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Am Start waren es bereits 24°C - und das am 15. April. Das bedeutet: Wärmster Tag im April seit der Wetteraufzeichnung und natürlich in der 27jährigen Geschichte des Rotterdam Marathons. Doch die 12000 Läufer wollen an diesem Tag nicht am Strand oder an einem der vielen Wassergräben liegen und das schöne Wetter genießen. Nein, wir stehen um 10:30 Uhr auf der langen Hauptstraße hinter einem großen, mit einem Wasserspiel versehenen Kreisverkehr, um 42,195 km durch Rotterdam zu laufen. Im Startblock werden Wasserflaschen an uns schwitzende Läufer verteilt. Man sieht Läufer aus ganz Europa. Mit bunten Fahnen angereist sind Schweizer, Belgier und viele Läufer aus Deutschland. Die Stimmung ist trotz dieser äußeren Bedingungen gut.
Der Startbereich ist, wie bei Läufen dieser Größe üblich, in verschiedene nach Bestzeiten geordnete Bereiche sortiert. Schön, dass die Niederländer hier wirklich gut organisiert darauf achten, dass die Bereiche auch nur von Läufern der gleichen Stärke gefüllt werden. In meinem Bereich befinden sich die Läufer, die länger als 03:15h brauchen. Meine Bestzeit liegt zwar drunter, aber bei diesem Wetter werde ich nicht annähernd an diese Zeit herankommen.
Um mich herum sind nur Läufer, die ihre Bestzeitambitionen ad acta gelegt haben. Sie nehmen sich vor, nur ankommen zu wollen, so wie es der Veranstalter am Vorabend auf der Internetseite gepredigt hat. Nach einem stimmungsvollen, live gesungenen „You´ll never walk alone“ wird um Punkt 11 Uhr durch einen Kanonenschuss die Masse in Bewegung gesetzt.
Die Strecke ist gesäumt von Menschen. Eine Atmosphäre, wie ich sie so nur vom Berlin Marathon kenne. Nach kurzer Zeit laufen wir über eine riesige Brücke. Beide Straßenseiten voll mit Läufern. Unter uns: Feuerwehrschiffe mit ihren Wasserfontänen. Das ist es, was einen Citymarathon ausmacht: Atmosphäre pur, Größe, Stimmung, Publikum und die Masse Läufer. Mit Gänsehaut laufe ich durch Straßenschluchten der Stadt mit den Bürotürmen.
Die Temperaturen steigen ununterbrochen. Alle 5 km gibt es an den Getränkestellen Wasser, Energiegetränke sowie Tee. Eine nette Idee sind die Schwammeinsätze in den Getränkebechern. Diese stecken im oberen Bereich des Bechers und verhindern so das überschwappen des Getränkes beim Laufen. Leider erwärmt sich unter dem Schwammeinsatz das Wasser so stark, dass es zu warm zum Trinken wird. Ich bleibe ab KM 10 an jeder Getränkestation stehen und trinke in Ruhe. Zusätzlich zu den regulären Verpflegungsstellen sind noch weitere kurzfristig eingerichtet worden.
Die Strecke verläuft auch durch relativ unscheinbare Stadtgegenden. Hat Berlin den Ruf einer Sightseeing-Tour zu den schönsten Plätzen der Stadt, so läuft man in Rotterdam eher durch nicht besonders schöne Gegenden. Wohnhäuser, Bürogebäude und Firmengelände wechseln sich ab. Hier geht es wohl mehr um Bestzeiten, die bei normalen Wetterbedingungen auch perfekt möglich sind. Die Strecke ist flach, ausgenommen die zwei Brücken, nicht zu eckig und von vielen Zuschauern gesäumt.
Heute jedoch ist alles anders. Bei Kilometer 20 sieht man die ersten, eigentlich unter 3h Läufer wandernd auf der Strecke. Total erschöpft versuchen sie, sich durch diese Zwischenpausen zu regenerieren. An den Verpflegungstellen bilden sich lange Schlangen, da die Becher nicht schnell genug von den Helfern gefüllt werden. Wasserschläuche von Zuschauern werden dankend als „kalte Dusche“ angenommen. Meine Halbmarathonzeit von 01:55h ist die „schlechteste“ meiner Laufkarriere. Aber das ist mir heute wirklich egal. Ich schaue schon lange nicht mehr auf die Uhr und laufe zurück Richtung Startbrücke. Das ist übrigens schön an der Strecke: Sie verläuft wie eine Acht. So können die Zuschauer, die Position im Startbereich bezogen haben, die Läufer in der Nähe insgesamt dreimal sehen.
