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Laufberichte

Bitte folgen

 

Fünf Jahre haben Judith und ich uns Zeit gelassen, um mal wieder zum Marathon nach Hannover zu kommen. Die 600 km lange Zugfahrt zeigt uns nach Fulda einiges von der Landschaft. Baustellenbedingt geht es mit Tempo 60 dahin. Jetzt weiß ich wenigstens, wo der Springe-Deister-Marathon stattfindet.

Hannover am Übergang vom Mittelgebirge zur Norddeutschen Tiefebene ist schon seit seiner Gründung ein Verkehrsknotenpunkt zwischen Nord/Süd und Ost/West. Heute empfängt uns die 500.000 Einwohner zählende niedersächsische Hauptstadt mit Regen und Wind. Schade für die Kinder, die gerade vor dem neuen Rathaus ihre Läufe absolvieren.

Zeitlich knapp mit der Startnummernabholung wird es nicht. Auch am Sonntag könnte man morgens noch die Unterlagen abholen. Zusätzlich gibt es einen Plastikbeutel für die Kleiderabgabe und zwei Energiedrinks, das Ganze ohne große Wartezeit. Im Messezelt vergleichen wir die Laufschuhangebote. Danach geht es nach nebenan ins neue Rathaus. In diesem von 1901 bis 1913 im eklektizistischen Stil auf 6062 Buchenpfählen errichteten Gebäude findet die Pastaparty statt.

Mit einem einzigartigen bogenförmigen Aufzug kann man sich zur knapp 100 Meter hohen Aussichtskanzel befördern lassen, wo einen ein schöner Ausblick auf die Innenstadt samt Start- und Zielgelände erwartet. In der großen Halle unterhalb der eindrucksvollen Kuppel sind Stadtmodelle aufgestellt. Bedrückend der Anblick der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Innenstadt. Nur ganz wenige Gebäude sind stehen geblieben, die meisten ohne Dach. Eigentlich wollten wir uns noch ein bisschen im Zentrum umsehen, aber Regen und Wind sind nicht sehr einladend, sodass wir uns bald ins Hotel zurückziehen.

Wir gehen früh zu Bett, da die Umstellung auf die Sommerzeit die Nacht um eine Stunde verkürzt. Die bekommt man traditionell beim Frankfurter Marathonsonntag Ende Oktober zurück.

Das Frühstück im Hotel wird ab 5:30 Uhr angeboten. Wir sind wesentlich später dran, da sich der Start-Zielbereich in unmittelbarer Nähe befindet und wir bei sechs Grad nicht lange draußen herumstehen wollen.

 

 

Mehr als 2000 Marathonis sind heute gemeldet, von denen 1.679 den Lauf beenden werden. Judith und ich halten uns ganz hinten, da wir uns beide nicht wirklich fit fühlen. Eine leichte Erkältung ist erst vor kurzem abgeklungen. Nach der Vorstellung der FavoritInnen – Amanal Petros (2:07:02) und Matea Parlov (2:25:45) werden neue Streckenrekorde erzielen - erfolgt um 9:01 Uhr der Start mit einem eher verhaltenen Signal. Block C, dem wir zugeteilt sind, ist fünf Minuten später an der Reihe.

Der Marathon hat eine abwechslungsreiche Streckenführung: Landschaftliche und städtische Elemente wechseln sich ab. Über den  Waterlooplatz starten wir, noch ohne persönliches Waterloo, aber auch die Siegesgöttin Viktoria kommt zu früh. Rechts der Schützenplatz, Ort des Gilde Frühlingsfests im April, danach das Stadion von Hannover 96, die Heinz-von-Heiden-Arena. Im Biergarten Nordkurve nebenan läuft auf der Leinwand die Live-Übertragung des Marathons.

Wir erreichen bei km 1,5 den Maschsee. Der 2,4 km lange See mit seiner schnurgeraden östlichen Promenade, auf der wir dahin brausen, wurde 1934 bis 1936 im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen angelegt. Der umgebende Park in der Leineaue ist einbeliebtes Naherholungsgebiet. Ein Lokal am See trägt den Namen Pier 52. Klingt nach großem Hafen. Der See wird übrigens über Wasserpumpen mit Nachschub versorgt.  

 

 

Die hochwassergeschützte Furt der Leine führte im Mittelalter zur Gründung einer Siedlung. Aber auch schon vorher ließen sich Menschen hier nieder. Der Fund von Tongefäßen und einer Denar-Münze mit dem Porträt des Kaisers Severus Alexander gilt als Beweis dafür, dass schon zur Römerzeit hier Handel getrieben wurde.

