher (um 1868) mal ein Gottesacker, also ein Friedhof war. Bei der Fußball-WM war hier großes „Public-Viewing “ angesagt.
Abwechslungsreich geht es weiter. Als nächstes kommt ein Gewerbegebiet, Standort von Glas-Keller. Die Mitarbeiter erweisen sich als große Marathon-Fans und veranstalten ein Betriebsfest. Eine kleine Arbeitersiedlung schließt sich an, dann kommen die Türme des Energieversorgers IWG und gleich sind wir an der Grenze zu Frankreich (km 11).
Am Kreisverkehr laufen wir rechts auf die Elsässerstraße und durch eine Unterführung. Schlimm sieht es hier aus, eine Baustelle an der anderen. Straße, Geleise, Häuser, alles ist aufgerissen oder eingerüstet. Schnell über die Dreirosenbrücke über den Rhein und in die Kybeckstraße. Hier ist Novartis zu Hause. Als 1996 der Pharmariese aus Ciba-Geigy und Sandoz entstand, sprach man von der größten Firmenfusion weltweit. Während unser Gesundheitswesen buchstäblich am Stock geht, meldet die Pharmaindustrie Jahr für Jahr neue Rekordergebnisse. Novartis verdiente 2005 6,1 Mrd. Dollar bei 32,2 Mrd. Dollar Umsatz.
Da hilft nur eins: gesund bleiben und weiter laufen. Wir sind im ehenmaligen Fischerdörfchen Kleinhüningen (Km 14/15), dessen Name sich vom französischen Ort Huningue auf der anderen Seite des Rheines ableitet.
Ein Stückchen laufen wir dem schönen Flüßchen Wiese entlang und dann durch eine Erlenallee zu einer ungefähr 7 Kilometer lange Schleife nach Riehen, der einzigen Landgemeinde im Kanton Basel-Stadt. Vor dem einen oder anderen Haus stehen Leute und klatschen, oder sie haben es sich auf ihren Gartenmöbeln gemütlich gemacht und trinken einen.
„Willsch ä bißl Driibstoff?“ fragt mich einer und hält mir seinen Becher hin. Auch hierzu die Übersetzung für die weiter nördlich beheimateten Leserinnen und Leser: „Darf ich Ihnen einen Schluck Champagner anbieten?“
Wir machen eine weitläufige Wende nach links, laufen hinunter zur Sportanlage Grendelmatt mit Verpflegung und sind dann im Wald, um entlang dem schon bekannten Flüsschen Wiese wieder zurück Richtung Kleinhüningen zu laufen. Sogar hier stehen hin und wieder Leute und feuern uns an. Kurz nach der Halbdistanz laufen wir rechts über die kleine Brücke und dann auf der anderen Flussseite weiter, bis wir wenig später unmittelbar am Grenzübergang zu Deutschland sind.
Jetzt wird es spannend. Wir sind direkt im Rheinhafen im Dreiländereck. Riesige Portalkrananlagen, Lagerhallen- und -flächen bestimmen das Bild. Wir laufen direkt durch den Container-Umschlaghof der Rhenus, einem fast 100 Jahre alte Logistikunternehmen mit 6.000 Mitarbeitern. Bedrohlich türmen sich rechts und links die Container zu dunklen Wänden auf. Man riecht schon, was danach kommt - die Chemieindustrie auf beiden Seiten des Rheines. Mir wird bewusst, wie angenehm ein Misthaufen riecht.
Es gibt Leute, die finden Industrielandschaften schön. Es gibt Fotografen, die machen aus deinem Containerstapel ein Kunstwerk. Zu beiden gehöre ich nicht. Aber ich gehöre zu denen, die eine Stadt so nehmen, wie sie ist. Und Basel ist (auch) eine Industriestadt.
