Wie so häufig, liegen wahre Schätze oft im Verborgenen. Da das bekannte Angebot am Jahresanfang noch nicht so riesig ist, durchforste ich das Internet und werde in nicht allzu weiter Ferne fündig: Zwölfte Ausgabe des Quasselultramarathons. Wie bitte?
Da gibt es in Euskirchen (Eifel) einen netten Menschen, Andreas Butz mit Namen, Leistungsdiagnostiker von Profession und Langstreckler mit Hingabe. Drei mal im Jahr startet er mit Gleichgesinnten zu einem Marathon-Landschaftslauf, zweimal über 43,55 km mit 870 Höhenmetern und ein mal als XL-Version über 54 km, dann aber mit 1.100 HM. Auch Teiletappen können gelaufen werden. Das Ganze ist ein Freundschaftslauf, man läuft in der Gruppe, Wettkampf findet woanders statt. Die Truppe ist in der Regel um die 20-40 Personen stark (dabei viele Wiederholungstäter), die als Voraussetzung einen Flachmarathon deutlich unter 4 Stunden laufen können sollten. Ein 6er Schnitt ist damit angesagt, 5:30 bergab und 7:00 bergauf. 4:30 Stunden beträgt die geplante Laufzeit. Nicht ganz ohne also, zumindest für mich.
Decke Tönnes? Für Nicht-Rheinländer: der dicke Anton. Nein, das ist durchaus keine Hommage an den m4y-Autor Anton Lautner, denn der ist rank und schlank. Gemeint ist vielmehr der Eremit St. Antonius, dem zu Ehren eine Wallfahrtskapelle erbaut wurde, die im Verlauf der Strecke angesteuert wird und Namensgeberin des Marathons ist. Dazu später mehr.
Nach 62 km Anfahrt komme ich gegen 10.50 Uhr bei Andreas an. Euskirchen, Stadt seit 1302, ist seit 1827 Kreisstadt des gleichnamigen Kreises mit heute 55.000 Einwohnern. Andreas wohnt in der Südstadt, gehobenes Wohngebiet, wie es heißt und die freundliche Bebauung auch beweist.
Andreas bei der Befehlsausgabe
Andreas bei der Befehlsausgabe
Da ich auf den letzten Drücker ankomme, geht es auch gleich medias in res. Andreas begrüßt uns und stellt einige Teilnehmer/innen vor. O je, wo bin ich hier hingeraten! Gesamtvierte am Rennsteig die eine und noch andere Kaliber, da wird mir ganz anders. Ob ich mich richtig entschieden habe? Es sei schon jetzt gesagt: und wie ich mich richtig entschieden habe! Andreas hat sich leider einen Infekt eingefangen und kann nach 11 Teilnahmen zum ersten mal nicht mitlaufen. Was aber kein Problem darstellt, da die meisten zum wiederholten Mal dabei sind und Johannes die Strecke gut kennt.
Los geht es um kurz nach 11 Uhr, nachdem jeder seinen Obulus (zwischen 2 und 5 Euro waren für einen guten Zweck erwünscht, ich habe nur Scheine gesehen) entrichtet hatte. Andreas und seine Frau hatten freundlicherweise sogar noch Wasser beim Start ausgegeben und dermaßen gutgelaunt werden die ersten Kilometer unter die Füße genommen. A propos gute Laune: am Himmel ist kein einziges Wölkchen zu entdecken, die Starttemperatur liegt bestimmt um die 10 °, kurz: es ist ein Wetter zum Helden zeugen!
Die ersten Kilometer führen vornehmlich über Feldwege und bei allgemeinem Gequassel ist Kloster Maria Rast schnell erreicht, genau so wie kurze Zeit später die erste Zwischenstation Parkplatz Rothberg bei Kilometer 8,7. Hier sind es noch 34,8 Kilometer bis zum Ziel. Der Parkplatz liegt an der K 44 zwischen Iversheim und Wachendorf. Hier kann ich meine Mitläufer auch mal in Ruhe beäugen. Zwei angehende Wüstenläufer (Marathon des Sables), Claudia und Tim, nutzen die Gelegenheit, das Laufen mit voller Ausrüstung zu trainieren. Wie wichtig das ist, zeigt sich bei Tim, dem netten Sohn meiner ebensolchen Arbeitskollegen Carla und Fritz: ihn drückt das Shirt unter den Rucksackträgern und ist insofern unbrauchbar. Was sind das für Experten, die hier Nähte einziehen? Das folgende angekündigte Radioteleskop übersehe ich leider, dafür aber nicht den eindrucksvollen Steinbruch, der auch ganz schnell auf Platte gebannt wird.
Bei herrlichstem Sonnenschein wird Eicherscheid durchquert und schon ist mit dem Parkplatz Hirnberg an der L 206 zwischen Bad Münstereifel und Nöthen die Zwischenstation 2 erreicht. Hier liegt Kilometer 16,5 und es sind noch 27,0 Kilometer bis zum Ziel. Mir wird mal wieder bewusst, welche Gnade es bedeutet, eine solche Strecke problemlos bei bester Gesundheit laufen zu können. Uns geht’s wahrlich gut!