Ich bin beeindruckt, wie viele HannoveranerInnen hier schon an der Strecke stehen. So richtig schön ist das Wetter nicht, aber der immer mal wieder vorhergesagte Regen bleibt aus. Allerlei Kunst ist zwischen den Ruderclubs zu sehen.

Wir drehen nach links. Ein Mitläufer fragt, ob wir hier noch richtig sind. Aber die Halbmarathonis, die schon vorher abbiegen müssen, starten erst später - und überhaupt können so viele Laufende wohl nicht irren. Außerdem wird der Weg von einer grünen Linie (offiziell = grüner Faden) markiert, die aber sehr kurzlebig ist und durch den nächtlichen Regen schon gelitten hat.

Kurz danach wieder links und dann auf der schnurgeraden Hildesheimer Straße Richtung Zentrum. Unglaublich, die Sonne kommt raus, auch Robert, der immer in schwarz-weißem anzugähnlichem Outfit läuft, ist froh über das Wetter. Er stellt meist einen schönen Videobericht in YouTube ein.

Ich freue mich über die vielen Stadtbahnen, die es hier zu sehen gibt. Und beim Blick nach links in die Querstraßen sieht man viele Stadthäuser. Unter der langen Brücke des Südschnellwegs hindurch. Am Döhrener Turm vorbei, einem spätmittelalterlichen Wachtturm, Einflugschneise der Wasserfledermaus und daher nur im Winter nachts beleuchtet.

Immer wieder werde ich von Läuferinnen und Läufern überholt, die ein hellgrünes Shirt des Polizeistudiums Niedersachsen tragen. Die Aufschrift „Bitte folgen“ mag freundlich gemeint sein, doch ich kann nicht mithalten, sie sind einfach zu schnell. Aber für ein Späßchen sind sie natürlich zu haben.

Judith ist inzwischen auf und davon. Ich bin heute etwas zurückhaltender unterwegs. Vielleicht kann ich sie später einholen.

Die Stadtbahn taucht in den Untergrund, die Zahl der Zuschauer nimmt zu. Schwungvoll gelangen wir nach sechs schnurgeraden Kilometern an den Rand der Innenstadt. Diese wurde im 2. Weltkrieg zu 90 Prozent zerstört. Einige Häuser baute man wieder auf, generell wurde aber unter der Ägide des damaligen Stadtbaurats Rudolf Hildebrecht ein völlig neues Straßennetz angelegt. Das Ganze sollte autogerecht werden. Dem reisenden Marathonläufer fällt das nicht so auf, viele schöne Gebäude liegen an den breiten Straßen.

 

 

Der Continental-Fanbereich begrüßt uns. Er liegt vor der Hannoveraner Oper. Kröpcke heißt der zentrale Platz der Stadt, benannt nach dem seit 1870 bestehenden Café. Wahrzeichen ist eine Uhr, die der Architektur des Cafés angepasst ist und ursprünglich als Wettersäule mit meteorologischen Instrumenten gedacht war, später aber multifunktional auch als Zeitmesser und Ausstellungsvitrine genutzt wurde. Nach wechselvoller Geschichte ist das heutige Exemplar ein Nachbau des Originals.

Direkt auf den Hauptbahnhof zu. Die Niki-de-Saint-Phalle-Promenade, benannt nach der französisch-schweizerischen Künstlerin, die vor allem für ihre bunten, voluminösen „Nana“-Skulpturen bekannt ist, verläuft 650 Meter weit bis in den Hauptbahnhof. Ein schönes Gebäude, das direkt vor uns liegt, und ein Einkaufsparadies noch dazu. Wir unterqueren den Bahnhof durch eine lange Straßenunterführung. Danach gibt es Musik und einen Verpflegungsstand. Die einzelnen Angebote sind sehr gut mit Fahnen gekennzeichnet. An den großen VPs gibt es Iso-Getränke, Wasser, später auch ein Energygetränk. Dazu halbe Bananen. Die Helfenden sind sehr freundlich und meist braucht man gar nicht auf den Tisch zu greifen. Toiletten gibt es auch. Und hinter den VPs, mit der Fahne „End“ gekennzeichnet, viele Mülltonnen, sodass man die Pappbecher gleich fachgerecht entsorgen kann.

Vor uns eine neue Hochstraße. Unten im Keller ein Parkbereich. Spannend, was man vor vielen Jahren als modern gesehen und gebaut hat.

Es steht eine große grüne Runde auf dem Programm, 12 Kilometer lang. Hier kommen uns die Führenden entgegen. Die sind bei Kilometer 26. Wir erreichen den Erlebnis-Zoo, dessen Eingang irgendwie nicht fotogen ist und leider kann man auch keine Tiere sehen, hören oder riechen.

