Meine Freunde sind zäh. Dauernd weisen sie mich auf Defizite hin, die meine Marathon- und Ultrasammlung ihrer Meinung nach aufweist. Es sind die ganz langen Kanten mit mehr als 100 Kilometer und die Stundenläufe. Bisher bin ich nicht schlecht gefahren, wenn ich nach angemessener Zierfrist dem Zureden nachgegeben habe und gebe es heute gar nicht gerne zu, dass man mich zum Jungfrau Marathon genauso überreden musste, wie zu meinem ersten Marathon über mehrere Runden.
Es war also eine Frage der Zeit, wann ich mich zum ersten Stundenlauf einschreibe. Für den Anfang tut’s ja die kleinstmögliche Einheit, ein 6-stündiges Rennen. Und weil es sich terminlich gerade so ergibt, nehme ich den Waldhessenlauf in Rotenburg a. d. Fulda für meine Premiere her.
Das 14.000 Einwohner-Städtchen in Hessens Nordosten liegt ungefähr 50 Kilometer südlich von Kassel und 70 Kilometer nördlich von Fulda und ist über die Autobahnen gut zu erreichen und das Veranstaltungszentrum in der Jugendherberge (Obertor 17) gut zu finden. Parkplätze gibt es ausreichend beim Hallenbad, wo auch die Umkleiden und Duschen sind.
Gleich hinter der Jugendherberge ist der Schlosspark, bereits zum 7. Mal Schauplatz des Waldhessen 6-Stunden-Laufs, liebevoll organisiert vom Marathon-Team um Harald Heyde, praktisch einer privaten Initiative einiger „Laufverrückter“. Man kann also beste Organisation und Betreuung erwarten, zu der in diesem Jahr sogar die Streckenverpflegung zählt. Bisher hatte man aus personellen Gründen darauf verzichtet, zumal es bei der 1.150 Meter langen Runde durch den Park überhaupt kein Problem ist, irgendwo sein persönliches Depot einzurichten. Manche haben trotz der angebotenen, vorzüglichen Verpflegung (Wasser, Tee, Malzbier, Cola, Süßes und Gesalzenes, Bananen usw.), darauf nicht verzichtet und an manchen Plätzen sah es aus, wie auf einem Campingplatz.
Die Startliste ist wegen Erreichen des Limits bereits geschlossen, als ich mich zum Lauf anmelde. „So viele wollten noch nie dabei sein,“ heißt es und man setzt mich auf die Warteliste. Kurz vor der Veranstaltung bekomme ich dann Grünes Licht: „Du kannst kommen.“
Ich freue mich, weil in der Starterliste jede Menge Bekannte verzeichnet sind und weil die Skepsis der Neugier gewichen ist. Nach einem gemütlichen Kaffee in der Jugendherberge geht es zum Startplatz in den Schlosspark, wo nicht weit von einander die Verpflegungsstelle und die Zählstation (ganz zeitgemäß mit Computer) eingerichtet sind. Bevorzugt in diesem Bereich richten die „Stunden-Lauf-Profis“ ihre persönlichen Depots ein, teilweise bringen sie sogar eigenes „Personal“ mit.
Von Hektik oder Aufregung ist hier überhaupt keine Spur. Wozu auch? Es geht nicht darum, möglichst schnell eine bestimmte Distanz abzuspulen, es geht darum, 6 Stunden zu laufen und dabei möglichst viele Kilometer zu schaffen.
Als um 10.00 Uhr das Signal ertönt, geht es los. Der Himmel ist bedeckt, aber es regnet nicht, die Temperaturen werden sich im Laufe des Tages bei 10 Grad einpendeln, Wind ist im Park kaum spürbar, man nennt das ideale Bedingungen. Die Bäume zeigen erste Knospen, auf den Rasenflächen blüht der Frühling. Nach ein paar Kurven laufen wir der bis an den Rand gefüllten Fulda entlang und nehmen die kurze, gepflasterte Rampe hinauf zum Schlosshof locker und leicht. Geradeaus geht es zur Verpflegungsstelle und zur Zählstation, wo man keine Mühe hat, die Läuferinnen und Läufer zu erfassen.
Die Strecke ist schön und abwechslungsreich, keine Frage, aber wie sieht das nach 44 Runden aus? Soviel will ich laufen, das sind dann gut 50 Kilometer. Während man bei einem Marathon mit weniger als 100 Teilnehmern ein einsames Rennen über mehrere Stunden läuft, weiß ich hier bald nicht mehr, wer ist hinter und wer ist vor mit? Man ist halt mitten drin.
Wenn es einem Marathon-Neuling ausschließlich darum geht, 42 Kilometer zu laufen, kommt er an einer solchen Veranstaltung nicht vorbei. Wo sonst findet er immer nach gut einem Kilometer eine gut bestückte Verpflegungsstelle? Statt einsam und zunehmend mit Frust dem Feld hinterher zu hecheln, läuft er in ständig wechselnden Gruppen, wird überholt und überholt auch selbst, macht bei Bedarf ein Päuschen, ohne dass ihm das Feld enteilt und nimmt obendrein an einem spannenden Rennverlauf teil, von dem er sonst überhaupt nichts mitkriegt. Einfach genial, nicht nur für Einsteiger. Und von Langeweile keine Spur.
