Der Schwarzwald ist Deutschlands höchstes und größtes zusammenhängendes Mittelgebirge, die wichtigste Tourismusregion von Baden-Württemberg und auch bei Besuchern aus dem Ausland sehr beliebt, wie die vielen Autokennzeichen u.a. aus den Niederlanden und Großbritannien zeigen. Bergbau, Forstwirtschaft, Glasherstellung, Feinwerktechnik, Holzschnitzerei sowie die Nutzung der Wasserkraft präg(t)en das Gebiet zwischen Oberrheinischer Tiefebene im Westen, Klettgau im Osten, Kraichgau im Norden und Hochrhein im Süden. Wandern im Sommer und Skifahren im Winter ist für die Besucher angesagt.
Als malerische Kulisse diente das meistbesuchte Urlaubsziel unter den deutschen Mittelgebirgen u.a. für die Verfilmung der Operette „Schwarzwaldmädel“ und die Fernsehserie „Schwarzwaldklinik“. Den „Bollenhut“ als Bestandteil der Tracht, Kirschtorte und Schinken sowie das Kirschwasser verbindet man mit dem Schwarzwald ebenso wie die weltberühmte Kuckucksuhr. Am oberen nördlichen Ende unweit von Baden-Baden liegt die Hornisgrinde (1163 m), zu deren Füßen ein Klassiker der deutschen Marathongeschichte dieses Jahr zum 43. Mal ausgetragen wird.
Da müssen wir natürlich auch mal hin, so wie viele andere Läufer vor allem aus den „Senioren“-Altersklassen, die hier das Gros der Teilnehmer stellen und oft mehrfache „Wiederholungstäter“ sind. Auf die Frage nach der Unterlagenausgabe wird uns sofort erklärt, dass heuer einiges anders ist als im vergangenen Jahr. So befindet sich die Anmeldung diesmal in der Skihütte am unteren Ende einer Piste. Also erst ein Stück abwärts kraxeln und sich dabei die bange Frage stellen, ob man nicht besser die Trailschuhe mitgenommen hätte... Bei der Hütte bekommen wir die Startnummern, als Geschenk wahlweise eine hochwertige Kappe oder ein Stirnband und - endlich, es ist sieben Uhr früh – einen Kaffee.
Der Start liegt wie immer oben beim Hundseck, wo es auch genügend Parkmöglichkeiten gibt (ein zweiter Parkplatz befindet sich ein paar Meter weiter oben). Inzwischen tröpfelt es ein bisschen und ich bilde mir ein, einen Blitz gesehen zu haben. Hoffentlich geraten wir nicht in ein Gewitter!
Los geht’s Punkt 8 Uhr in Richtung Norden, oberhalb der Schwarzwaldhochstraße. Auf einer Forststraße beginnen wir uns zu sortieren. Schon einen Kilometer weiter sind wir in Sand, wo es neben einigen Liften auch eine Bobbahn mit ganzjährigem Betrieb gibt. Im Hotel Sand dinierte einst Österreichs Kaiserin Sisi. Es gehört zu einer Reihe sogenannter Höhenhotels, die durch die Schwarzwaldhochstraße seit den 1930er Jahren verbunden wurden. Die Route beginnt in Baden-Baden, um dann ab der Bühlerhöhe mit dem gleichnamigen – derzeit leerstehenden - Hotel auf 800 bis 1000 Metern durch den Schwarzwald Richtung Freudenstadt zu führen.
Von der Bühlerhöhe sehen wir leider nichts, wir drehen am Plättig-Hotel nach Osten ab. Eine kleine Kapelle beendet den Ausflug in die Zivilisation. Wir sind im Nationalpark Schwarzwald, der als erster Nationalpark Baden-Württembergs am 1.1.2014 gegründet wurde. Er besteht aus zwei getrennten Teilen, dessen nördlichen Teil wir heute kennen lernen werden. Wir werden den Ochsenkopf, den Mehliskopf, den Seekopf, die Badener-Höhe, den Nägeliskopf und den Eierkuchenberg umrunden. Der höchste Berg des nördlichen Schwarzwalds, die Hornisgrinde als Namensgeberin des Marathons, liegt einige Kilometer weiter im Süden.
Die Vegetation ist sehr vielfältig und grün. Die erwarteten Fichtenmonokulturen sind immer wieder mit lichten Flächen durchsetzt, in denen sich eine Vielzahl von Laubbäumen und Sträuchern angesiedelt hat. Das Orkantief „Lothar“ hat im Jahr 1999 ziemlichen Schaden angerichtet. An den lichteren Stellen kann man links den Blick auf die Rheinebene schweifen lassen. Im Dunst sind Ortschaften zu erkennen, bei guter Wetterlage reicht die Aussicht sogar bis zu den Vogesen. Heute jedoch nicht, denn ein ordentlicher Schauer bricht über uns herein. Der Weg besteht hier zeitweise aus zerbröckelnden Betonplatten. Ein Mitläufer vermutet einen militärischen Hintergrund aus dem letzten Jahrhundert. Hübsche Regenschutzhütten stehen am Wegesrand. Zufällig sehe ich rechts einen Stein mit der Aufschrift „F.A.D. Notjahr 1932“: Der „Freiwillige Arbeitsdienst“ wurde in der Weimarer Republik gegründet, um Arbeitslose für gemeinnützige Aufgaben einzusetzen.