Nach einem längeren Bergabstück ist auf dem Parkplatz Bodenbachtal Kilometer 20,3 erreicht - noch 23,2 Kilometer bis zum Ziel. Hier bewundern wir Angler bei der Ausübung ihres Sports (?). Ich frage mich nicht zum ersten Mal, was absolute Bewegungslosigkeit mit Sport zu tun haben soll. Aber jedem Tierchen sein Pläsierchen. Mir mein Bierchen, müsste hier normalerweise kommen, aber dieses ist leider noch weit entfernt...
Da, endlich erblicke ich ein Hinweisschild, demzufolge wir nur noch 2 km zum Decke Tönnes zu laufen haben. Die haben es aber absolut in sich, eine lange, lange Steigung reißt das Läuferfeld weit auseinander. Von Gequassel keine Spur mehr. Ich liebe das Bergauflaufen und ziehe ordentlich an. Ein kleines Waldstück müssen wir querfeldein nehmen, aber Joachim, unser Frontmann, steht an den sensiblen Punkten und führt uns auf den rechten Weg.
An der Kapelle Decke Tönnes, die wir endlich bei Kilometer 23,8 erreichen, – es sind noch 19,7 Kilometer bis zum Ziel – erwartet uns eine angenehme Überraschung. Andreas hatte zwar gesagt, daß hier die Möglichkeit bestünde, Wasser zu fassen, aber daß er hier persönlich mit seiner Frau stehen und gutes Gerolsteiner Still aus dem eigenen Vorrat ausgeben würde, erfreut mich doch sehr. Ich denke, spätestens hier ist es an der Zeit, mal ein Wort zu der Veranstaltung an sich zu verlieren.
Es kann nicht hoch genug gelobt werden, daß jemand seine Freizeit opfert, um ein paar Laufkollegen seine wunderschöne Wahlheimat zu präsentieren. Der Lauf steht etablierten Landschaftsläufen wirklich in nichts nach und daß man seine Verpflegung selber mitbringen und –schleppen muß, kann erstens jedem zugemutet werden und ist zweitens Etappenläufern ohnehin vertraut. Schön, daß es noch selbstlose Leute gibt, die einem unentgeltlich solche Lauferlebnisse bescheren.
Und noch etwas: als äußerst angenehm wie gleichermaßen erstaunlich empfinde ich es, daß Andreas mit keinem Wort auf seinen Beruf als Leistungsdiagnostiker eingeht. Hier läuft ja seine Klientel, die sich für Werbung geradezu aufdrängt! Ein netter und bescheidener Bursche, der Andreas.
Die Kapelle Decke Tönnes ist ein viel besuchter Wallfahrtsort im Kreisdekanat Euskirchen, Erzbistum Köln. Verehrt wird der Eremit St. Antonius. Antonius wird heute als Schützer des Waldes und der Tiere geachtet. Täglich halten viele Wanderer, Läufer und Autofahrer an seiner Kapelle inne. Früher stand der »Decke Tönnes« im Freien. Um 1900 erhielt er »ein Dach über den Kopf«. Wind und Wetter hatten ihm in den vergangenen Jahrhunderten doch so zugesetzt, daß man diese überlebensgroße Statue (deshalb »Decke Tönnes«) zu einem Restaurator gab. Der stellte fest, daß diese Statue des Hl. Antonius von Ägypten sehr wahrscheinlich aus dem Kloster Steinfeld, welches bei Kall liegt, stammt. Die Statue ist künstlerisch herausragend gearbeitet, wie alles, was die Handschrift der Steinfelder Meister trägt.
Zum Decke Tönnes – manchmal auch Dicke Tönnes genannt - werden viele unterhaltsame Geschichten und Sagen erzählt. Er war Helfer gegen Hautkrankheiten, wird oft als Schweinehirt dargestellt und dient heute als Schutzpatron des Waldes und der Autofahrer. Sicher freut sich im Himmel Antonius darüber, dass wir Ausdauersportler ihn auch als Patron der Waldläufer verehren und er 2005 Namensgeber für diesen Marathon geworden ist.
Andreas meint, daß jedenfalls einmal im Leben jeder Marathon- und Ultraläufer zum Decke Tönnes gelaufen sein muß. Dies kann ich bereits zum jetzigen Zeitpunkt nur nachhaltig unterstreichen und zum Mitlaufen auffordern.