Ich zähle weder meine Runden, noch weiß ich, zum wievielten Mal mich Peter Wahl (wird Erster), Peter Vickus (2. Platz), Jan Otto (3. Platz) und Jens Vieler (4. Platz) überholen. Ich sehe, wie die spätere Siegerin Cornelia Heinze Runde um Runde abspult und frage sie, ob sie eine Uhr verschluckt hat. Rita Schmieding hat mit ihren Riesenschritten im letzten Jahr gewonnen, diesmal sollen es „nur“ 60 stramme Trainingskilometer werden. Die kleine Birgit Bruder (wird Dritte) hätte ich fast übersehen, aber sie läuft mit Norbert Ebbert und der ist deutlich größer – aber nicht schneller, weshalb es bald vorbei ist mit der Laufgemeinschaft. Andrea Fiehring hält sich aus allem raus, läuft ihr Tempo und wird am Ende Zweite.
Kurz bevor man am Schloss die Rampe hoch läuft, hat man einen schönen Blick auf die Fachwerkhäuser an der Fulda. 218 Kilometer ist der Fluss unterwegs, bis er bei Hann. Münden zusammen mit der Werra die Weser bildet, die dann in die Nordsee fließt.
Das Schloss wurde zwischen 1571 und 1607 vom Landgraf Wilhelm IV. und dessen Sohn Moritz von Hessen-Kassel im Renaissancestil neu gebaut, nachdem der erste Bau von 1470 nur 8 Jahre nach seiner Fertigstellung einem Stadtbrand zum Opfer fiel. Heute gehört das Schloss dem Land Hessen, das hier seine Finanzbeamten ausbildet.
Kurz nach dem Schloss hat man eine Markierung angebracht: „Marathon 42,195 km“ ist zu lesen. Wenn man auf seiner 37. Runde diese Stelle passiert, hat man also den Marathon geschafft. Aus äusseres Zeichen bekommt jeder zu dieser Ehrenrunde ein auffallendes Fähnchen mit entsprechender Aufschrift und nicht selten Applaus von seinen Mitstreitern.
Noch sieben Runden, und ich habe die 50 km-Schallmauer überschritten. Ich will zählen, gebe es aber auf. Ich habe mich verkabelt und höre Musik, weil ich das Lied der Vögel im Park schon auswendig kann. Die Beine tun weh und die „kurze, gepflasterte Rampe hinauf zum Schlosshof“ wird immer steiler. Ich bin an die Moräne beim Jungfrau Marathon erinnert …
Zehn Minuten vor 16.00 Uhr bin ich an der Zählstelle und bekomme wieder ein Fähnchen, diesmal mit meiner Startnummer versehen. Wenn die Schluss-Sirene ertönt, muss jeder sein Fähnchen dort, wo er gerade ist, in den Boden stecken. Dann kommt der große Meister mit dem Messrad, sammelt die Dinger ein und ermittelt die gelaufen „Restmeter“. Rundenzahl mal Rundenlänge plus Restmeter ergeben dann die gelaufene Gesamtdistanz.
Ich komme an meinem Verpflegungsdepot vorbei und überlege einen Moment, nicht weiter zu laufen. Da ich aber nicht gezählt habe und weiß, dass es mit den 50 km eine enge Kiste werden wird, laufe ich weiter.
Fast schaffe ich noch die gesamte Runde, dann ertönt das ersehnte Signal – aus, Schluss, für alle, nicht nur für die Schnellen, 6 Stunden sind um. Ich stecke das Fähnchen in den Boden und sammle wie alle anderen meine Klamotten ein. Beim Rundenzähler schaue ich in die Ergebnisliste und kriege einen gewaltigen Schreck: Startnummer 52 - Klaus Duwe - 49,450 Kilometer, muss ich lesen.
„Verdammte Scheiße“, kann ich da nur sagen.
„Kann ich helfen?“, fragt mich der Oberzähler.
„Da, schau, mir ist nicht zu helfen.“ Ich zeige auf mein Ergebnis.
„Da kommt jetzt noch deine letzte, angefressene Runde dazu, reicht es dann?“
Das reicht, das weiß ich. Bin ich froh, dass ich weiter gelaufen bin.
Keiner geht heim. Nach dem Duschen versammelt man sich in der Jugendherberge, wo es für alle Läuferinnen und Läufer ein Buffet mit Suppe, Nudeln, Salat und Dessert gibt (im Startgeld enthalten), anregende Fachgespräche inklusive.
Ich schleppe seit Samstag ein Vorurteil weniger mit mir rum und kann dafür über ein tolles Lauferlebnis mehr berichten – und das nächste Mal dürfen es gerne 12 Stunden sein …
Rundkurs 1,150 km, sehr schön und abwechslungsreich
17 Euro (inklusive Abschluss-Buffet)
Alles in der Nähe, keine langen Wege
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Wasser, Tee und Cola, Malzbier, Süßes und Gesalzenes, Bananen, Riegel
Musst du selber mitbringen
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25.03.07 | 6 Stunden durch den Schloßpark |