Viele Wege durchziehen den Wald, Schilder des Sponsors Schöck weisen uns die richtige Richtung. Auch die km-Angaben sind vorbildlich. Der mittelständische Bauzulieferer aus Baden-Baden unterstützt die Veranstaltung als Hauptsponsor und auch viele Angestellte laufen die verschiedenen Distanzen mit. Schöcks Engagement trägt sicher zum wirtschaftlichen Überleben des Marathons bei.
An der Verpflegungsstelle beim Scherrhof (km 11) treffen wir noch einmal auf eine Teerstraße. Hier liegt auch einer der Tiefpunkte der Strecke: Wenigstens vermessungstechnisch sind wir unterhalb von 700 Höhenmetern angekommen, haben also schon über 200 Meter abwärts zurückgelegt. Und die gilt es nun teilweise zurückzuerobern. Keine zwei Kilometer weiter werden wir auf einen wunderschönen Pfad geleitet. Zwischen feuchten Farnen geht es dahin. Ich liebe diese Stimmung, die fast schon an einen tropischen Urwald erinnert. Nur die Geräusche der Tiere fehlen. Durch die Ableitung sparen wir uns auch einige Höhenmeter. Die Straße taucht nach unten ab, um nach einiger Zeit wieder auf unsere Höhe aufzuschließen.
Schon seit geraumer Zeit wurde immer wieder die „Rote Lache“ angekündigt. Jetzt zeigen die Wegweiser zurück. Die „Rote Lache“ ist eine Passhöhe (690 m) mit Höhenhotel, von der ich leider nichts gesehen habe. Dafür bieten sich einige schöne Ausblicke in das Murgtal, wo auch eine Eisenbahnlinie existiert, auf der seit einigen Jahren eine S-Bahn von Karlsruhe nach Freudenstadt verkehrt. Und ein „kleines Matterhorn“ soll es hier geben.
Inzwischen hat sich das Teilnehmerfeld ziemlich auseinandergezogen. Trotzdem kann man besonders auf geraden Laufstücken noch einige Mitstreiter erkennen und auch immer mal wieder einen „einsammeln“ oder selber überholt werden. Die vielen Hochsitze lassen vermuten, dass es hier auch jede Menge Wild gibt. Aber das zeigt sich natürlich nicht.
Nach der halben Marathonstrecke haben wir schon wieder 100 Höhenmeter gewonnen, die wir auf den nächsten drei Kilometern erneut abbauen. Schön die Wolkenfetzen im Wald vor uns. Viele Holzstämme liegen frisch gefällt am Wegesrand. Im Fernsehen habe ich mal die Maschinen gesehen, mit denen Bäume gefällt und dann gleich auch von Ästen und Rinde befreit werden. Ruck-zuck erledigt. Ob man damit auch noch Zeit hat, den Baumgeistern zu huldigen, scheint mir zweifelhaft. A propos Geister: Die beschwor auch der Dichter Eduard Mörike in seiner 1829 entstandenen schaurigen Ballade vom nahe gelegenen Mummelsee, was Touristen aus aller Welt aber heutzutage nicht davon abhält, dem Gewässer einen ausgiebigen Besuch abzustatten.
Wir kommen zur Schwarzenbachtalsperre. Der Stausee wurde in den Jahren 1922-1926 errichtet und wird als oberer See eines Pumpspeicherkraftwerks benutzt. Der See ist einige Kilometer lang. Wir laufen aber leider nicht zur 65 Meter hohen Staumauer, sondern umrunden einen freundlichen Herrn mit Schirm, der als Wendestelle fungiert. Auf diesem Streckenabschnitt kann man gut feststellen, wer sich einen Kilometer vor oder hinter einem tummelt. Natürlich viele inzwischen bekannte Gesichter. Außerdem gibt es am Verzweigungspunkt eine Verpflegungsstelle, die man beim Hin- und Rückweg ansteuern kann. Und wie immer erwarten uns auch hier einige Köstlichkeiten: Neben dem Standardrepertoire aus Wasser, Bananen und Iso auch Bier, Cola und Tee - für diejenigen, die es fröstelt. Immerhin hat es hier sicher vier, fünf Grad weniger als in der Rheinebene, die heute um die 30°C ausweist.
Eine kleine Diskussion zwischen Judith und mir über meinen Fitnessstand führt zum Kommentar eines Standbetreuers, dass hier wohl der Haussegen schief hängt. Diese Bemerkung verleiht mir neuen Schwung. Übrigens liegt der zweite Streckentiefpunkt in etwa hier. Nun müssen wir „nur“ noch 200 Höhenmeter bis zum Ziel nach oben.