Dafür hört man zwei Herren mit Holzstücken klopfen. Ich frage frech, was das schwarze Rohr vor ihnen zu bedeuten hat. Das verwirrt die beiden, leider verstehe ich ihre Antwort nicht. Es handelt sich bei dem Gerät um einen Ghettoblaster, gedimmt auf Schmuselautstärke, wohl um die Bewohner der schönen Villen im Hintergrund nicht zu verschrecken. Zu spät bemerke ich, dass jeder ein Glas Rotwein vor sich stehen hat. Das wäre doch auch etwas für mich. Aber so früh am Morgen?

Wir sind im Eilenrieder Stadtpark, der auch viele Spaziergänger und Radler anlockt. Wer befürchtete, wir müssten auf 12 Kilometern nur Grün sehen, wird eines Besseren belehrt: Wir kommen nach Groß-Buchholz, wie eine Dame mit einem Schild auch ankündigt. Da ist aber was los. Man sitzt in großer Zahl vor den Häusern. Noch voller wird es dann an der Staffelwechselstelle. Die Wechselstellen liegen immer abseits des Laufwegs. Man hat Platz, muss halt mit Schluss- und Startspurts zurechtkommen. Immer wieder sieht man hier auch schöne alte Fachwerkgebäude oder Bauernhöfe. Hier soll das älteste Haus Hannovers stehen.

 

 

Über den Mittellandkanal laufend sieht man links eine Windmühle. Wieder eine Straßenbahnallee, genannt Pobielski-Straße. In der Nähe der Halbmarathonmarke muss irgendwo die Wohnung sein, wo ich zu Zeiten der CeBit mal im Kinderzimmer übernachtet habe. Das waren noch Zeiten damals. Hannover im Ausnahmezustand. Die CeBit konnte ich als junger Informatiker einige Male besuchen, mangels Hotelkapazitäten meist im Rahmen eines ausgedehnten Tagesausflugs – oder eben mit Übernachtung in Privatwohnungen. Damals wurde die weltweit größte Messehalle 1 gebaut. In den 1990er Jahren  erwartete man noch, dass die deutsche Softwareindustrie die Autoindustrie als größter Umsatzbringer ablösen würde. Dass daraus nichts wurde, ist definitiv nicht meine Schuld. In Sachen Software für Autos und Motoren sind die Deutschen ja weiter sehr aktiv dabei. Und nach dem jüngsten Software-Update meiner Laufuhr war auch die Batteriequalität wieder um 2%-Punkte besser. Ein Wunder.

Unter dem Dach einer Tankstelle hinter dem Käthe-Kollwitz-Gymnasium eine ziemlich laute Disko-Beschallung. Cool. Dann sind wir wieder am Park. Ein Mitläufer weist seinen Begleiter auf den Lister Turm hin. Ein Wartturm der mittelalterlichen Hannoverschen Landwehr, der gar nicht auf Lister Gebiet steht. Dann queren wir den Park. Hier gibt es Lastenfahrradfahrer, die mit Musik unterwegs sind und uns begleiten. Schließlich kommen wir zum Erlebnis-Zoo zurück.

Bei der nächsten Trommelgruppe, einer unter erfreulich vielen,  laufe ich auf Joyce auf. Die rosarot gekleidete Frohnatur ist anscheinend eine Bloggerin und schießt mit ihrem Handy immer wieder kurze Clips, die in Echtzeit gestreamt werden. 218.000 Follower verzeichnet Joyce und etliche Werbekunden. Mika Timing scheint nicht dabei zu sein. Den Chip sehe ich nicht an ihrem Schuh, daher fehlt auch die Wertung. Hier wird noch der Original Champion-Chip eingesetzt. Meiner ist inzwischen 21 Jahre alt.

 

 

Bei Kilometer 27 an der Raschplatzhochstraße hinter dem Hauptbahnhof treffen wir auf den breiten Strom der Halbmarathonis. Spannender ist aber, dass wir nun in die trendigen Viertel hinter dem Bahnhof eintauchen, die Oststadt und List. Und wer meinte, die Stimmung wäre nicht mehr zu toppen, wird eines besseren belehrt. Das macht mir sehr viel Spaß, wenn es auch an einigen Stellen recht eng wird. Ich halte mich an drei Laufende, mit denen ich schon lange unterwegs war, da ist das Einhalten des Tempos einfacher. Inzwischen scheint eine Jahresbestzeit für mich greifbar. Die 4:30-Pacer vermute ich weit hinter mir.