Endlich geht es weiter, nachdem wir auf die letzten Läufer (langer Anstieg!) doch etliche Zeit warten mussten. Einerseits ist solch ein Päuschen ja mal ganz nett, andererseits aber bin ich im Zweifelsfall doch eher für’s Durchlaufen, denn das Wiederanlaufen fällt mir recht schwer und der nächste Kilometer wird mit teilweise etwas schmerzverzerrtem Gesicht zurückgelegt. Dies ändert sich aber bald wieder. Es geht nämlich teilweise stramm bergab. Hatten wir mit rund 500 HM den höchsten Punkt der Strecke erreicht, verlieren wir auf den nächsten 6 km etwa 230 HM. Die vorderen Läufer legen jetzt ein sehr flottes Tempo vor, das die Gruppe erneut weit auseinanderreißt. Ich versuche, so gut es geht, mitzuhalten, merke aber, daß mir das an die Substanz geht.
Wir erreichen am Parkplatz Steinbachtalsperre Kilometer 31,8 - noch 11,7 Kilometer bis zum Ziel. Hier überraschen mich Tims Eltern, die uns mit Wasser und hochwillkommenen KitKat-Riegeln verwöhnen. Beide sind regionale Langlaufikonen und wissen, was der heldenhafte Langstreckler in der Ausübung seiner Tätigkeit liebt. Ich habe es sonst gar nicht mit Süßigkeiten (für manche ist das beneidenswert, ich weiß!), aber in diesem Sonderfall ist Süßes sehr willkommen. Leider ergibt sich keine Gelegenheit, den Steinbachsee zu fotografieren. Hier verabschieden wir uns von einigen Mitläufern und schrumpfen auf exakt ein Dutzend Aktive zusammen.
Ich laufe jetzt einige Km zusammen mit Claudia, der zweiten Wüstennovizin und ich bringe mein angelesenes und angesehenes (Filme) über den Marathon des Sables an. Ja, dort sind 3000 € Startgebühr zu berappen. Ohne Verpflegung während des Rennens, wohlgemerkt! Das ist viel, sollte man meinen. Wenn man aber mal den Riesentross gesehen hat, der zur Organisation nötig ist – selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die marokkanischen Helfer nicht sehr viel dabei verdienen werden – muß man sich wundern, daß sich das rechnet. Jeden Tag Auf- und Abbau einer Kleinstadt, mobile Müllverbrennungsanlage, Hubschrauberunterstützung... Claudia meint, man müsste alles in allem schon 5000 € einkalkulieren. Da sind wir heute schon billiger dran!
Die Hardtburg, ein ehemaliges Wasserschloß, ist unser nächstes Zwischenziel. Seit dem 18. Jahrhundert ruinös, wird es seit 1965 wieder aufgebaut und ist frei zugänglich. Schade, daß wir es nicht umrunden, denn ein Rundweg ist ausgewiesen (Tip für’s nächste mal, Andreas!). Einen tollen Blick auf den unter uns liegenden Ort Kreuzweingarten haben wir vom Kreuzdenkmal aus, einem überdimensionalen weißen Kreuz, das von einigen auch gleich zum Verschnaufen genutzt wird. Nach der Durchquerung von Kreuzweingarten schließt sich unser Rundweg, denn die letzten ca. 4 km sind mit den ersten identisch. Schön, daß Joachim uns noch den Römerkanal zeigt, ein Stück der ehemaligen römischen Wasserleitung, die seinerzeit Köln mit Frischwasser versorgte und ca. 190 Jahre lang in Betrieb war.
Schau mal, so hoch kann ich laufen
Schau mal, so hoch kann ich laufen
Nach viereinhalb Stunden Laufzeit und ausgiebigem Gequassel sind wir wieder bei Andreas angekommen, der hofft, daß sein heutiger Ausfall die Ausnahme bleiben möge. Wir bedanken uns herzlich bei ihm und haben bei göttlichem Wetter einen anspruchsvollen Marathonlauf absolviert, der jedem wirklich nur wärmstens an Herz gelegt werden kann. Wo kann man denn heute noch geführt und für „lau“ eine solch tolle Strecke in unbekanntem Terrain zurücklegen? Selbst schuld, wer diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen lässt.
Übrigens: auch Jens Vieler und Robert Wimmer (Sieger des 1. Trans-Europa-Laufs von Lissabon nach Moskau 2003 über 5.036 km in 64 Tagesetappen) haben sich in die Teilnehmerliste eingetragen. Also: auf nach Euskirchen! Am 26. April startet wieder die XL-Version über 54 km. Und an Claudia und Tim: viel Spaß und Erfolg in der Wüste!
Streckenbeschreibung
Anspruchsvoller Rundkurs mit zahlreichen Steigungen und Gefällen auf teilweise schwierigen Wegen, rund 870 Höhenmeter. 90% Forst-, Wald- und Feldwege.
Auszeichnung
Urkunde aus dem Internet
Verpflegung
Keine, jeder Teilnehmer ist für die Ver- und Entsorgung selbst zuständig. Bei diesem Lauf Wasserversorgung beim km 23,7.
Logistik
Keine
Kostenbeitrag
Keiner, es wird aber um eine Spende von 2-5 € gebeten, die zu 90% zugunsten der Sportförderung behinderter Kinder und zu 10% zum Erhalt der Kapelle Decke Tönnes weitergereicht wird.
Informationen: Decke Tönnes