Rechnet sich Judith eine Chance aufs Siegerpodest aus, entwickelt sie in letzter Zeit eine gehörige Portion Kampfgeist. Da zählt jedes Überholen. Mir geht es da mehr um das Happening. Und Fotos mache ich ja auch noch, was sich leider aufgrund der feuchten Witterung heute problematisch gestaltet. Irgendwie fehlt da ein Scheibenwischer vor dem Objektiv. Etwas Trockenes zum Abwischen trage ich nicht (mehr).
An der Herrenwieser Schwallung stehen sogar mehrere Schlachtenbummler! Der Staudamm aus Buntsandstein wurde 1844-47 errichtet, um das Wasser des Schwarzenbachs aufzustauen und das geschlagene Holz mit der Trift hinunterzuspülen. Das Aufkommen der Eisenbahn bereitete der Flößerei im Schwarzwald ein Ende.
Sind wir bisher mit der Fauna nicht in Kontakt gekommen, so treffen wir nun auf einen gelb-schwarzen Salamander, wie ich ihn als Stadtkind bisher nur aus den Lurchi-Büchern kannte. Der genießt ausgerechnet auf der Marathonstrecke den Regen und wird von der Läuferin vor uns entdeckt. Judith setzt ihn ins Gras und rettet ihm so vielleicht das Leben. Salamander können bis zu 50 Jahre alt werden. Vielleicht hat unser kleiner Freund auch schon alle 42 vorherigen Marathons miterlebt? Wir vergessen die Zeit und müssen feststellen, dass der Abstand zur Finderin des Lurchs deutlich zugenommen hat. Aber es sind ja noch 10 Kilometer bis ins Ziel.
Und die Sonne lacht uns an. Was meinem Objektiv leider auch nicht viel hilft. Aber wir sind zumindest einem Gewitter entgangen – durchaus positiv in einem Waldgebiet.
Mitten in der Wildnis dann ein Mutter-und-Tochter-Gespann, das uns anfeuert. Den letzten Verpflegungsstand sehne ich herbei. Mit dem Tempo der beiden Damen vor mir kann ich nicht mithalten. Just in diesem Moment rast an mir eine Läuferin vom „Team Erdinger alkoholfrei“ vorbei. Die wird offenbar von einem besonders nachhaltigen Energieschub beflügelt.
Der letzte Kilometer hat es dann wirklich in sich: Auf der Hundseckstraße geht es mehr als 50 Meter aufwärts. In der Ferne sehe ich drei bis vier Läuferinnen bei einem packenden Finish. Wir sind inzwischen eine Gruppe von drei Männern, die sich ähnlich wie im Radsport mit der Führungsarbeit abwechseln. Von der Straße abbiegen, über ein Rasenstück steil bergauf und kurz danach stehen wir im Ziel. Natürlich namentlich begrüßt durch Moderator Karsten Weis vom ausrichtenden Verein TV Bühlertal.
Judith konnte ihren Fight mit der Salamander-Freundin noch gewinnen, musste jedoch die Dame mit der Kraft des Weißbiers vorbei ziehen lassen, die dann auch noch in der gleichen Altersklasse den ersten Platz ergatterte. Ich konnte mich von den beiden Mitstreitern absetzen und bin nicht unzufrieden.
Schnell zur Skihütte hinunter. Dort gibt es (fast) warme Duschen, Mittagessen sowie Kaffee und leckeren Kuchen zum kleinen Preis. Mit Präsenten geehrt werden die drei Ersten im Gesamtfeld (sympathische junge Sportlerinnen und Sportler) und in den Altersklassen. Unter den Gewinnern befindet sich auch die US-Amerikanerin Elisabeth Cooper, die in allen 50 US-Bundesstaaten schon einen Marathon lief und heute Deutschland-Premiere hat.
Die Sonne lacht und wir unternehmen nach dem anstrengenden Aufstieg zum Parkplatz einen kleinen Kurztrip durch den Schwarzwald: Mummelsee, Hornisgrinde, diverse Schwarzwaldkliniken (zum Glück nur von außen) und viele Kuckucksuhr-Manufakturen warten auf uns.
Zusammenfassung:
Günstiges Startgeld, allerdings keine Medaillen - traditionsreicher Lauf, der seit 43 Jahren durchgeführt wird und viele Wiederholungstäter, aber auch junge Sportler anzieht - weitere Wettbewerbe sind am Samstag der 1000-m-Schüler/innenlauf und der Halbmarathon sowie am Sonntag ein10-km-Lauf und eine Walking-Wertung - schöner Landschaftslauf für ein ereignisreiches Sommerwochenende
Ergebnisse:
Damen:
1. Miriam Köhler, LG Brandenkopf 3:17:28
2. Tanja Hooß, LTF Marpingen 3:28:58
3. Anne Staeves, LG Trampeltier 3:36:50
Herren:
1. David Mild, LG Brandenkopf 2:44:41
2. Tilo Minges, 2:55:27
3. Jörg Hooß, LTF Marpingen 2.57:35
Finisher Marathon: 147 (33 Frauen, 114 Männer)
Finisher Halbmarathon: 153 (36 Frauen, 117 Männer)
Finisher 10 km: 222 (77 Frauen, 145 Männer)
Finisher Nordic Walking: 45 (35 Frauen, 10 Männer)
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