Ich erlebe den perfekten Stadtmarathon: Man sieht viele schöne Gründerzeitbauten, teilweise alte Fachwerkgebäude und muss nur auf die gelegentlichen Aufpflasterungen aufpassen. Und unzählige Kinder wollen abgeklatscht werden. Bei jungen Herren mit Bierflasche in der Hand ist allerdings Vorsicht geboten. Die nehmen das Abklatschen sehr ernst. Da tut die Hand danach recht weh.

An den Kilometertafeln kann man erkennen, dass der Marathon noch eine Extraschleife benötigt, weshalb wir uns bei Kilometer 32 von den Halbmarathonis trennen. Wieder eine breite Allee, die Vahrenwalder Straße. Sonnenschein, aber die Stimmung hat leider auch etwas nachgelassen. Das ändert sich recht bald wieder. Noch eine quirlige Staffelwechselstelle, dann sind wir bei km 36 wieder mit den Halbmarathonis vereint. Leider überholen mich hier die 4:30- Pacer mit bekanntem Gefolge. Ich bleibe ihnen auf den Fersen, so schwer es mir fällt.

Das Welfenschloss wurde Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem gelb-weißlichen Velpker Sandstein, einem der härtesten Sandsteine Deutschlands, erbaut. Zu fürstlichen Repräsentationszwecken wurde es aufgrund der Annexion des Königreichs Hannover und der Entthronung der Welfen durch Preußen anno 1866 allerdings nicht genutzt und ist seit 1879 Sitz der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität. Die Statue des Sachsenrosses davor ziert das Wappen des Landes Niedersachsen.

Leicht hinab in den Schlosspark, um einige Studentenwohnheime herum. Aha, daher hier auch viele fröhliche junge Leute.

Die Königswörther Brücke über die Leine ist sehr schön gestaltet. Einen Fluss namens Ihme gibt es auch in Hannover, außerdem den schon erwähnten Maschsee und den Mittellandkanal. Alles recht unübersichtlich für den schnellen Marathoni.

 

 

Inzwischen habe ich mir einen sehr kleinen Puffer auf 4:30 erlaufen. Das müsste passen. Am Steckenrand stehen Hinweisschilder zum Staffeltreffpunkt. Noch 1.200 ziemlich gerade Meter. Die Kuppel des Rathauses kennzeichnet das Ziel. Skulpturenmeile heißt das hier. Links daher auch die netten „Nanas“ Sophie, Charlotte und Caroline, benannt nach Kurfürstin Sophie, Charlotte Buff, dem Vorbild der „Lotte“ in Goethes „Werther“-Roman, und der Astronomin Caroline Herschel. Die voluminösen Frauenkörpern nachempfundenen Figuren, 1974  kreiert von der Künstlerin Niki de Saint Phalle und einst sehrumstritten, gehören inzwischen längst zu den begehrtesten Fotomotiven der Stadt.

Dann endlich: Die Staffeln halten sich links. Noch zweihundert Meter, Ich beschleunige, als ich auf einmal fast von einer taschentragenden Staffelläuferin umgerannt werde. Ein Schockmoment.
Und schon laufe ich unter dem Jubel zahlreicher Zuschauer durch den Zielbogen.

Kurz nach mir treffen die führenden 10er ein. Die sind hier doppelt so schnell unterwegs wie die Marathonis.

Die Medaillen sind ökologisch aus Holz. Die 42,2k-Medaille kann man sogar aufstellen. Mir würde eigentlich die Medaille der Halbmarathonis mit Rathaus-Motiv besser gefallen. Ein Angebot zum Tausch lehne ich dann aber doch ab.

Judith und ich trotten schnell weiter, da man die kühlen Temperaturen nun doch deutlich spürt. Die Zielverpflegung hat Haribo-Lakritz, Riegel, Obst und natürlich Erdinger Weißbier zu bieten. Da fährt man als Bayer 600 km, um dann Erdinger aus kleinen Flaschen zu bekommen...

Für mich war der Marathon in Hannover ein fantastisches Erlebnis: Die Stimmung mit Trommelgruppen, DJs und und viel Publikum ist phänomenal. Die Strecke ist flach und ziemlich schnell. Viele VPs mit freundlichen HelferInnen runden den positiven Eindruck ab.

 

Sieger Marathon

1 Petros, Amanal (GER)        2:07:02
2 Chirchir, Denis Kipngeno (KEN)    2:07:17
3 Kibii, Fredrick (KEN)        2:08:09

Siegerinnen Marathon

1 Parlov Kostro, Matea (CRO)    2:25:45
2 Thitu, Pauline Mutwa (KEN)    2:29:25
3 Gesabwa, Risper (MEX)        2:29:49

 
 
 
 
 
 
 
 

Informationen: ADAC Marathon Hannover
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