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Laufberichte

Heilige Quellen am Feuerberg

30.07.11
Autor: Joe Kelbel

Nicht, dass Ihr denkt, ich sei krank, aber ich schaue tatsächlich ins Wasser, ins Trinkwasser! Hat einen triftigen Grund: eine super Frau! Schwarze, glänzende Haare, wie Schneewittchen. Langes, weisses Kleid, so sitzt sie da im „Hylligen Born“ und singt liebevoll wie eine Nachtigall bei Vollmond. Mit ihren zarten Fingern streicht sie anmutig über die Saiten ihrer Harfe. Sie nennt sich selbst „Herrin des Sees“.

Der letzte der sie gesehen hatte, war der Graf Dietrich von Pyrmont, der durfte jahrelang zum Schäferstündchen in ihr Schloß, welches sich da unten in der heiligen Quelle befindet.

Schneewittchen hatte dem Dietrich  ne Kette umgelegt, sie nannte das Talisman. Die Kette wurde dem Dietrich aber beim  Ritterturnier durchschnitten. Und wie das so ist im Leben, verliebte sich der Dietrich augenblicklich in die Königstochter. Während der Trauung der beiden kam dann die „Herrin des Sees“, schlang ihre nassen, kalten Arme um den Dietrich, bis der tot war. Die Leiche von dem Dietrich hat man nie gefunden, die soll da unten im Kristallpalast von der „Herrin“ sein.

Die Quelle ist jetzt mit einer Glaspyramide überdacht, wohl damit niemand mehr den Dietrich macht. Wie ich jetzt da ins Waser schaue, denke ich mir: Wenn der Dietrich und die Domina da unten jetzt vermodern, dann verstehe ich nicht, warum man auf Kosten der Krankenkasse dieses Wasser trinkt.

Nun steckt hinter jeder Sage ein Kern Wahrheit: Die Römer warfen schon immer ihr Altmetall in Brunnen und Quellen. In Bad Pyrmont warf man Fibeln, das sind Sicherheitsnadeln für die Gewänder (sehen aus wie kleine Harfen),  als Opfergabe  in den Hylligen Born, denn dort unten wohnte eine Quellgöttin. Römische Handwerker fertigten die Fibeln direkt hier an der Quelle und verkauften diese an die Pilger und Soldaten. Die ganz großen Sünder haben das Zeug wohl säckeweise da reingeworfen. Interessant ist, dass sogar die Germanen nach der Schlacht von Kalkriese (ca. 80 km von hier) das militärische Altmetall der Schlacht nahmen, zu Fibeln formten und hier hineinwarfen.

Jedenfalls  holte man im Laufe der Zeit hunderte Fibeln („Quellnadeln“) nach oben, die damals aber in private Sammlungen wanderten. Sogar auf der Weltaustellung in Chicago (1893) wurden sie gezeigt. Tip: Museum im Schloß, Eintritt im Startgeld enthalten.

Der Name Pyrmont ist wohl Griechisch-Römisch und heisst Feuerberg. Dass Griechen hierher pilgerten, mag sein. Dass Feuer unter dem Berg liegt, ist auch klar, denn das 3000 Meter tief liegende Magma treibt mit der Kohlensäure das Wasser nach oben. Aber es gab hier nie einen Vulkan, das Deckmaterial besteht aus Muschelkalk und Ablagerungen eines Meeres aus der  Triaszeit, als Pangaea, der Superkontinet, noch in den Tropen lag.

13 Uhr ist ne freundliche Startzeit, sozusagen Kur- freundlich, aber ich sehe nicht mehr nur die netten alten Leute, die ihr Wässerchen im Kurpark hier in der Hauptalle trinken und uns ungläubig anschauen,  ich sehe nicht mehr nur aufgeregte Läufer, ich  sehe römische Soldaten, die auf dem Weg durch das Tal der Emmer zur Varusschlacht sind und hier ihre Opfer an die Erdgöttin (später Frau Holle, siehe Bericht vom Hollenlauf) bringen. Ich sehe die alte Linde über der Quelle und die glitzenden Fibeln und Münzen im Wurzelwerk, und die römische Schöpfkelle, die 2000 Jahre später gefunden wird. Es ist voll hier, Aufregung, jeder richtet seine Rüstung, es wird laut...es geht los! Auf in die Schlacht Soldaten!

Wir laufen die  Hauptallee hinauf, sie wurde 1667 als Spazierweg angelegt, da man feststellte, dass das Wasser des Hylligen Born (Calcium-Magnesium-Hydrocarbonat-Sulfat-Lösung für die Verdauungsfunktion) unter leichter Bewegung besser wirkte. Links vorbei am Quelltempel ins Kurgebiet.

Alle waren hier: Die Kurfürsten von Brandenburg, die Königin von Dänemark, Zar Peter, König Georg von England und Kurfürst von Hannover, der Großherzog von Mecklenburg-Strelitz,die Herzogin von Braunschweig. König Friedrich der Große, Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wilhelm III und Königin Luise von Preußen.