Gleich zeigt sie aber ihr anderes Gesicht. Wir laufen auf dem Unteren (später Oberen) Rheinweg und kommen in Wohngebiete mit herrschaftlichen, alten Häusern, Straßencafés und Bistros. Der Blick hinüber nach Großbasel mit dem Münster ist einmalig schön. Etliche Fans haben sich hier versammelt und feuern uns an. Aber statt der bekannten Basler Gugge gibt es auch hier nur Musik aus der Konserve, aufgelegt von einem der vielen DJ’s, die sich an der Strecke postiert haben.
Über die Wettsteinbrücke wechseln wir zum anderen Rheinufer und kommen nach St. Alban, das fast dörflich anmutet. Auf dem St. Alban-Rheinweg (km 30) folgen wir dem Strom aufwärts und kommen nach Birsfelden, wo ein großes Marathon-Straßenfest gefeiert wird. Anders als kurz zuvor, wo die Sambagruppe ihre Sachen schon zusammen gepackt hat, sind die Leute hier mit den Marathonis solidarisch und zeigen Ausdauer. Die Stimmung ist toll und ansteckend.
Vom großen Shopping Center St. Jakob wäre es nur ein Katzensprung ins Ziel. Aber noch sind ungefähr 9 Kilometer zu laufen. Und die sind gleich zu Anfang ziemlich beschwerlich. Eine lang gezogene Steigung bremst die Läufer vor mir aus und ich kann auf einen Schlag fast 10 Plätze gut machen.
Jetzt erreichen wir Muttenz, eine eigenständige Industriestadt östlich von Basel mit ungefähr 14.000 Arbeitsplätzen. Hier befindet sich der Rangierbahnhof Basel, einer der größten in ganz Europa. Aber den müssen wir uns heute nicht ansehen.
Man weiß hier zu feiern und ohne den Kommentar eines Mitläufers, nach dem es im letzten Jahr auch hier wesentlich mehr Zuschauer gegeben habe, wäre ich ganz zufrieden. Ich bin schon einsamer durch solche Orte und Wohngebiete gelaufen. Bei km 40 gibt es noch einmal eine Stärkung, dann kommen wir auf die St. Jakob-Straße, die uns direkt ins Ziel vor der St. Jakobs-Halle führt.
Wieder bin ich ehrlich überrascht, wie viele Leute hier auch noch nach 4 ½ Stunden Laufzeit die Marathonis empfangen. Dicht gedrängt stehen sie links und rechts und klatschen und jubeln. Nirgends könnte die Stimmung besser sein. Dann wird der Leihchip abgemacht und es gibt die verdiente Medaille. Danach warten allerlei Getränke und Riegel auf die Finisher. Wer von Bananen noch nicht genug hat, kann hier Nachschlag kriegen.
Um den Kleiderbeutel abzuholen, muss man ein paar 100 Meter gehen. Dort am Depot gibt es auch das schöne Funktions-Finisher-Shirt.
Das Zielgelände mit der St. Jakobshalle, dem St. Jakob-Park und dem neuen „Jäckeli“, der St. Jakob-Arena, ist nicht wieder zu erkennen. Vor Jahren war ich schon einmal hier, zu einem Konzert der Rolling Stones. Das war vor dem Umbau des Stadions. Vor allem in jüngster Zeit hat sich hier viel geändert. Schließlich ist Basel wichtiger Schauplatz bei der nächsten Fußball-EM. Eines der Halbfinalspiele wird hier stattfinden.
Mit dem Bähnli, der Bahnsteig ist gleich gegenüber der Halle, geht es in ungefähr 20-minütiger Fahrt zurück zum Messegelände. Eine gute Gelegenheit, sich die eine oder andere Sehenswürdigkeit noch einmal zu betrachten. Basel ist schön, ehrlich, auch wenn man auf der Strecke manchmal einen anderen Eindruck hat.
Vielleicht wäre es gar keine so schlechte Idee, hier (wie in Freiburg) einen 21 km langen Rundkurs anzubieten, der durch die Innenstadt und ein paar grüne Außenbezirke führt und dann insgesamt so attraktiv ist, dass man ihn gerne zweimal läuft.
Eine Änderung für nächstes Jahr hat mir OK-Chef Daniel Faller bereits verraten: Start UND Ziel werden an der Messe sein.