Der Weg über die Brücke stellt für viele Teilnehmer eine zu hohe Herausforderung dar. In langen Schlangen gehen sie im Marsch über die Brücke. Mir geht es zu diesem Zeitpunkt noch relativ gut, obwohl auch ich mich über jede kühle Erfrischung freue. Zuschauer, so weit das Auge reicht!
Der Weg führt nun auf einer breiten Straße in Richtung eines weiteren Außenbezirks. Auf der gleichen Straße geht es nachher auch zurück Richtung Ziel. Ich erreiche das Kilometer-30-Schild und kann, getrennt durch Absperrgitter, die Läufer sehen, die bereits bei Kilometer 40 sind. Nach dieser Begegnung führt die Strecke, die sonst nur sehr wenig Schatten geboten hat, durch ein kleines Waldstück. Hier kann man wenigsten etwas kühlere Luft einatmen. Es geht weiter durch Wohnviertel, wo uns die Anwohner mit Gartenschläuchen abkühlen. Die Stimmung unter den Zuschauern ist super. Lauthals singen sie, schunkeln, klatschen und sprechen uns Mut zu.
Doch dann das Unerwartete: In einer Kurve kurz vor Kilometer 34 versperren auf einmal Polizisten die Strecke. Ich verstehe nicht, was los ist. Da ich der Niederländischen Sprache nicht mächtig bin, frage ich einen Läufer, was hier los ist. Er berichtet mir vom Abbruch des Rennens. In Englisch erzählt mir ein Polizist, dass bis zu diesem Zeitpunkt schon 33 Personen kollabiert sind und ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Dazu kommen noch die Personen, die von Sanitätern an den Straßenrändern behandelt werden. Wir sollen uns alle gehend in Richtung Ziel bewegen.
Da ich mich körperlich noch nicht so schlecht fühle, entscheide ich mich, langsam trabend die letzten Kilometer zu bewältigen. Immer wieder sagen die Ordner nun an der Strecke, dass das Rennen abgebrochen ist. Je näher ich dem Ziel komme, umso öfter höre ich die Sirenen der Krankenwagen. Sehr schade, dass das Wetter der Veranstaltung einen solchen Streich spielt. Auf die Stimmung der Zuschauern hat das keinen Einfluss. Sie feiern den Marathon und sich selbst. Der letzte Kilometer des Laufs führt wieder auf eine breite Straße und ist leicht abschüssig.
Gänsehautatmosphäre pur. Im Ziel angekommen, bekomme ich noch meine Medaille und eine exotische Zielverpflegung. Ananas und Honigmelone wurden mir bis jetzt noch nie serviert. Leider geht es sehr vielen Marathonis hier nicht sehr gut. Das große Sanitäterzelt ist gesäumt von Läufern, die sich, durch die Hitze entkräftet, behandeln lassen müssen. Ich gehe zügig durch den Zielbereich und sehe, wie der Brunnen vor dem Startbereich von vielen als Pool genutzt wird.
Alles in Allem kann man dem Veranstalter nur ein Lob aussprechen. Dass die Strecke flach und damit schnell ist, war mir vorher klar. Jedoch konnte ich mir nicht vorstellen, dass man hier so viele Zuschauer für den Marathon begeistern kann. Es ist sehr wohl möglich, dass die Zuschauerzahlen in Berlin noch größer gewesen sind. Jedoch ist die Stimmung und damit die gefühlte Zuschauerzahl hier noch viel größer. Mutig und richtig finde ich auch die Entscheidung, das Rennen abzubrechen. Wenn die Bedingungen so sind, dass eine Gefahr für die Sportler besteht, muss ein Veranstalter handeln. Bestzeiten konnten an diesem Tag sowieso nicht gelaufen werden.
1. Joshua Chelanga, Kenia, 02:08:21h
2. Takayuki Matsumiya, Japan, 02:10:04h
3. William Kipsang, Kenia, 02:11:04h
1. Hiromi Ominami, Japan, 02:26:37h
2. Helena Kiprop Loshanvang, Kenia, 02:30:11
3. Alevtina Biktimirova, Russland, 02:31:02