„Der Pies hilft in Knochen, die Pies in den Wochen“, so warb der Knochenbrecher für seine Künste. Wie so manche Marathonläufer heute, gingen früher die Menschen auch erst auf den letzten Drücker zum Arzt. Dann mussten die Knochen wieder gebrochen und gerichtet werden.
Peter Pies (1875-1962) trug als letzter diese Berufsbezeichnung, seine Nachfolger nennt man Chiropraktiker. Peter hatte seine Praxis am Bahnhof Emmelshausen, passenderweise am Galgenberg. Die Bahnhöfe der Hunsrückbahn wurden ausserhalb der Ortschaften gebaut, die Bauern hatten Angst, dass die Dampflokomotiven die Milchproduktion beeinflussen.
Logisch, dass Peters Praxis direkt gegenüber des Bahnhofes lag, denn so wurden die lauten Schreie der Patienten übertönt. Jetzt heisst das Gebäude „Hotel Waldfrieden“, weil jetzt Ruhe ist. Davor steht eine Bronzeplastik, die Peter und einen Jungen mit gebrochenen Armen zeigt. Das Chinarestaurant steht seit Jahren leer, wer möchte schon im „Haus Galgenberg“ essen.
Vom Bahnhof fährt die Bahn nach Boppard, eine der steilsten und schönsten Eisenbahnstrecken Deutschlands. Die Strecke nach Süden, Richtung Simmern ist stillgelegt und nun eine der flachsten und schönsten Landschaftsmarathon-Strecken.
Nur zögerlich begeben sich die Läufer an den Start. Marco Diehl, der Seriengewinner, ist trotz Muskelzerrung auch wieder dabei, holt sich letzten Rat von seinen Knochenbrechern.
Da die Strecke nach Simmern nur 38 km lang ist, laufen wir zunächst hinunter zum Ortsteil Basselscheid. Hier beginnt ein sehr schöner Weg entlang des Eichelsbaches, der vom Wiebelsborn gespeist wird. Ich weiss nicht, was sich unsere Vorfahren bei den Flurbezeichnungen gedacht haben. „Wiebeln“ ist altdeutsch und bedeutet „stopfen“.
Marco führt, stopft nicht, greift sich schreiend ans Bein und steigt aus, M4Y-Reporter Joe live dabei.
Ab km 4 geht es bergauf, zur stillgelegten Eisenbahnstrecke, jetzt Schinderhannesradweg genannt. In meiner Erinnerung ist dieser Kilometer sehr steil, heute erstaunlicherweise gut laufbar. Die Heilbrünnchenstrasse führt zu einem Brunnen, den der Heilige Wendelinus mit seinem Hirtenstab gefunden hat. Hier findet noch nicht mein Ice Bucket Challenge statt.
Das Wasser soll gegen Augenleiden helfen, die erste Verpflegungsstelle ist aber gut erkennbar.
Kaum auf dem Radweg nehmen wir alle Gas auf. Keine Kurve, keine Nahtstelle im Asphalt kann uns nun bremsen. Nur ein kurzer Stop am Gedenkstein, der an die 13 Todesopfer des Unglücks von 1907 erinnert. Ein Arbeiter wurde durch einen Bergrutsch verschüttet, die italienischen Kollegen suchten nach ihm, Neugierige stehen herum, dann ein zweiter Bergrutsch, 40 Schaulustige werden verschüttet. Schaurig die Schilderung, wie Helfer einen Mann mit Wasser versorgen, von dem nur noch der Kopf herausschaut.
Kilometer um Kilometer wird nun mit erstaunlichem Tempo abgespult, ich habe solchen Spass an der Geschwindigkeit, dass ich die Warnungen in meinen Beinen ignoriere. Vor dem Bahnhof Pfalzfeld (km 14) steht die keltische Flammensäule (400 v. Chr). Im Rheinischen Landesmuseum Bonn findet z. Z. die Ausstellung „Kelten im Rheinland statt. Dort wird das Original der Flammensäule und reichhaltige Grabbeilangen ausgestellt. Ambiorix, König der hier lebenden Eburonen musste sich Caesar geschlagen geben.
Am VP garniert sich ein Feuerwehrhauptmann ein frisches, fettes Stück Pflaumenkuchen mit einem Berg Sahne. Es ist kein Mundraub! Ich bin in einer ausgesprochen schweren Notlage! Fünf Minuten Zielzeitverlust ist mir seine Konstruktion schon wert!
Bevor wir Lingerhahn (rechts) passieren, kommen wir an Geröllhügeln vorbei, Schlacke aus keltischer Zeit, Eisenerzabbau. Steine der alten Römerstrasse liegen unter der Hauptstrasse von Lingerhahn.
1848 riefen die wenigen Bewohner Lingerhahns ihre eigene Republik aus. Preussen verzichtete auf eine Truppenentsendung, denn mit Beginn der Feldarbeiten beruhigten sich die Gemüter wieder. Ich beruhige mich auch, zu schnell war das Tempo bis hierher, zu verlockend diese glatte Strecke, doch es ist unmöglich, unauffällig eine Gehpause einzulegen.
Unser glatter Bahndamm führt wieder durch ein Geröllfeld, dazwischen mit Wasser gefüllte Gräben. Es ist eine uralte Burg, genant Dudenrother Schanze. Vor zwei Jahren habe ich hier Ausgrabungen beobachtet, weiss glänzende Erdhügel sind geblieben. Es gibt Gerüchte, hier sei das Gold der Zollstation St Goar vergraben.