Aber auch die Fürsten des Geistes waren hier: Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Gottlieb Klopstock, Matthias Claudius, Wilhelm Raabe, Gotthold Ephraim Lessing, Wilhelm von Humboldt, Gottfried Wilhelm Leibniz und Johann Gottfried Herder.

Wir laufen hoch in den Pyrmonter Forst. Die Steigung ist eine geologische Abbruchkante, hier dringen die Quellen durch den karstartigen Untergrund. CO2 treibt das Wasser nach oben. Es wird dabei mit gesundheitsfördernden Mineralien angereichert. Wahrlich ein isotonisches Getränk.

Schwieriger Anstieg, wir haben insgesamt 700 Höhenmeter vor uns. Die Angehörigen der Marathonläufer nutzen derweil die Gutscheine für die Bäder. Wunderbare Bilder, wie sich die Läuferkette erst durch die Felder, dann durch die Gartenanlagen bis in den Wald zieht.

Mir wird schnell klar, warum dieser Marathon von den m4y-Lesern ganz hoch gevotet wurde: wunderbarer Waldlauf, die Kombination aller Disziplinen läuft erstklassig, mal sieht man die Walker auf dem linken Waldweg, mal rechts, mal darf man sie überholen, dann kommen schnelle Läufer, dann andere Strecken, mal rauf, mal runter, mal Halbmarathonläufer, mal Brunnenlauf-Läufer, mal steht die Sonne dort, mal da. Manche Wegabschnitte durchläuft man dreimal, manche nur einmal. Zunächst wundere ich mich über Schilder, die mit blauen Mülltüten abgedeckt sind, und eine Stunde später sind diese aufgedeckt, zeigen neue Richtungen und neue Kilometerzahlen. Dann werden Wege abgesperrt, die man zuvor gelaufen ist, Helfer weisen in die richtigen Richtungen und jede Menge Verpflegungspunkte mit Schoko , Müsli, Bananen und dem (Dietrich)Wasser. Meisterleistung der Organisation.

Eine geologische Besonderheit, die drei Erdfälle. Das Wasser hat Salze ausgewaschen und hierdurch große Höhlen gebildet. Sie sind eingestürzt und die Einsturztrichter sind im Wald nordwestlich der Klinik zu sehen.

Ganz oben auf dem Schellenberg stand einst eine Burg. Der Erzbischof nannte diese „petri mons“, also Petersberg, oder auf  Neu-Latein: Piremont.  Mir jedenfalls brennen gehörig die Oberschenkel als ich da runter laufe. Und das ist das Geheimnis dieses Marathons: Extrem schneller Bergmarathon, kein Traillauf, sondern gute Wege mit laufbaren Steigungen aber kilometerlangen Bergabpassagen, die mal richtig kesseln. Ich laufe auf Anschlag, richtig auf Anschlag.

Viele Hinweisschilder. Zum Spelunkenturm, Bismarkturm, Schellenbergturm, Germanengrab. Germanengrab? Wäre gerne hingelaufen, später sehe ich die Ausgrabungstücke im Schloss: Schwerter, Krüge und andere Grabbeilagen.

Plötzlich steht Friedrich III vor mir. Der Arme hatte während seiner ganzen Regierungszeit Probleme mit dem Korsen.

Kein Bier, ich bin voll happy mit den roten Melonenstücken. Ganz große Klasse, großer Laufspaß, dieses geordnete Durcheinander der Laufstrecke habe ich noch nie erlebt.

Es gibt unheimlich viele Geheimnisse hier rund um den Piremont. 2000 Jahre Quellheiligtum sind faszinierend. Ich war aber noch nie so scharf darauf, ins Museum zu kommen. Und da liegen dann diese Fibel: die meisten ganz einfach, aber viele reich verziert, da erkennt man Pferde, Hasen, Drachen, Fabelwesen. Das ist mein Marathonerlebnis, ganz einsame Klasse! Dazu die geniale Schöpfkelle, dann Steinbeile aus der Zeit vor den Römern, und dann Flinten, Kanonenkugeln und Schwerter hier aus dem Burggraben. Ohne Marthon hätte ich nie recherchiert, und das alles nie erfahren. Ich liebe meinen Sport!

Und dann liege ich in den Thermen (Gutschein), meine schnerzenden Oberschenkel erholen sich. Ich träume von einem wunderbaren Tauchgang in die Kristallgrotte. Dann greife ich mit meinen beiden Händen diese wunderbaren winzigen Harfen, schwimme zurück an die Oberfläche, oder ich bleibe bei der „Herrin des Sees“,  bis ich vermodere, und Ihr trinkt Wasser auf Kosten der Krankenkasse.

 

Informationen: Bad Pyrmont Marathon
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